Wirtschaftsgeschichte:Wie der Dreißigjährige Krieg die deutsche Wirtschaft bis heute prägt

Wirtschaftsgeschichte: Statisten stellen im Jahr 2012 die Schlacht am Weißen Berg bei Prag nach: Sie fand am 8. November 1620 statt und war die erste große militärische Auseinandersetzung im Dreißigjährigen Krieg.

Statisten stellen im Jahr 2012 die Schlacht am Weißen Berg bei Prag nach: Sie fand am 8. November 1620 statt und war die erste große militärische Auseinandersetzung im Dreißigjährigen Krieg.

(Foto: imago)

Der Zusammenbruch aller Ordnung vor 400 Jahren führte zu extremer Staatsgläubigkeit - mit weitreichenden Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung und das ökonomische Denken in Deutschland.

Von Nikolaus Piper

Warum sind die Deutschen so, wie sie sind? Warum haben sie es so sehr mit dem Staat und der Ordnung, ganz anders als Briten und Italiener? Antworten auf diese Fragen suchen Historiker und Sozialwissenschaftler immer wieder in einer der größten Katastrophen der deutschen Geschichte - dem Dreißigjährigen Krieg. Dieser Zusammenbruch aller Ordnung, die Orgien der Gewalt, das Elend und die Erfahrung, hilfloses Opfer fremder Mächte geworden zu sein, haben sich tief in das kollektive Bewusstsein der Nation eingebrannt.

Dass die Menschen nach dem Trauma der Jahre 1618 bis 1648 die Rettung im starken Beamtenstaat suchten, scheint nur plausibel zu sein. Inzwischen hat die Katastrophe von Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg, von Holocaust und Vertreibung den Blick auf die deutsche Geschichte radikal verändert. Trotzdem kann es keinen Zweifel daran geben, dass der Dreißigjährige Krieg eines der großen Traumata der Deutschen bleibt.

Im neuen Jahr nun wird des Kriegsausbruchs vor 400 Jahren gedacht. Viele Bücher sind aus diesem Anlass schon geschrieben worden; der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler zum Beispiel legte eine monumentale Geschichte des Krieges vor ("Der Dreißigjährige Krieg. Europäische Katastrophe, deutsches Trauma", Rowohlt Berlin). Das Interesse ist durchaus nicht nur historisch, sondern oft sehr gegenwartsbezogen: Ist die Spirale der Gewalt, unter der derzeit der Nahe Osten und Nordafrika leiden, in Wirklichkeit ein neuer Dreißigjähriger Krieg? Bricht das System souveräner Staaten zusammen, wie es nach Ende des Krieges im Westfälischen Frieden geschaffen wurde? Dabei geht es auch um Wirtschaft. Zwar wurde der Krieg zwischen Katholiken und Protestanten um den rechten Glauben und die Macht von Dynastien geführt. Die Folgen des Gemetzels aber hatten für die Wirtschaft und das ökonomische Denken eine kaum zu überschätzende Bedeutung.

Als Datum für den Ausbruch des Krieges markieren die Geschichtsbücher den 23. Mai 1618. An dem Tag stürmte ein Trupp böhmischer Adliger unter Führung eines gewissen Heinrich von Thurn auf die Prager Burg und warf zwei kaiserliche Statthalter und einen Kanzleisekretär aus dem Fenster. Dieser "Prager Fenstersturz" ging für die Opfer relativ glimpflich aus. Sie überlebten den Fall aus 17 Metern Höhe - weil ihnen die Jungfrau Maria geholfen hat, sagten die Katholiken; weil unten ein Misthaufen war, behaupteten die Protestanten; weil sie auf der abgeschrägten Burgmauer eher hinunterrutschten als stürzten, glauben moderne Historiker.

Was den Krieg besonders machte, war die unfassbare Brutalität der Söldnerheere

Wichtig war der Fenstersturz vor allem als Symbol der Rebellion. Der böhmische Adel hatte sich gegen Übergriffe der herrschenden Habsburger erhoben, es ging dabei um Religionsfreiheit, um Adelsprivilegien, aber eben auch um wirtschaftliche Vorteile. Nach der Niederschlagung wurden praktisch alle böhmischen Adligen, sofern sie nicht katholisch waren, enteignet und vertrieben, viele auf grausame Weise hingerichtet. Wer katholisch war und deutsch statt tschechisch sprach, konnte damals schnell reich werden in Böhmen.

Was den Dreißigjährigen Krieg besonders machte, war die unfassbare Brutalität, mit der die Söldnerheere die Landbevölkerung behandelten. Und die hatte direkt mit der Art und Weise zu tun, wie die kriegführenden Fürsten die Finanzierung des Krieges regelten. Am besten war es für die Bauern noch, wenn sich feindliche Soldaten fest bei ihnen einquartierten. Dann lebten die Söldner von jenen Erträgen des Landes, die sonst der eigene Grundherr eingestrichen hätte. Das Ganze war eine Art Kriegssteuer - belastend, aber noch erträglich, weil die Kriegsherren ein materielles Interesse daran hatten, dass ihre Steuerbasis, die Bauernhöfe, nicht zerstört wurde. Der kaiserliche General Albrecht von Wallenstein (1583 bis 1634) betrieb diese Form der Kriegswirtschaft relativ erfolgreich.

17 Meter

tief fielen zwei kaiserliche Statthalter und ein Kanzleisekretär am 23. Mai 1618 beim "Prager Fenstersturz". Hinausgeworfen worden waren sie von protestantischen Adeligen, die mit dem Sturm auf die Prager Burg gegen die zunehmende Unterdrückung durch den katholischen Kaiser protestierten. Die drei "Defenestrierten" überlebten den Sturz, doch die Folgen waren epochal. Der Aufstand der Protestanten wurde zunächst brutal niedergeschlagen, danach flammten die Auseinandersetzungen immer wieder auf und erfassten ganz Europa. Erst 1648 endete der Dreißigjährige Krieg mit dem Westfälischen Frieden.

Schlimmer war es, wenn Heere durch das Land zogen und sich nirgendwo fest niederließen. Dann plünderten marodierende Soldaten die Bauern ohne Rücksicht und erschlugen für den Fall, dass es nichts mehr zum Plündern gab, ganze Bauernfamilien und zündeten ihre Häuser an. Die Söldner des Grafen Ernst von Mansfeld, eines Kriegsunternehmers in protestantischen Diensten, waren bei den Bauern besonders gefürchtet. Der schwedische König Gustav Adolf, Retter des Protestantismus in Deutschland, aber auch einer der brutalsten Heerführer, brandschatzte Bayern ganz gezielt, um Rache für die Plünderung protestantischer Gebiete zu nehmen und um die wirtschaftliche Basis von Kurfürst Maximilian zu zerstören.

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