Wirtschaftsforschung:Die Aufholjagd des DIW

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Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), verweist in einer Diskussionsrunde auf den starken Rückgang der Reallöhne. (Foto: Daniel Naupold/dpa)

Mit weniger Abteilungen und einem festen Blick nach Europa: Eines der großen Wirtschafts­forschungsinstitute in Deutschland und das einzige, das in der Hauptstadt Berlin ansässig ist, baut kräftig um. Das lässt viel Selbstbewusstsein erkennen.

Von Marc Beise, München

Über mangelnde Aufmerksamkeit kann sich Marcel Fratzscher, 49, nicht beklagen, allerdings auch nicht über mangelnde Kritik: Immer wieder kann der Wirtschaftsprofessor aus Berlin lesen, dass er sein Institut nicht im Griff hat, dass Organisation nicht seine Stärke sei und dass ihm Wissenschaftler die Gefolgschaft aufkündigen; gerne werden solche Gerüchte auch aus dem eigenen Haus gestreut. Die Rede ist vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW, der größten Einrichtung seiner Art in Deutschland und die einzige, die in Berlin sitzt; die Wettbewerber residieren eher an der Peripherie in München, Mannheim, Essen und Kiel.

Fratzscher ärgert die Kritik, aber er will sich das nicht anmerken lassen, und der Zorn scheint allenfalls durch, wenn er von einer "Kampagne" gegen ihn, den vermeintlich linken Präsidenten spricht. Das will er natürlich auch nicht sein, "links", sondern ein unabhängiger Wissenschaftler, der allerdings denen bereitwillig Rat gibt, die ihn haben wollen. Das wiederum sind wohl eher SPD-Minister als CDU- oder gar CSU-Minister.

Nicht mal das würde Fratzscher bestätigen, er weist auf Freundschaften im konservativen Lager hin und auf seine Mitgliedschaft im Wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums, das bekanntlich von dem CDU-Mann Peter Altmaier geführt wird. Aber es ist schon so: Das DIW gilt als linkes Institut, weil es besonderen Wert auf Verteilungsfragen legt und auf eine alternative Klimapolitik, und Genderfragen sind auch ein großes Thema. Dass der Chef regelmäßig die in Deutschland bekanntlich besonders umstrittene ausufernde Geldpolitik der EZB verteidigt, trägt nicht zur Beliebtheit des DIW in konservativen Kreisen bei.

Das alles ist nun nicht verwerflich, schon gar nicht, wenn wissenschaftlich sauber gearbeitet wird wie beim sozioökonomischen Panel (SOEP), einer jährlichen Umfrage unter inzwischen mehr als 30 000 Menschen, das außergewöhnlich umfassende Daten über die wirtschaftliche Situation in Deutschland liefert und dessen Chef nicht von ungefähr im bisher dreiköpfigen DIW-Vorstand sitzt. Dort soll übrigens auf Empfehlung eines externen Beratergremiums bald eine vierte Position geschaffen werden, um die Finanzierung des DIW besser zu organisieren, was die einen als Kritik an Fratzscher sehen, die anderen inklusive des Präsidenten selbst als notwendige Weiterentwicklung: Immerhin wirbt das DIW massiv mehr Drittelmittel ein als früher, Fratzscher hat die Summe von drei auf sechs Millionen Euro im Jahr verdoppelt, etwa ein Drittel des gesamten Budgets.

Aber es stimmt auch: Bei der Organisation, auch bei der wissenschaftlichen Leistung lag früher vieles im Argen. Das ist sozusagen amtlich belegt, denn das DIW ist ein Institut der Leibniz-Gemeinschaft, die es auch wesentlich finanziert, und wie die anderen Leibniz-Institute wird auch das DIW regelmäßig von unabhängigen Experten geprüft, man sagt: evaluiert.

Und bei der Evaluierung 2012 - vor Fratzschers Amtsantritt - kam das DIW gar nicht gut weg, es konnte sich formal gerade noch in der Ersten Liga halten, aber es hagelte schlechte Bewertungen. So ähnlich war das auch mal beim großen Konkurrenten Ifo in München. Und so wie dort der damals neue (und mittlerweile emeritierte) Präsident Hans-Werner Sinn einen wissenschaftlichen und organisatorischen Neuanfang orchestrierte, ist das hier in Berlin in der Ära Fratzscher gelungen.

"Wir sind keine Uni"

Das Ergebnis der jüngsten Evaluierung ist ein grandioser Erfolg: überall sehr gute Bewertungen, keine Abteilung fällt ab. Die vergangenen Jahre betrachtet Fratzscher als "beispiellose Aufholjagd", er sieht sich jetzt "auf Augenhöhe" mit den anderen Instituten. Dass er dabei auch auf öffentliche Wirkung setzt, befeuert den ewigen Konflikt im Haus; nämlich ob man mehr Grundlagenforschung oder mehr Politikberatung betreiben sollte. Fratzscher sagt: "Der Wissenstransfer ist mir wichtig. Wir sind keine Uni." Mit seinem Chefkontrolleur, dem Vorsitzenden des Kuratoriums, ist er da auf einer Linie: Auch Axel Weber, der in seiner zweiten Amtszeit ist und bald abgeben will, kommt aus der Wissenschaft, hat aber als Bundesbank-Präsident und jetzt als Verwaltungsratschef der Großbank UBS immer Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zusammen gesehen.

Auch wenn Fratzscher und Weber bei der Rolle der EZB unterschiedlicher Meinung sind (Webers Opposition war so groß, dass er den ihm sicheren Posten des EZB-Präsidenten ausgeschlagen hat), zogen die beiden beim DIW an einem Strang. Haben das Institut neu aufgestellt und wollen bei der Kuratoriumssitzung an diesem Mittwoch einen Haken dran machen.

Ein neues "Mission Statement" lässt viel Selbstbewusstsein erkennen, das DIW verkleinert sich von zwölf auf acht Abteilungen, und es fokussiert sich auf nur noch drei Felder: den Schwerpunktbereich "Lebensqualität und Verteilung", wo das SOEP beheimatet ist, den Bereich "Zukunftssicherung und Nachhaltigkeit", mit Klimapolitik und Energiewende, und dem aufstrebenden Bereich "Wirtschaftliche und gesellschaftliche Integration in Europa": Das ist erkennbar das Herzensanliegen des Präsidenten.

© SZ vom 30.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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