Wirtschaftsforscher Hans-Werner Sinn:Mr. Ifo geht in Rente

Hans-Werner Sinn

Hans-Werner Sinn, scheidender Präsident des Ifo-Instituts, im Jahr 2012

(Foto: dpa)

Deutschlands bekanntester Ökonom tritt ab: Hans-Werner Sinn geht im März 2016 als Ifo-Präsident in Rente. Sein Nachfolger schlägt einen neuen Ton an.

Analyse von Marc Beise

Es gab mehrere Kandidaten, nicht bloß einen. Die Suche zog sich über Monate hin, ganz im Stillen. Bewerber stellten sich vor und wurden wieder verworfen, manche sagten auch von sich aus ab, weil ihnen die Aufgabe zu groß erschien - oder sie die Medien scheuen und sich lieber auf die Forschung konzentrieren möchten.

Doch am Ende waren sich alle einig, die mitreden durften: Clemens Fuest, 46, ist der Beste - er erfüllt all die Kriterien, um als neuer Präsident des Ifo-Instituts Deutschlands bekanntesten Ökonomen zu beerben. Er ist ein anerkannter Wissenschaftler, ein viel zitierter Forscher - so wie Hans-Werner Sinn; er ist in der Lage, eine große Organisation zu führen, und das Ifo-Institut beschäftigt immerhin 190 Mitarbeiter; und Fuest versteht es, die Medien zu bedienen, das Fernsehen, die Talkshows. Auch das ist wichtig, wenn man auf Hans-Werner Sinn folgt.

Der bisherige Ifo-Chef wird Ende März nächsten Jahres in Rente gehen, dann ist er 68 Jahre alt und hat das Münchner Institut 17 Jahre lang geführt. An diesem Freitag hat Sinn noch einmal ein großes Heimspiel: Das Ifo-Institut veranstaltet in München seine Jahrestagung, die große Aula der Ludwig-Maximilians-Universität wird gefüllt sein mit Forschern, Studenten und Honoratioren, und Sinn wird, gleich morgens kurz nach neun Uhr, die Welt erklären, wortgewaltig wie immer. Im Anschluss spricht der SPD-Chef und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der gewöhnlich mit vielem nicht einverstanden ist, was der Ifo-Präsident vorträgt.

Grexit? Nein, sagt der Neue. Denn ein Austritt schade vor allem dem Land selbst

Das könnte sich nun zumindest ein wenig ändern. Der neue Ifo-Chef, geboren 1968 in Münster (wo Sinn von 1967 bis 1972 studiert hat), ist mehr als zwei Jahrzehnte jünger. Seit zwei Jahren führt Fuest das ZEW in Mannheim, auch ein bedeutendes Wirtschaftsforschungsinstitut; aber eben nicht ganz so bedeutend wie das Ifo. Eigentlich hat er dort noch einen Vertrag bis 2018. Zuvor hat sich Fuest als Professor in Oxford internationale Meriten erworben.

Fuest hat ein anderes Naturell, ein anderes Selbstverständnis und ist in vielen seiner Ansichten moderater als Sinn, den er seit zwanzig Jahren kennt. Das merkt man zum Beispiel, wenn es um den Zustand der deutschen Wirtschaft geht: Sinn hat mit einem seiner Bücher den Begriff von der deutschen "Basar-Ökonomie" geprägt, die viel handelt, mit ihrer Industrie aber immer weniger Mehrwert schafft. Ein anderer Bestseller hieß: "Ist Deutschland noch zu retten?" Fuest dagegen sagt: "Aus meiner Zeit in England bringe ich einen freundlicheren Blick auf die Vorteile des deutschen Systems mit, als ich vorher hatte."

Die Unterschiede merkt man auch beim Thema Griechenland, das Sinn schon lange aus dem Euro verbannt wissen möchte. Auch in diesen Tagen empfiehlt er wieder dringend einen "Grexit", weil das gut sei für die Euro-Gemeinschaft, aber auch für Griechenland. Fuest sieht das dezidiert anders, er will Griechenland immer im Euro halten, weil ein Austritt vor allem dem Land selbst schade. Er sagt aber allerdings auch: "Es ist schon ein starkes Stück, dass die griechische Regierung den europäischen Steuerzahler in Haftung nehmen will, selbst aber nicht gegen die Steuersünder im eigenen Land vorgeht."

Die Personalie wird die Tonlage im Land verändern

Der Wechsel beim Ifo wird das Gefüge der Politikberatung in Deutschland verändern - und auch die Tonlage. Denn es gibt keinen deutschen Professor, der so polarisiert wie Sinn. Er taugt für jede Talkshow, ist in Berlin und Brüssel für viele aber eine Persona non grata. Er kommt mit einer Wucht daher, wie sie kein anderer Wirtschaftswissenschaftler in Deutschland hat, und kennt dabei weder Freund noch Feind. Wenn Sinn zu den großen Themen der Zeit Stellung nimmt, dann scheut er nicht zurück, zuzulangen; dafür lieben ihn seine Anhänger, dafür hassen ihn seine Gegner. Sinn ist gegen den Mindestlohn und für einen Sparkurs, mahnt Änderungen im Rentensystem an und ätzt über die Merkel'sche Energiewende als weltfremd.

Vor allem aber ist Sinn zuletzt als Kämpfer gegen den Euro in seiner heutigen Form und gegen die Politik des leichten Geldes der Europäischen Zentralbank bekannt geworden: als Warner vor einer Schuldenunion, die vor allem vom deutschen Steuerzahler finanziert werden müsse. Riesige Risiken sieht er aufgehäuft, und wird von seinen Gegnern deshalb als Panikmacher gebrandmarkt. Sein Nachname hat schon manchem Politiker zu einem platten Wortspiel animiert, während Nachfolger Fuest bisher damit leben muss, dass sein Name häufig falsch als "Füst" ausgesprochen wird. Dabei ist das "e" ein sogenanntes westfälisches Dehnungs-e, das wie ein "h" das "u" verlängert; man sprich also: Fu-h-st.

Clemens Fuest

International erfahren: Clemens Fuest hat einst in Oxford gelehrt.

(Foto: dpa)

Der Dickschädel Sinn weiß um seine Wirkung, aber er kann nicht anders. Er sieht Deutschland und Europa auf schrecklichen Abwegen, das treibt ihn um. Er will aufrütteln, nennt sich selbst einen "Weltverbesserer". Zwar ist das Ifo mehr als sein Präsident. Es hat einen 16- Millionen-Euro-Etat, viele namhafte Wissenschaftler in seinen Reihen, eine starke Position in Forschung und Lehre, erstellt monatlich den viel beachteten Ifo-Geschäftsklima-Index, ist an den Konjunkturprognosen und Steuerschätzungen für die Bundesregierung beteiligt. Aber in der breiten Öffentlichkeit wird das Ifo vor allem durch seinen Präsidenten geprägt.

Das galt nie so stark wie bei Sinn, der im Jahr 1999 nach München berufen wurde und ein strauchelndes Institut stabilisierte. Er führte das Ifo an die Spitze der deutschen Institute. Über seinen Nachfolger haben in den vergangenen Monaten insgeheim der Verwaltungsrat des Instituts, geführt vom Chemie-Unternehmer Peter-Alexander Wacker, die Ludwig-Maximilians-Universität (alle Bereichsleiter am Institut sind zugleich Professoren an der LMU) sowie die Landes- und die Bundesregierung beraten; in all diesen Gremien ist die Begeisterung fast schon beängstigend groß.

In vielen Fragen sind Fuest und Sinn aber auch einer Meinung, Sinn ist nicht rechts und Fuest nicht links, sondern beide Marktwirtschaftler, aber Fuest ist zurückgenommener, er sieht die Aufgabe der Wissenschaft in der Beratung, er will nicht Akteur sein. In Berlin ist er ein gern gesehener Berater, so wie er auch in wichtigen EU-Gremien Sitz und Stimme hat.

"Aus meiner Zeit in England bringe ich einen freundlicheren Blick auf Deutschland mit."

Fuest sagt über seine neue Aufgabe: "Ich möchte das Ifo da stärken, wo es schon stark ist, und weitere Akzente setzen. Das möchte ich aber erst mit den Mitarbeitern erarbeiten." Man darf auch erwarten, dass Steuern beim Ifo eine stärkere Rolle spielen werden, das ist eines von Fuests Spezialgebieten. Er ist nicht der große Steuerharmonisierer, lobt den Wettbewerb, will Ländern wie Irland und Estland hier nicht ihren Vorteil im Standortwettbewerb nehmen. Aber er plädiert entschieden für eine stärkere internationale Koordination, die beispielsweise Konzernen Möglichkeiten der Steuergestaltung nehmen soll.

Im Streit um die anstehende Neuregelung der Erbschaftsteuer findet er es "fast einen Skandal", dass die "einzig richtige und offensichtliche Lösung" von der Politik ignoriert werde, nämlich einheitliche, aber dafür niedrige Erbschaftsteuersätze für alle. Stattdessen bastele die Politik erneut an Modellen, bei denen der Mittelstand bevorzugt werden soll, weil man dort den Verlust von Arbeitsplätzen befürchtet.

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