Wirtschaftsanwalt Feigen über Justiz:Schauen Sie doch einfach mal in Kellerraum II ...

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Korruption und Schmiergeld sind sein Geschäft: Der Wirtschaftsanwalt Hanns W. Feigen über Manager vor Gericht, fragwürdige Ermittlungsmethoden und hohe Bußgelder.

Hans Leyendecker und Klaus Ott

Korruptionsaffären bei Siemens, Infineon, MAN und Ferrostaal; der Spitzelskandal bei der Telekom; angebliche Manipulationen bei Porsche; Milliardenverluste bei Großbanken: Ermittlungs- und Gerichtsverfahren gegen Manager häufen sich. Der Anwalt Hanns W. Feigen aus Frankfurt ist mittendrin, er bearbeitet große Fälle.

Egal ob Zumwinkel, Schumacher oder Wiedeking: Wirtschaftsanwalt Hanns W. Feigen hat sie schon alle vor Gericht vertreten. (Foto: Reuters)

SZ: Früher hatten Topmanager selten Ärger mit der Justiz. Heute gehen viele Staatsanwaltschaften energisch gegen Banken, Industriekonzerne und deren Vorstände vor. Was ist anders beim Kampf gegen Wirtschaftskriminalität?

Hanns W. Feigen: Mitte der neunziger Jahre haben Staatsanwaltschaften gegen viele Bankvorstände ermittelt. Das war die erste Zäsur. Den Vorständen wurde vorgeworfen, ihren Kunden anonyme Überweisungen in Länder mit günstigen Steuersätzen ermöglicht zu haben. Bei diesen Verfahren wurden auch Vorstandsetagen durchsucht, was früher selten vorkam. Auch wenn diese Verfahren nicht zu Anklagen oder Strafbefehlen führten, war in gewisser Weise ein Tabu gebrochen. Das Korruptionsverfahren bei Siemens ab Spätherbst 2006 hat dann gezeigt, dass Staatsanwaltschaften nicht zögern, auch Weltunternehmen unter die Lupe zu nehmen. Das war die zweite Zäsur. Viele Topmanager haben gefragt: "Kann so etwas auch bei uns passieren?"

SZ: Sind Manager heute krimineller als ihre Vorgänger?

Feigen: Das halte ich für ausgeschlossen. Aber immer öfter wird der Ruf nach dem Staatsanwalt laut, wenn irgendetwas im Unternehmen schiefläuft. Und die Medien berichten viel umfassender als früher, und oft spektakulär, über Ermittlungen gegen Manager. Man erkennt geradezu eine neue Lust am Strafrecht.

SZ: Aber die Staatsanwälte ermitteln nicht nach Lust und Laune. Es muss doch Gründe dafür geben.

Feigen: Die Gesetze gegen Korruption sind Ende der 90er Jahre verschärft worden. Hinzu kommt, dass häufiger Strafanzeigen erstattet werden, nicht selten anonym und oft aus Rache. In solchen anonymen Anzeigen ist dann zu lesen: "Liebe Staatsanwaltschaft, ich kann Ihnen mitteilen, dass in meinem Unternehmen bei Auslandsgeschäften massiv bestochen wird. Anliegend einige Beweisstücke." Eine solche Anzeige kann die Staatsanwaltschaft nicht ignorieren.

SZ: Sind die Anzeigen Ausdruck einer veränderten Unternehmenskultur?

Feigen: Das hat mit Unternehmenskultur wenig zu tun. Mitarbeiter, die das Unternehmen nicht in Liebe verlassen, sagen bisweilen schon bei der Verabschiedung: "Wir hören noch voneinander." Und dann folgt ein anonymes Schreiben, das die Ermittler auf den Kellerraum II hinweist, in dem besonders "interessante Unterlagen" liegen sollen.

SZ: Die Justiz ist aber auch nicht mehr dieselbe wie früher. Sind die Ermittler heute besser ausgebildet?

Feigen: Staatsanwälte, die im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts und der Korruption tätig sind, verfügen vielfach über eine hohe Qualifikation und immer mehr über viel Erfahrung bei großen Ermittlungsverfahren. Hinzu kommt, dass einige Staatsanwaltschaften dazu übergehen, von den Unternehmen einen besonderen "Ermittlungsservice" zu erwarten. Der besteht dann darin, dass der betroffene Konzern mit Hilfe externer Anwälte und Wirtschaftsprüfer eigene Untersuchungen durchführt und die Ergebnisse gleichsam als "Generalbeichte" der Staatsanwaltschaft vorlegt.

SZ: Die Ermittlungen werden also teilweise privatisiert. Ist das überhaupt mit unserem Rechtsstaat vereinbar?

Feigen: Diese Art von Privatisierung ist rechtlich in hohem Maße problematisch. Die Behörden sind bei ihrer Arbeit, etwa bei Vernehmungen, an die Strafprozessordnung gebunden. So hat jeder das Recht zu schweigen, wenn er Gefahr läuft, sich selbst zu belasten. Jeder Beschuldigte kann einen Anwalt beiziehen, jeder Zeuge einen Zeugenbeistand. Und er kann das Protokoll seiner Aussage durchlesen und notfalls berichtigen.

SZ: Setzen Unternehmen ihre Beschäftigten unter Druck, damit sie bei internen Ermittlungen aussagen?

Feigen: Vielfach wird bei solchen internen Ermittlungen vom Unternehmen erwartet, dass die Mitarbeiter rückhaltlos kooperieren. Und kooperieren heißt hier: aussagen. Es werden Amnestieprogramme aufgesetzt, die für den Fall umfassender Kooperation den Verzicht auf Schadenersatzforderungen und auf die Kündigung versprechen. Allerdings können Staatsanwaltschaften in ein solches Amnestieprogramm gar nicht einbezogen werden. Jeder durch interne Ermittler vernommene Mitarbeiter muss wissen, dass die Protokolle über seine Befragung letztlich bei der Staatsanwaltschaft landen, ohne dass der Betroffene die Niederschrift gesehen hat. Da reden sich manche um Kopf und Kragen.

SZ: Warum wehren sich die Mitarbeiter nicht dagegen?

Feigen: Die Mitarbeiter fürchten um ihren Arbeitsplatz. Und auch die Drohung mit Schadenersatzforderungen hat schon manchen dazu gebracht, lieber auszusagen, auch ohne Anwalt.

SZ: Die Unternehmen sind in der Regel aber besser dran, wenn sie mit den Staatsanwaltschaften kooperieren. Die Verfahren, die den Betrieb teilweise lähmen könnten, sind schneller vorbei.

Feigen: Letztlich hat das Unternehmen kaum eine andere Möglichkeit als die der Kooperation. Aber man sollte sich auch dann an die rechtsstaatlichen Regeln halten, wenn interne Ermittler das Unternehmen durchforsten. Dies gilt insbesondere dann, wenn hierbei ausländische Rechtsanwälte, ausländische Ex-Staatsanwälte und IT-Spezialisten agieren, denen Beschuldigten- oder Zeugenrechte der deutschen Strafprozessordnung nicht immer am Herzen liegen.

SZ: Hoffen Vorstände durch eigene Ermittlungen auf Milde bei der Justiz?

Feigen: Ich rate hier zu großer Vorsicht. Nicht wenige Vorstandsmitglieder, die sich Ermittlertruppen ins Haus holen, erleben das Ende der Untersuchung nur noch als Ex-Vorstände. Und die werden dann auch noch mit Schadenersatzansprüchen konfrontiert, die auch die Untersuchungskosten beinhalten. Das sind bisweilen zwei- oder gar dreistellige Millionenbeträge. Andererseits: Jede Staatsanwaltschaft wird - zu Recht - ein kooperatives Verhalten honorieren. Aber es kann nicht sein, dass sich mehr und mehr durchsetzt, dass Kooperation gleichbedeutend ist mit einem "Ermittlungsservice" des Unternehmens. Die Staatsanwaltschaft soll selbst ermitteln. Das ist schließlich ihre Aufgabe.

SZ: Ermittlungsbehörden gehen dazu über, bei Korruptionsverfahren von Konzernen hohe Beträge zu fordern. So sollen illegal erzielte Gewinne abgeschöpft werden. Manche Konzerne zahlen, weil sie dann Ruhe haben. In den Fällen Siemens, MAN und Ferrostaal ist bald eine Milliarde voll. Ist das ein Freikaufen?

Feigen: Die Möglichkeiten der Gewinnabschöpfung und der Geldbuße gegen Unternehmen sind gesetzlich geregelt. Das ist also kein Freikaufen. Wenn Staatsanwälte gleichsam ins Blaue hinein große Beträge abschöpfen wollen, muss der Vorstand prüfen, ob der geforderte Betrag vertretbar ist. Würde ein unangemessen hoher Betrag gezahlt, um die Sache schnell und geräuschlos abzuschließen, kann der Vorwurf der Untreue schnell erhoben werden.

SZ: Braucht jeder Manager bald seinen eigenen Anwalt?

Feigen: Natürlich nicht! Keiner will eine Lähmung des Managements. Viele Unternehmen leisten sich im Übrigen große und qualifizierte Rechtsabteilungen, um sich bei wichtigen Entscheidungen abzusichern. Und bestimmt nicht nur wegen drohender Ermittlungen, sondern auch deshalb, weil auch Aktionäre immer öfter den Klageweg beschreiten.

SZ: Es gibt aber auch immer mehr Anlässe dazu.

Feigen: Das stimmt nicht. Es kann auch nicht sein, dass jede Unternehmungsentscheidung strafrechtlich oder zivilrechtlich überprüft wird. Es können nicht Schäden mit Straftaten gleichgesetzt werden. Jede Unternehmensentscheidung trägt ein gewisses Risiko in sich und kann deshalb negative Auswirkungen haben. Nicht zuletzt lag der Mut zum Risiko dem deutschen Wirtschaftswunder nach dem Krieg zugrunde. Unternehmensführer, die keinerlei Risiko eingehen wollen, sind kaum vorstellbar und auch nicht wünschenswert.

SZ: Die Vorstände sind in der Regel doch sowieso gut versichert.

Feigen: Das ist ein Trugschluss. Die Versicherungen, die für Manager abgeschlossen sind, zahlen vielfach nicht oder nur nach endlosen Verhandlungen.

SZ: Viele Menschen haben aber den Eindruck, dass die Justiz die Großen laufen lässt und die Kleinen hängt.

Feigen: Das ist grober Unfug. Man kann eher von einem Prominenten-Malus sprechen. Auch das hängt wiederum mit der Berichterstattung in den Medien und dem bisweilen hierdurch entstehenden Erwartungsdruck auf Staatsanwaltschaften und Gerichte zusammen. Im Übrigen: Ich habe es noch nicht erlebt, dass man den Pförtner einsperrt und den Vorstandsvorsitzenden laufen lässt.

SZ: Zu Ihren Mandanten gehören so eckige Typen wie die früheren Chefs von Bahn und Porsche, Hartmut Mehdorn und Wendelin Wiedeking. Wird es solche Typen nicht mehr geben, weil Manager immer vorsichtiger werden?

Feigen: Der Managerberuf ist sicherlich in gewisser Weise "gefahrengeneigt". Aber es wird immer wieder solche Unternehmerpersönlichkeiten geben, die mit Umsicht, aber auch mit Mut zum Risiko vorangehen und vieles bewegen.

Zur Person:

Hanns W. Feigen, 61, ist einer der bekanntesten deutschen Strafverteidiger. Er hat den früheren Post-Vorstandschef Klaus Zumwinkel vertreten, der wegen Steuerhinterziehung vor Gericht stand. In der Spitzelaffäre bei der Telekom vertrat Feigen ebenfalls Zumwinkel, der dort Aufsichtsratschef war. Das Verfahren gegen Zumwinkel wurde eingestellt. Für den ehemaligen Infineon-Chef Ulrich Schumacher, der wegen Korruption angeklagt war, erwirkte Feigen einen Freispruch. Früher verhandelte er für den Chemiekonzern Bayer im Lipobay-Skandal und vertrat die Bahn im Zusammenhang mit der ICE-Katastrophe bei Eschede. Auch Bank-Manager zählen zu den Mandanten des Frankfurter Anwalts.

© SZ vom 29.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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