Wirtschafts-Nobelpreis:Zwei Meister der Statistik

Der diesjährige Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaft geht an Robert Engle aus den USA und den Briten Clive Granger. Die zwei Wissenschaftler teilen sich die Auszeichnung für Forschungsergebnisse zur Analyse ökonomischer Zeitreihen.

Von Marc Beise

(SZ vom 09.10.03) - Ökonomen waren Alfred Nobel ein Gräuel - obwohl der Schwede überaus erfolgreich zu wirtschaften verstand. Mit der Herstellung und dem Vertrieb von Dynamit hatte er eines der größten europäischen Vermögen angehäuft - und in seinem Testament im Jahr 1895 verfügt, dass die 33 Millionen Kronen (auf heutige Verhältnisse umgerechnet rund 165 Millionen Euro) in einem Fonds anzulegen seien, "dessen Zinsen jährlich als Preisbelohnung an diejenigen verteilt werden sollen, die im abgelaufenen Jahr der Menschheit die größten Dienste erwiesen haben".

Von Wirtschaft war dabei nicht die Rede. Kein Wunder: "Es gibt nicht den geringsten Grund, warum ich, der ich keinerlei Ausbildung in Wirtschaftsdingen habe und sie ehrlicherweise auch hasse, mich mit all diesen Geschäften plagen soll, von denen ich möglicherweise nur wenig mehr weiß als der Mann im Mond", hatte Nobel einmal festgehalten.

Dennoch wird seit 1969 alljährlich gemeinsam mit den anderen auch ein Wirtschafts-Nobelpreis verliehen, gestiftet allerdings von der schwedischen Reichsbank.

Mit den Preisträgern des Jahres 2003, verkündet am Mittwoch von der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften in Stockholm, würde Alfred Nobel wieder herzlich wenig anfangen können: Robert F. Engle aus den Vereinigten Staaten und Clive W.J. Granger aus Großbritannien teilen sich die Preissumme von umgerechnet mehr als einer Million Euro für ihre Arbeiten zur statistischen Erforschung ökonomischer Zusammenhänge.

In den USA tätig

Beide Preisträger lehren in den USA: Der 60-jährige Engle an der New Yorker Universität, der neun Jahre ältere Granger an der Universität von San Diego in Kalifornien. Damit sind beziehungsweise waren 40 von bisher 53 Nobelpreisträgern in den USA tätige Wissenschaftler. Noch nie wurde eine Frau ausgezeichnet, und nur einmal ein Deutscher: Richard Selten im Jahr 1994.

Engle und Granger haben sich um so genannte Zeitreihen, also chronologische Reihenfolgen von Daten, verdient gemacht. Wirtschaftswissenschaftler verwenden diese zur Abschätzung von Zusammenhängen und zur empirischen Überprüfung von theoretisch gewonnenen Hypothesen.

Die Preisträger entwickelten bereits in den achtziger Jahren neue statistische Methoden zum besseren Umgang mit zwei zentralen Eigenschaften vieler Zeitreihen: zeitlich veränderliche Volatilität und Nichtstationarität.

Konkret: Auf Finanzmärkten haben zufällige Schwankungen über die Zeit - Volatilität - große Bedeutung, weil der Wert von Aktien, Optionen und anderen Wertpapieren auf diesem Risiko beruht.

Variation der Fluktuationen

Die Schwankungen können im Lauf der Zeit stark variieren - ruhige Perioden lösen turbulentere Perioden mit größeren Fluktuationen ab. Obwohl sich also die Volatilität über die Zeit verändert, arbeiteten die Wirtschaftswissenschaftler wegen des Fehlens einer Alternative lange mit statistischen Methoden, die eine konstante Volatilität voraussetzen.

Robert Engle nun entwickelte Methoden, die es ermöglichen, zeitlich variierende Volatilität zu modellieren. Dafür erfand er den Begriff "autoregressive bedingte Heteroskedastizität" (ARCH).

Diese Modelle sind nach Ansicht des Preiskomitees "unverzichtbare Werkzeuge" nicht nur für Forschern, sondern auch für Finanzanalysten geworden, die sie unter anderem zur Risikobewertung verwenden.

Die meisten makroökonomischen Variablen wachsen einem unsystematischen Trend folgend, so dass zufällige Störungen, etwa des BIP, auf lange Sicht erhalten bleiben.

Nicht-stationär

Derartige Zeitreihen werden nicht-stationär genannt. Sie unterscheiden sich von stationären Zeitreihen, die nicht mit der Zeit wachsen, sondern sich um einen vorgegeben Wert herum bewegen.

Clive Granger zeigte früh, dass statistische Methoden für stationäre Zeitreihen bei nicht-stationären Daten völlig fehlleitende Schlussfolgerungen ergeben können. Seine Entdeckung war, dass spezifische Kombinationen von nicht-stationären Zeitreihen stationär auftreten können und somit statistische Schlussfolgerungen zulassen. Granger nannte dieses Phänomen Kointegration.

Seine Methoden sind hilfreich etwa bei der Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Vermögen und Konsum, Wechselkursen und Preisniveau oder kurzfristigen und langfristigen Zinssätzen.

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