Wirtschafts-Lobbyismus:Die Einflüsterer

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Wie Interessenvertreter der Wirtschaft immer raffinierter versuchen, in Berlin Politiker zu beeinflussen - und warum das schlecht für den Mittelstand ist.

Marc Beise

Das Schöne am politischen Berlin seien die Partys - sagen die, die nur zu Besuch kommen und sich nicht beinahe täglich auf Empfängen, Konzerten und Jahresversammlungen die Beine in den Bauch stehen. Politik trifft Wirtschaft, dieses Motto gilt an vielen Tagen des Jahres. Mit dem Weinglas in der Hand lassen sich leicht Geschäfte machen, lautet das Klischee über die Interessenvertreter der Wirtschaft im Dunstkreis des Gesetzgebers. Sie pendeln zwischen den Achsen der Macht in Berlin, vom Kanzleramt Richtung Osten und zurück, kleiner Abstecher ins Café Einstein inbegriffen. Spötter nennen den traditionsreichen Boulevard Unter den Linden schon einmal "Straße unter den Lobbyisten".

Die Frau im Kanzleramt hat wenig übrig hat für die ganze Verbandsmeierei - die wichtigen Gespräche führt sie im Kanzleramt, wohin sie die Chefs der großen Konzerne bestellt. (Foto: Foto: dpa)

"Wir hören voneinander!"

Die Wirklichkeit ist grauer. Die wenigsten Absprachen werden wirklich en passant am Büfett besiegelt, wohl aber kommt man sich dort näher. Wer seine Kontaktdaten an mehr oder weniger einflussreiche Politiker und andere Entscheider losgeworden ist, hat schon mal die erste Hürde genommen, Einfluss zu bekommen. Von nun an ist man in Kontakt: "Wir hören voneinander!" Lobbyismus: Das Wort kommt von englisch lobby für Vorraum und gilt laut Brockhaus als Synonym für die Beeinflussung von Politikern (Abgeordneten) durch Interessenvertreter. Keine Hauptstadt der Welt kommt ohne Lobbyisten aus. Eigentümlich nur, dass man offiziell keinem von ihnen je in Berlin begegnet.

Stattdessen stellen sich die Gesprächspartner ausweislich ihrer Visitenkarte als Berater, Repräsentant, Geschäftsführer oder Public-Affairs-Manager vor. Sie arbeiten für Verbände, Anwaltskanzleien, Unternehmensberatungen, Kommunikationsagenturen. Mehrere tausend Interessenvertreter vor allem aus der Wirtschaft sind in Berlin unterwegs, es mögen schon 5000 sein, in der europäischen Hauptstadt Brüssel spricht man sogar von 15.000 Einflüsterern.

Verbände verlieren Einfluss

Klassisch vertreten vor allem allgemeine Verbände die Interessen der Wirtschaft. Die drei Spitzenvereinigungen der Arbeitgeber, der Industrie und der Kammern haben sich in Ost-Berlin sogar einen gemeinsamen Glaspalast gebaut, wobei dort jeder Präsident mit seinem Hauptgeschäftsführer und der ganzen Entourage in einem eigenen Flügel residiert. Noch - muss man ja sagen, weil BDA und BDI sich zäh um eine Fusion bemühen. Erstens weil das Kosten spart, worauf die Mitgliedsfirmen drängen, und zweitens, weil es womöglich die Kraft des Argumentes gegenüber der Regierung stärkt, mit einer Stimme zu sprechen. Denn es ist unübersehbar, dass die drei Großen BDA, BDI und DIHK an Einfluss verloren haben. Ziemlich ratlos irrlichtern ihre Vertreter durch Berlin, regen hier dieses an und warnen dort vor jenem - und stoßen bei der Großen Koalition aus Union und SPD doch im Wesentlichen in Watte. Was auch daran liegt, dass die Frau im Kanzleramt wenig übrig hat für die ganze Verbandsmeierei.

Brav kommt zwar Angela Merkel noch zu den Jahrestagungen von BDI und BDA, aber die wichtigen Gespräche führt sie im Kanzleramt, wohin sie die Chefs der großen Konzerne bestellt. Das ist ganz wie bei Vorgänger Gerhard Schröder, nur dass es bei Frau Kanzlerin weniger krachledern zugeht als damals in den berüchtigten Rotweinrunden.

Der Bedeutungsverlust der Allgemeinverbände und die wachsende Bedeutung von individuellen Firmenvertretungen bedingen sich. Es mögen schon 100 oder 150 Konzerne sein, die so in Berlin vertreten sind; im guten alten Bonn gab es kaum ein Dutzend. Die Chefs der Berliner Repräsentanzen nennen sich gerne "Außenminister" ihrer Firma - nur eben bitte nicht Lobbyist. Denn das würde nach unseriösem Geschäftsgebaren klingen, nach Dunkelmännertum, Strippenzieherei. Dabei sind die Kontakte sinnvoll - und vom Gesetzgeber gewollt. Beim Deutschen Bundestag in Berlin sind knapp 2000 Gruppen registriert. Das garantiert einen Hausausweis fürs Parlament und die Möglichkeit, bei Anhörungen zu Wort zu kommen; kurz, es ist die Lizenz, offiziell Einfluss nehmen versuchen zu dürfen.

Politiker geben zu, Beratung zu brauchen

Die Politiker selbst geben zu, Beratung zu brauchen. So kompliziert sind mittlerweile die Gesetzgebungsverfahren im Steuerrecht, bei der Gesundheit, im Umweltbereich, dass es ohne den vorherigen Rat der Wirtschaft gar nicht geht. Die Experten transportieren die Praxiserfahrungen: Wird die Gesetzesänderung so funktionieren, wie der Gesetzgeber es will? Wird die Wirtschaft, wird das einzelne Unternehmen überfordert: Gut gemeint, schlecht regiert? Dies zu verhindern, ist der hehre Aspekt des Lobbyismus. Fragwürdig wird das Verfahren, wenn die Vorstellungen ungefiltert in die Gesetzgebung einfließen - was vorkommt und dann von aufmerksamen Kritikern des Systems punktgenau entlarvt und aufgespießt wird.

Wenn nicht alles trügt, verschwimmt die Grenze zwischen Staat und Interessengruppen immer mehr - auch weil die Lobbyisten immer professioneller agieren. Es ist kein Zufall, dass in den vergangenen Jahren immer mehr Journalisten der Verlockung des etwas größeren Geldes gefolgt sind und die Seite gewechselt haben. Für die Firmen sind die früheren Journalisten Gold wert. Sie kennen sich im politischen System aus, sind bestens vernetzt und routiniert in der Informationsbeschaffung und -weitergabe.

Große Schlachten sind selten geworden

Erstaunlich ist doch, wie einfach der Wechsel manchmal funktioniert. Gestern schrieben sie über Rente oder Parteipolitik, heute vertreten sie die Interessen von Großkonzernen gegenüber der Politik - und das Ganze möglichst unauffällig, versteht sich. Nur abends an der Hotelbar, wenn Vertraulichkeit garantiert wird, brüstet man sich schon einmal des konkreten Einflusses auf sehr konkrete Gesetze und beziffert nicht ohne Stolz die Millionensumme, die man seinem Unternehmen durch die Streichung eines Halbsatzes im Entwurf des Änderungsgesetzes gespart hat. Dass man eigentlich immer noch Journalist sei, eigentlich auch immer noch wie ein solcher arbeite ("Fakten sammeln und ordnen"), klingt dann doch ein wenig unglaubwürdig.

Beschäftigung finden auch ehemalige Politiker, gerne mit ministerialer Erfahrung, denen besonders bei den immer zahlreicheren Beratungsfirmen gut dotierte Posten winken. Und sie alle haben genug zu tun, weil die Politik immer kurzatmiger geworden ist, immer kleinteiliger und man an vielen Stellen Einfluss nehmen kann, wenngleich immer nur ein bisschen und sehr detailliert.

Große Schlachten sind selten geworden in Angela Merkels Berlin. Große Lösungen brauchte der Mittelstand, für den die Rahmenbedingungen stimmen müssen und weniger die Details. Hier geht es um die Senkung der Steuer- und Abgabenlast oder den Rückschnitt der Bürokratie. Diese Themen aber haben keine erfolgreiche Lobby in Berlin.

© SZ vom 16.02.2008/ang - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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