Wirtschaftkrise:Argentinien verliert seinen Stolz

Generalstreik gegen die Wirtschaftspolitik in Argentinien

Die Wut der Argentinier über die Politik der Regierung steigt, hier ein Bild vom Generalstreik gegen die Wirtschaftspolitik im Sommer.

(Foto: dpa)
  • Argentinien kämpf mit einer Wirtschaftkrise. Staatschef Mauricio Macri versucht dabei vor allem, Anleger zufrieden zu stellen.
  • Doch die Krise und der neue Wertverlust der Landeswährung Peso treffen vor allem die Bürger. Die Mittelschicht kann sich das Leben nicht mehr leisten.
  • Die Zentralbank griff am Donnerstag zu einer drastischen Maßnahme und erhöhte den Leitzins auf 60 Prozent.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Es sollte wohl eine große Ruckrede werden, ein Signal der Stärke mit klarer Botschaft: Vertraut mir! Aber jene Fernsehansprache, die der argentinische Staatschef Mauricio Macri, 59, am Mittwoch nervös und unausgeschlafen vom Teleprompter ablas, war weder groß noch stark, und die Botschaft ging komplett nach hinten los. Seither ist endgültig klar: Nicht nur die meisten Argentinier, auch die sogenannten Märkte haben ihr Vertrauen in diesen Präsidenten verloren.

Macris knapp zweiminütige Minirede enthielt neben allerlei Durchhalteparolen ("Wir werden alles Nötige tun, um vorwärtszukommen") eine klare Aussage: Bereits vereinbarte Finanzhilfen vom Internationalen Währungsfonds (IWF) sollen vorzeitig ausgezahlt werden. Dahinter steckte ohne Zweifel die Idee, die seit Wochen andauernde Talfahrt der Landeswährung Peso zu stoppen oder zumindest abzubremsen. Unmittelbar nach Macris TV-Auftritt geschah aber genau das Gegenteil. Der Peso gab binnen Stunden um 8,2 Prozent nach und landete am Donnerstagmorgen bei 39 Peso pro Dollar. Das ist der tiefste Stand seit der Staatspleite von 2001/2002.

Den Verfall stoppte die Notenbank zunächst, weil sie den Leitzins von 45 auf 60 Prozent anhob. Der Ökonom Juan Ignacio Fernández machte in der Zeitung La Nación noch auf einen weiteren Negativrekord aufmerksam: "Erstmals seit seiner Einführung ist der argentinische Peso weniger wert als der uruguayische Peso." Das mag angesichts der dramatischen Gesamtsituation wie eine Randnotiz klingen. Aber wer die stolzen Argentinier kennt, ahnt: Auch das schmerzt sehr.

Schmerzhaft ist die Lage in Argentinien für Millionen von Menschen schon sehr lange. Seit Macris Amtsantritt im Dezember 2015 ist das Leben dort auch für die Mittelschicht nahezu unerschwinglich geworden. Über das laufende Jahr gerechnet hat der Peso bereits 82 Prozent seines Werts verloren. Die Inflation sollte 2018 laut der ursprünglichen Ankündigung der Regierung bei knapp 16 Prozent "stabilisiert" werden. Inzwischen ist in den optimistischsten Kalkulationen von 32 Prozent die Rede. Nimmt man den Sonderfall Venezuela aus, ist das die mit Abstand schnellste Geldentwertung der Region, und auch eine der schnellsten weltweit. Was Macri falsch gemacht hat? Das fragt er sich wohl auch zunehmend selbst. In seiner TV-Ansprache gab er einen "Vertrauensverlust der Märkte" zu. Es war ein Eingeständnis seines Scheiterns.

Denn um genau dieses Vertrauen wiederherzustellen, war er, der Großunternehmer und Multimillionär, schließlich angetreten. Nach zwölf Jahren der linkspopulistischen Regierungen unter Néstor und Cristina Kirchner, die ganz im Zeichen der Autarkie standen - zum Teufel mit den Börsengeiern und Finanzhaien, wir versorgen uns selbst! -, wollte Macri sein Land wieder zu einem verlässlichen internationalen Geschäftspartner machen. Im Ausland wurde er für seinen "mutigen Reformkurs" gefeiert. Und tatsächlich war er alles andere als untätig. Er beendete den scheinbar endlosen Streit mit US-amerikanischen Hedgefonds, baute Subventionen ab und liberalisierte den Dollarkurs. Vor allem aber bezahlte er - ganz nach der Logik der Finanzmärkte - Schulden, um wieder neue Schulden aufnehmen zu dürfen.

argentinischer peso

Macris seriöses Auftreten, vor allem im Vergleich zu seiner exzentrischen Vorgängerin, gefiel Politikern, Anlegern und Investoren in aller Welt. Übersehen wurde dabei, dass er die strukturellen Schwächen seines Landes nie in den Griff bekam: die Inflation, das Haushaltsdefizit, die Staatsverschuldung. Auch aus dem angekündigten Wachstum von 3,2 Prozent für 2018 wird definitiv nichts. Macri muss schon froh sein, wenn die Rezession nicht allzu stark ausfällt.

Zu Hause in Argentinien wurde dieser Präsident von Anfang an viel kritischer betrachtet, denn der Reformkurs hatte einen hohen Preis. Argentinien entwickelte sich zum teuersten Land Lateinamerikas. Einer Studie zufolge rutschen allein in den ersten anderthalb Jahren der Macri-Regierung 1,4 Millionen Menschen in die Armut ab. Nicht nur der aus Argentinien stammende Papst forderte deshalb "mehr Sensibilität" für die sozialen Probleme des Landes.

Mit dem IWF ist in Argentinien ein nationales Trauma verbunden

Mauricio Macri aber verwendete den größten Teil seiner Sensibilität stets auf die Bedürfnisse der Anleger. Und es hat schon eine tragische Note, dass ihn genau diese Anleger jetzt im Stich lassen. Sicherlich gibt es "internationale Turbulenzen", wie er zu seiner Selbstverteidigung anführt. Steigende Zinsen in den USA und die Stärke des Dollars setzen auch andere Schwellenländer wie die Türkei oder Indien unter Druck. Aber die jüngste Kapitalflucht aus Argentinien ist besonders dramatisch. Mitte Mai sah Macri deshalb keine andere Lösung mehr, als den IWF um Hilfe zu bitten. Das dürfte die schwerste Entscheidung seiner Präsidentschaft gewesen sein, denn mit dem IWF ist in Argentinien ein nationales Trauma verbunden. Die an harte Sparpläne geknüpften Kredite gelten dort als Hauptgrund für jene Schuldenkrise, die Ende 2001 in den Staatsbankrott führte.

Gegen alle Widerstände einigte sich Argentinien mit dem IWF trotzdem auf einen neuen Kredit von 50 Milliarden Dollar, von denen 15 Milliarden bereits ausgezahlt wurden. Der Rest sollte über eine dreijährige Laufzeit verteilt werden. Wenn alles gutgehe, hatte Macri neulich noch angedeutet, würde er sogar ganz darauf verzichten. Dass er das Geld nun sofort braucht, zeigt auch dem optimistischsten Anleger: So wirklich gut geht es gerade nicht.

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