Süddeutsche Zeitung

Griechenland:Warum die deutsche Wirtschaft die Krise gelassen sieht

  • Die Krise in Griechenland lässt die deutsche Wirtschaft weitgehend ungerührt.
  • Die Gründe dafür: Das Land ist relativ klein, entsprechend wenige Exporte gehen dort hin, deutsche Firmen haben sich wegen der Krise bereits zurückgezogen.
  • Allerdings könnte sich die Stimmung wenden, wenn Griechenland aus der Währungsunion aussteigen würde und die Krisen in anderen Staaten wieder aufflammen.

Von Thomas Fromm, Alexander Hagelüken und Michael Kuntz

Am Ende müsste es dann ziemlich schnell gehen. Griechenlands Zentralbank meldet an die Regierung: Nach den Milliarden-Abhebungen der vergangenen Tage sitzen unsere Banken allmählich auf dem Trockenen, Wirtschaft und öffentlichem Leben droht der Stillstand. Athens Regierung meldet an die EU: Nichts geht mehr. Ein Dringlichkeitsgesetz wird durchgepeitscht, dann kann es losgehen: Banken werden kurzfristig geschlossen, Online-Überweisungen blockiert, Auslandsüberweisungen überwacht, Geldautomaten auf begrenzte Beträge umgestellt. Noch ist es nicht so weit. Aber es könnte bald so passieren. Wenn Geld nicht mehr frei fließt, nennt man das Kapitalverkehrskontrollen.

Griechenland am Freitag: Bürger plündern ihre Konten, Milliarden fließen ab, der Staatsbankrott droht - und die deutsche Industrie ist: gelassen. "Kapitalverkehrskontrollen in Griechenland sind längst überfällig, um die massive Kapitalflucht aufzuhalten", sagt Außenhandelsverband-Präsident Anton Börner der SZ. Es sei ein Thema, mit dem die deutsche Wirtschaft "relativ entspannt" umgehe. Griechenland wird von Unternehmern vor allem als politisches Problem gesehen: Sollte das Land in die Insolvenz schlittern oder aus dem Euro fallen, wären vor allem die sozialen Folgen unvorhersehbar. Denn das Land ist abhängig von Importen - von Maschinen über Arzneimittel bis hin zur Energieversorgung. Die lokale Wirtschaft würde zum Erliegen kommen.

Ernst wird es, wenn die Krise weitere Staaten erfasst

"Für die meisten deutschen Unternehmen ist das aktuelle Hickhack kein großes Thema, weil Griechenland so ein kleines Land ist", sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. So gehen nur 0,44 Prozent der deutschen Exporte in den kriselnden Staat. Dort investieren will kaum noch einer. Griechenland, das ist für die deutschen Unternehmen schon lange kein Markt mehr. Und wenn, dann wird nach den Regeln der Exporteure gespielt: "Die Griechen können ihre Rechnungen in den meisten Fällen eh nicht zahlen, daher werden viele Firmen nur noch nach Vorkasse beliefert", sagt Außenhandelsexperte Börner.

Die deutschen Banken haben ihre Kredite drastisch reduziert. Ausländische Geldhäuser hielten Ende 2014 nur noch Forderungen von 47 Milliarden Euro gegen Griechenland, einst waren es 300 Milliarden Euro. An den Finanzmärkten herrsche die Meinung vor, dass das Land im Euro bleibe, sagt Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank. Kater selbst sieht eine 50-Prozent-Chance für einen Ausstieg aus dem Euro und hat das Szenario mit seinen Analysten durchgespielt. Fazit: An den Finanzmärkten kommt es zu Schwankungen, auch weil sich ein Grexit über verschiedene Stadien wie Kapitalkontrollen und Parallelwährung monatelang hinziehen würde. Es gebe aber keinen dauerhaften negativen Effekt, auch nicht für die deutsche Wirtschaftsleistung.

"Wenn die Währung bröckelt, wackeln die Grundfesten"

Aber was ist, wenn der griechische Ausstieg einen Dominoeffekt auslöst? Könnte die Krise in Spanien oder Portugal wieder aufflammen? Dieses Risiko ist deutlich geringer als vor ein paar Jahren, darüber sind sich viele Ökonomen einig. Europas Banken sind kaum noch mit Griechenland verflochten. Falls es doch zu einer Ansteckung anderer Staaten kommen sollte, drohen dramatische Folgen. Misstrauen die Finanzmärkte auf einmal Spanien oder Italien, fallen die Kurse der Staatsanleihen und die Finanzierung verteuert sich; Sparer könnten ihre Konten plündern, weil sie die Umwandlung harter Euros in eine nationale Weichwährung fürchten. "Wenn die Währung bröckelt, wackeln die Grundfesten", warnt Jörg Krämer. "Dann steht die Wirtschaft still wie nach der Pleite von Lehman Brothers."

Das würde auch deutsche Unternehmen treffen. Denn dann ginge es nicht mehr nur um Griechenland. "Italien ist eine andere Größenordnung", sagt Börner. Trotz aller Unsicherheiten: Über Notfallpläne wollen Deutschlands Manager noch nicht sprechen - "dafür ist es noch zu früh, so weit sind wir noch nicht", heißt es aus einem großen Industrieunternehmen.

Einen Notfallplan gibt es nicht

Selbst in der Tourismusbranche bleiben die Führungskräfte gefasst. "Nein, es gibt keinen Notfallplan, und auch unser Krisenstab wird erst tagen, wenn es wirklich eine Krise gibt", sagt Mario Köpers von der Tui, dem größten deutschen Reiseveranstalter. Die Leistungen aller wichtigen Hotels seien eingekauft und werden bargeldlos beglichen. Daher habe die Tui auch keine Angst vor Kapitalverkehrskontrollen. "Unsere Hoteleinkäufer reisen nicht mit Geldkoffern durch die Gegend."

Käme es zu einer Umstellung der Währung auf die Drachme, würde deren vermutlich deutliche Abwertung die Nebenkosten im Land, etwa für Speisen, sogar senken, heißt es bei Thomas Cook. Man gehe ohnehin davon aus, dass selbst bei einer Währungsumstellung der Euro weiter akzeptiert werde. Beim Deutschen Reiseverband DRV sieht man es so: Wer jetzt nach Griechenland reise, leiste "einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der Lage". Laut der Umfrage eines griechischen Tourismusverbandes gibt es bei einigen Veranstaltern für den Sommer sogar deutlich mehr Buchungen als im Vorjahr. Tui-Manager Markus Stumpe schränkt allerdings ein: "Die Nachfrage könnte sogar noch besser sein, wenn wir die Grexit-Debatte nicht hätten."

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SZ vom 20.06.2015/sana
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