Süddeutsche Zeitung

Konjunktur:Deutschland braucht dringend einen großen Plan

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Die Wirtschaft schwächelt, aber der Staat macht einen Rekord-Überschuss. Jetzt sind Investitionen nötig, um Bildung, Mobilität und digitale Infrastruktur zu verbessern.

Kommentar von Alexander Hagelüken

Wenn ein Haus in die Jahre kommt, zeigen sich überall Risse. Das Dach leckt, die Heizung ächzt. Knausrige Besitzer übertünchen dies gerne mit ein paar Alibireparaturen, aber irgendwann fällt ihnen das auf die Füße. In dieser Situation steckt die deutsche Wirtschaft, auch wenn das mancher nach dem außergewöhnlichen Boom der vergangenen Dekade nicht wahrhaben will.

Die Herausforderungen türmen sich, vom Umbruch der Autoindustrie bis zum chinesisch-amerikanischen Griff nach ökonomischer Weltherrschaft. Das Deutschland-Haus braucht keine Alibireparatur, sondern eine Sanierung. Sonst werden die 2020er-Jahre nicht so golden wie die vergangene Dekade, sondern so grau wie ein verschmuddelter Altbau.

Am Mittwoch wurde bekannt, dass die deutsche Wirtschaft 2019 so schwach wuchs wie seit der Finanzkrise nicht. Dieses Jahr wird kaum besser. Die Störfeuer der Weltwirtschaft halten an, vom Brexit über den Iran-Konflikt und Chinas schrumpfendes Wachstum bis zu Donald Trumps Handelskrieg - das neue Teilabkommen der USA mit China löst keinen der fundamentalen Streitpunkte.

In dieser Lage sollten deutsche Politiker und Firmen die Volkswirtschaft mehr von den internationalen Einflüssen abschirmen. In dem sie den Konsum stärken, der die Konjunktur gerade noch stützt. Trotz des langen Booms schrumpfte das Einkommen, das Arbeitnehmer wirklich verfügbar haben. Dies lässt sich durch Steuersenkungen für die breite Masse ändern. Und durch eine Einsicht: Auskömmliche Löhne auch bei Dienstleistungen sind kein Luxus, sondern regen den Konsum an. In Deutschland wuchert einer der größten Niedriglohnsektoren des Kontinents. Für Europas ökonomische Lokomotive ist das peinlich.

Reagieren müssen Politik und Firmen auch auf die grundsätzlichen Herausforderungen. Zu sehr haben sie sich daran gewöhnt, dass die deutsche Exportindustrie den Weltmarkt rockt. Dieser Erfolg kam aber nicht von selbst. Er war Ergebnis betrieblicher Mühen, politischer Reformen wie der Agenda 2010 und der Euro-Einführung, die Exporte in Europa vereinfachte. In den letzten Jahren ruhte man sich auf diesen Anstrengungen vielfach aus. Die Regierung verschlief Investitionen in die Zukunft, die Autoindustrie den Wandel zur Elektromobilität. Nun braucht es neue Anstrengungen - und neues Denken.

Den Autoherstellern wird nur die Erkenntnis helfen, dass Erfolge von gestern nicht Erfolge von morgen garantieren. Dabei ist auch die Politik gefragt. Die Deutschen bilden sich etwas auf die Tradition ein, wonach sich der Staat aus unternehmerischen Entwicklungen heraushält. Industriepolitik gilt als bäh. Doch das wirkt überholt angesichts epochaler Umbrüche wie in der Autoindustrie - und des Elans, mit der Chinas Regierung Hunderte Milliarden in Zukunftsbranchen pumpt.

Statt der EU-Kommission beizuspringen, zickt die Bundesregierung beim Geld

Initiativen wie jene von Wirtschaftsminister Peter Altmaier, die heimische Produktion von Batteriezellen zu fördern, zeigen ein Umdenken. Davon braucht es mehr, und in größerem Maßstab. Das lässt sich daran erkennen, wie die wirtschaftlichen Supermächte China und die USA vorgehen. Beide greifen nicht nur zu massiven Subventionen, sondern auch zu massiven Repressionen gegen Konkurrenten, um die wirtschaftlich-technologische Vorherrschaft zu erringen. Sie tun dies mit einer politisch-finanziellen Macht, die ein kleinerer Einzelstaat wie Deutschland niemals hat. Die Antwort auf das sino-amerikanische Dominanzstreben lässt sich also nur europäisch geben.

Donald Trump wird vor Zöllen auf europäische Autos zurückschrecken, wenn die EU ihm klarmacht, dass sie dann die US-Digitalkonzerne hart besteuert. Auch Industriepolitik wird nur im EU-Maßstab effektiv. Warum nicht den Brüsseler Klimaplan nutzen, um Europas Firmen global zu grünen Vorreitern zu machen?

Doch statt der deutschen Chefin der EU-Kommission beizuspringen, zickt die Bundesregierung beim Geld. Sie sollte europäischer denken. Das zeigt sich auch bei einer weiteren Lehre, die sie aus der Konjunkturflaute ziehen sollte. Während die Wirtschaft schwächelt, quellen die staatlichen Kassen über - 50 Milliarden Euro Überschuss 2019. Das wäre genau der richtige Moment für einen langfristigen Investitionsplan, um Bildung, Mobilität und digitale Infrastruktur zu verbessern. Dies liefert deutschen Firmen konjunkturelle Impulse, aber auch Unternehmen aus anderen EU-Staaten. Die Bundesregierung würde damit endlich Europa als jene gemeinsame Wirtschaftsmacht begreifen, die Deutschland am ehesten goldene 2020er-Jahre bescheren kann.

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SZ vom 16.01.2020
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