Wirtschaft und Sprache:Ökonomisierung des Duden

Die neue Auflage des Duden enthält 5000 neue Wörter: Ob E-Bike oder Eurobonds, ob Schuldenbremse oder Fiskalpakt - ein großer Teil der frischen Duden-Wörter hat einen ökonomischen Hintergrund. Die SZ hat acht von ihnen unter die Lupe genomomen.

Von Varinia Bernau, Harald Freiberger, Martin Mühlfenzel und Ulrich Schäfer

Die letzte Auflage des Duden erschien im Jahr 2009, die neue, die 26. Auflage, ist seit dieser Woche käuflich erhältlich. 140.000 der insgesamt 500.000 Wörter sind im Standard-Wörterbuch der deutschen Sprache zu finden. 5000 davon wurden verändert oder neu aufgenommen. Die Duden-Redaktion gibt nur einen kleinen Teil davon, etwa 150 Wörter, bekannt. Die restlichen müsste man sich im Wege eines Vorher-Nachher-Vergleichs selbst heraussuchen.

Um die Orientierung zu erleichtern, hat die SZ die bekannten neuen Wörter schon einmal gesichtet und dabei drei übergreifende Trends festgestellt: Erstens haben viele neue Wörter damit zu tun, dass sich der Siegeszug des Internet in den vergangenen vier Jahren dramatisch verschärft hat. Das geht, zweitens, mit einer ungeheuren Zunahme englischer Wörter einher. Drittens spielen die Finanzkrise und die europäische Schuldenkrise eine entscheidende Rolle. Ob E-Bike oder Eurobonds, ob Social Media oder Shitstorm, ob Schuldenbremse oder Fiskalpakt - ein großer Teil der neuen Duden-Wörter hat einen ökonomischen Hintergrund.

Politische und gesellschaftliche Entwicklungen wie die Jasminrevolution oder der Wutbürger werden an den Rand gedrängt. Der Duden war immer ein Spiegel seiner Zeit. Was sagt es aus, dass er in den vergangenen Jahren zunehmend ökonomisiert wurde? In welchen Zeiten leben wir eigentlich? Die SZ beschreibt das am Beispiel von acht neuen Wörtern.

har|tzen

Es gibt in Deutschland viele große Auszeichnungen: Man kann das Bundesverdienstkreuz bekommen, den Bayerischen Verdienstorden, den Orden wider den tierischen Ernst. Oder aber ein eigenes Verb. Die jetzige Bundesjustizministerin wird nie ein eigenes Verb bekommen, selbst wenn sie Großes vollbringen sollte. Leuthesserschnarrenbergern? Funktioniert nicht. Zu lang. Reicht also nur fürs Bundesverdienstkreuz. Peter Hartz, einst Personalchef bei VW, hat auch mal das Bundesverdienstkreuz bekommen, es dann aber freiwillig zurückgegeben. Wegen der Huren und anderer unschöner Dinge. Aber was schert das schon die Duden-Redaktion? Neun Einträge hat sie Gerhard Schröders oberstem Arbeitsmarktreformer in den vergangenen Jahren schon gewidmet (vgl. unter anderem: Hartz, das , Hartz-Kommission, die; Hartz-IV-Familie, die; Hartz-IV-Leistung, meist Plur.).

Und nun also noch das eigene Verb: hartzen. Walter Riester, Schröders Arbeitsminister in der Vor-Hartz-Ära, brachte es bislang trotz großartigster Reformanstrengungen nur auf einen Eintrag, der ihm gewidmet war: Riester-Rente. Nun aber bekommt auch Riester (nicht zu verwechseln mit Riester, der; -s >veraltet für Lederflicken auf dem Schuh>) sein eigenes Verb: riestern (ugs. für eine Riester-Rente ansparen).

Fehlt also im Duden nur noch ein Eintrag für Gerhar Schröder. Im Internet gibt es dafür - mit Verweis auf dessen Fernsehauftritt am Abend der Bundestagswahl 2005 - schon einen Vorschlag: schrödern (niemals aufgeben, auch nicht in aussichtsloser Position); nicht zu verwechseln mit: wulffen (sich aus etwas herausreden, ohne die ganze Wahrheit zu sagen).

Adden

schwaches Verb - "(in sozialen Netzwerken im Internet) zu den eigenen Kontakten hinzufügen" Um sein Adressbüchlein stets aktuell zu halten, musste man einst mühsam die alte Anschrift seiner Freunde und Familienangehörigen mit dem Radiergummi entfernen. Wenn man Pech hatte, war das Papier bald so dünn, dass die neue Anschrift keinen Platz mehr darauf fand. Heute reicht ein Klick. Wieder und wieder. Diese segensreiche Technologie stammt von den Amerikanern. Zum Dank nutzen Deutsche dafür dann eben auch gleich noch deren Sprache. Wer sich an den Duden hält, der -> rankt (wenn er bewertend einstuft) und er -> streamt (wenn er Bild und Ton in Echtzeit überträgt). Kulturpessimisten können dennoch beruhigt sein: Wenn eine Firma etwas auslagert, dann wird sie dies in Zukunft nicht mehr nur outsourcen, sondern durchaus auch -> fremdvergeben.

QR-Code

"zweidimensionaler, aus Punkten zu einem Quadrat zusammengesetzter, elektronisch lesbarer Code; Herkunft: englisch quick response für schnelle Antwort" Die Menschen sind ungeduldig geworden. Wer heutzutage durch einen botanischen Garten schlendert, der will sofort wissen, was denn das da bitteschön für ein Baum ist. Niemand will mehr warten, bis er zu Hause in einem Lexikon nachschlagen könnte. Deshalb prangen in Parks ebenso wie in Museen und Zeitschriften und an Fahrscheinautomaten und Weinflaschen diese rätselhaft miteinander verwobenen Punkte in Schwarz-Weiß-Optik. Entschlüsseln kann diese das Smartphone, das dann ein paar mehr oder weniger erhellende Erklärungen ausspuckt. Entwickelt wurde der QR-Code übrigens schon Mitte der Neunzigerjahre. Damals sollte er die Fertigung bei Toyota erleichtern.

Schuldenbremse

"Gesamtheit von Maßnahmen, die die Schulden reduzieren sollen" Die Idee ist genial: Wenn die Staaten doch alle unter hohen Schulden leiden, warum fängt nicht mal einer damit an, sie zu bremsen? Der Begriff wurde unter der schwarz-roten Bundesregierung erfunden, die schwarz-gelbe machte ihn zum Gesetz. Nun ist fest vorgeschrieben, dass Deutschland mit der Zeit immer weniger Schulden und irgendwann mal gar keine mehr machen soll. Bisher hält Finanzminister Wolfgang Schäuble auch alles ein. Er fand die Idee so genial, dass er sie in ganz Europa durchsetzte. Das nennt sich -> Fiskalpakt und ist seit 1. Januar 2013 in Kraft. Ob es vor allem die südeuropäischen Staaten schaffen, ihn einzuhalten, steht in den Sternen. Klappt es nicht, droht eine sich verschärfende -> Schuldenfalle und als letztes Mittel der -> Schuldenschnitt.

E-Bike - ESM

E-Bike: "Fahrrad mit elektrischem Hilfsmotor; (umgangssprachlich) Elektrorad; (Jargon) E-Bike" - ESM: "Europäischer Stabilitätsmechanismus (Maßnahmen zur wirtschaftlichen Stabilisierung der Eurozone)" Man hat mitunter den Eindruck, dass Peter Altmaier die Sache mit der Energiewende entglitten ist. Schade. Denn man könnte all die Sachen, die in der neuen Auflage des Dudens aufgelistet sind, gar nicht nutzen, wenn Deutschland mal der Strom ausgehen sollte. Gleich fünf neue Einträge beginnen mit einem großen E, gefolgt von einem Bindestrich und einem Begriff für etwas, wozu es bislang keine Steckdose brauchte. In die Pedale treten, womöglich bergauf, ist den Deutschen zu anstrengend geworden. Steigen sie eben aufs -> E-Bike. Verlage pressen ihre Werke nicht mehr zwischen zwei Buchdeckel, sondern in Dateien. Heißt dann -> E-Publishing und wird dem Leser auf dem -> E-Book-Reader dargeboten. Auch Fahrkarten werden nicht mehr gedruckt. Auf Reisen geht's per -> E-Ticket. Und rauchen? Ach, dazu muss man inzwischen ja vielerorts sogar vor die Tür. Oder auch nicht. Die Stursinnigen halten's wie Helmut Schmidt; die Aufgeschlosseneren greifen zur -> E-Zigarette.

Nicht zu verwechseln ist dieser ganze Elektrokram allerdings mit -> ESM (Maßnahmen zur wirtschaftlichen Stabilisierung der Eurozone) oder -> EFSF (Kreditinstitut zur Stützung finanziell angeschlagener Staaten der EU). Für die Zukunft aber sind diese beiden neuen E-Wörter ohne Bindestrich mindestens genauso wichtig wie die Energiewende. Denn wenn es Europa nicht gelingt, seine Schulden zu senken, dann sieht es auf dem Kontinent ziemlich duster aus. Ökostrom hin oder her. Wem all die Abkürzungen, die sich im Zuge der Euro-Krise ihren Weg in unsere Sprache gebahnt haben, zu sperrig sind, dem gestattet die Duden-Redaktion nun auch etwas flapsiger vom -> Euro-Rettungsschirm zu sprechen.

Analogschinken

"aus kleinen Fleischstücken und Stärke zusammengesetztes Produkt mit relativ hohem Gehalt an Wasser, das als Schinken verkauft wird" Wenn es ums Essen geht, kennt der Deutsche keinen Spaß, gleichwohl er sich herrlich über Gesichtswurst freuen kann und diese mit Genuss verzehrt. Was aber mittlerweile in vielen Supermärkten als echter Kochschinken angepriesen wird, darf als Mogelpackung bezeichnet werden. Mit Fleischstücken durchsetztes Stärke-Gel, das nur vom Aussehen her an ein Wurstprodukt erinnert, und der Gesichtsmortadella das Lächeln austreibt. Die Politik beanstandet Verbrauchertäuschung; Hersteller, die Mogelpackungen nicht kennzeichnen, müssen mit Bußgeldern rechnen. Zum Lachen ist die Einführung des Analogschinkens nicht. Ebenso wenig der Vorgängerskandal um den -> Analogkäse.

Leergutautomat

"Automat, der leere Pfandflaschen oder Ähnliches aufnimmt und einen Bon für das zu erstattende Pfandgeld ausgibt" Es ist nicht lange her, da erfasste den Kunden an Supermarktkassen die reine Ratlosigkeit. Vor der Reform des -> Einwegpfands 2006 glich die Suche nach einer Abgabestelle für Leergut dem Aufenthalt in einem Irrgarten. Doch seit der Gesetzesänderung erkennen Leergutautomaten auch Einwegverpackungen konkurrierender Hersteller an; die Automaten scannen dabei ein Sicherheitslogo auf der Rückseite der Verpackung. Zwar weiß der Kunde nun, wo er welche Flaschen zurückgeben kann. Zeit spart er aber nicht: Meist bilden sich vor den Automaten lange Schlangen, sackweise lassen Kunden ihre Einwegflaschen in den Annahmestellen schreddern. Manche Supermärkte verfolgen gar karitative Ziele: Der Kunde kann am Automat entscheiden, ob er den Bon selbst behält oder einer sozialen Einrichtung spendet.

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