In der Masse der schlechten Nachrichten hilft es vielleicht, sich zu Beginn die eine herauszupicken, die man mit einigem guten Willen positiv interpretieren kann. Also: „Das ist keine richtige Krise“, sagt Klaus Wohlrabe, der Konjunkturexperte des Münchner Ifo-Instituts, am Telefon. Okay, noch mal Glück gehabt. Allerdings schiebt Wohlrabe, bevor man die nächste Frage stellen kann, gleich hinterher: „Das ist ein Schwebezustand der Stagnation“.
Minus 0,1 Prozent. Mit diesem Wert beschreibt das Statistische Bundesamt die Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes (BIP) im zweiten Quartal, also in den Monaten April bis Juni, im Vergleich zum ersten Quartal. Mit der deutschen Wirtschaft geht es abwärts, wenn auch nur leicht. Aber wenn es stimmt, dass Wirtschaft zu 50 Prozent Psychologie ist, wie es der Wirtschaftswunder-Kanzler Ludwig Erhard mal gesagt haben soll, dann hilft an dieser Stelle auch der Verweis auf die offizielle Definition von Rezession nicht viel. Von der sprechen Volkswirte nämlich erst, wenn das BIP zwei Quartale hintereinander zurückgegangen ist. Das, immerhin, ist derzeit noch nicht der Fall. Im ersten Quartal 2024 gab es ein Mini-Plus von 0,2 Prozent, nach einem kleinen Minus von 0,4 Prozent im vierten Quartal des vergangenen Jahres. Schwebezustand der Stagnation.
Mit den minus 0,1 Prozent steht die Wirtschaft schlechter da, als es die meisten Ökonomen erwartet haben. „Die generelle Erwartung von fast allen Instituten war, dass wir so langsam in die Wachstumsphase kommen“, erklärt Wohlrabe. Diese Wachstumsphase lässt jedoch auf sich warten.
Zwei Hauptgründe macht der Experte dafür aus – die Zögerlichkeit der Unternehmen bei neuen Investitionen und die Vorsicht der Verbraucherinnen und Verbraucher beim Konsum. Es gebe bei den Betrieben „eine große Zurückhaltung, in neue Maschinen und Bauten zu investieren“, sagt Wohlrabe. Für hohe Anschaffungen, die sich in der Bilanz erst langfristig bezahlt machen, fehle den Unternehmen derzeit die nötige Planungssicherheit. Das sehen auch andere Experten so. „Das ist keine Durststrecke mehr, das ist eine chronische Wachstumsschwäche“, sagt zum Beispiel Ulrich Kater, der Chefvolkswirt der Dekabank. Viele Konjunkturexperten erkennen in der zum Teil widersprüchlichen, zum Teil zu zögerlichen Wirtschaftspolitik der Ampelkoalition einen dämpfenden Faktor.
Die Inflation legt wieder zu, wenn auch nur sehr leicht
Die Investitionsschwäche in der deutschen Wirtschaft lässt sich auch am Ifo-Geschäftsklimaindex ablesen, einer Umfrage unter 9000 Unternehmen über ihre derzeitige Lage und die Erwartungen für die Zukunft. Der Ifo-Index ist zuletzt dreimal hintereinander gefallen. Besonders schwach entwickelt sich nach Wohlrabes Einschätzung neben der Investitionsgüterindustrie der Bereich Transport und Logistik, der von den negativen Entwicklungen in anderen Branchen nach unten gezogen wird, sowie die Bauindustrie, die mit gleich drei Problemen kämpft: den hohen Zinsen, den gestiegenen Materialkosten und dem Fachkräftemangel.
Etwas widersprüchlicher ist laut Wohlrabe die Lage bei den Verbrauchern. Erst vor wenigen Tagen hatte das Nürnberger Marktforschungsunternehmen GfK berichtet, dass der Konsumklima-Index deutlich gestiegen sei. Allerdings ist unklar, ob das tatsächlich eine nachhaltige Entwicklung oder nur ein möglicherweise durch die Fußball-EM angetriebener Einmaleffekt ist. Dass die Menschen hierzulande noch immer eher zurückhaltend sind, was Ausgaben im Alltag und größere Anschaffungen angeht, erklärt Wohlrabe mit dem „Inflationsgedächtnis“, das in Deutschland besonders stark ausgeprägt sei. Vier Jahre im Dauerkrisen-Modus und die durch die Teuerung erlittenen Einkommensverluste hätten nachhaltig gewirkt.
Da nützt es auch nichts, dass sich die Inflation inzwischen auf einem Niveau bewegt, das bereits ziemlich nah am Zielwert der Europäischen Zentralbank von 2,0 Prozent liegt. Auch hier ergibt sich in den am Dienstag mitgeteilten Zahlen des Statistischen Bundesamtes eine, wenn auch sehr leichte, Verschlechterung. Lag der Wert im Juni bei 2,2 Prozent, so beträgt er für Juli wieder 2,3 Prozent. Während die Energiepreise im Jahresvergleich um 1,7 Prozent gefallen sind und sich Nahrungsmittel nur um 1,3 Prozent verteuerten, wird die Inflation vom Dienstleistungssektor getrieben. Dort ist ein Plus von 3,9 Prozent zu verzeichnen, weil viele Unternehmen die steigenden Personalkosten an die Kundschaft weiterreichen.
Der Vergleich zeigt, dass es in anderen Ländern in der Euro-Zone besser läuft. In Spanien ist die Wirtschaft im zweiten Quartal um 0,8 Prozent gewachsen, in Frankreich um 0,3 Prozent, sogar das lange als wachstumsschwach geltende Italien schaffte ein Plus von 0,2 Prozent.
Mit Material der Nachrichtenagenturen