Konjunktur und Arbeitsmarkt:Der deutschen Wirtschaft fehlen Fachkräfte

Konjunktur und Arbeitsmarkt: Die Arbeitnehmer haben in den Pandemie-Jahren vieles klaglos geschultert - unter anderem auch Kurzarbeit.

Die Arbeitnehmer haben in den Pandemie-Jahren vieles klaglos geschultert - unter anderem auch Kurzarbeit.

(Foto: Rupert Oberhäuser/imago images)

Die Unternehmen gehen mit erstaunlichem Optimismus ins neue Jahr. Doch der Fachkräftemangel macht Sorgen. Manche Firma muss wohl ihre Personalpolitik ändern.

Von Uwe Ritzer, Nürnberg

"Suchen sehr zeitnah" hieß es in der Stellenanzeige, doch bis zur Rückmeldung auf die Online-Bewerbung vergehen fast fünf Wochen. Als Erstes stünde ein Telefoninterview an, klärt die Personalerin des Unternehmens den jungen Maschinenbauingenieur auf. Bestünde er dieses, folge ein Assessment Center und anschließend wären da noch zwei persönliche Vorstellungsgespräche, eines davon in Englisch. Insgesamt zöge sich das alles gut und gerne noch vier Wochen hin, mindestens. Der junge Mann lehnt dankend ab: "Meine Zeugnisse sind so gut, da muss ich mir das nicht antun, dann suche ich mir woanders was."

Beileibe kein Einzelfall. Nach wie vor legen Unternehmen nicht nur bei der Rekrutierung für Akademikerpositionen ein übertriebenes Prozedere an den Tag. Gerade so, als könnten sie wie noch vor einigen Jahren aus einem scheinbar unerschöpflichen Reservoir gut qualifizierter Bewerberinnen und Bewerber schöpfen. Tatsächlich herrscht Fachkräftemangel, der sich akut zuspitzt. Der Nürnberger Bundesagentur für Arbeit (BA) zufolge fehlen bis 2035 gut sieben Millionen Arbeitskräfte - wenn nicht schnell etwas geschieht. Dabei sind schon jetzt so viele Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt wie noch nie in Deutschland, 34,4 Millionen. Und Corona hin oder Lieferschwierigkeiten her - auch 2022 wird die Wirtschaft in Deutschland wachsen und zusätzliche Arbeitskräfte brauchen.

Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat 48 Wirtschaftsverbände nach ihren Erwartungen für das kommende Jahr gefragt. 21 gaben an, dass die bei ihnen organisierten Firmen mehr Personal brauchen werden, darunter die Metall- und Elektroindustrie sowie Pharmaunternehmen. Nur einzelne Sparten, wie die von zunehmender Digitalisierung geprägte Finanzwirtschaft, rechnen damit, dass Stellen wegfallen. Andere, Messeveranstalter und Kreuzfahrtschiffsbauer zum Beispiel, sind vorsichtig mit Prognosen, weil ihre Geschäfte von der Pandemie besonders betroffen sind. Doch knapp die Hälfte der mehr als 2800 vom IW befragten Firmen rechnet 2022 mit mehr Produktions- und größerem Geschäftsvolumen. Unter dem Strich werde der Stellenabbau in einzelnen Branchen durch den Zuwachs in anderen mehr als nur kompensiert, so das IW.

Das Loch zwischen Stellenangebot und -nachfrage schnell größer

So gehe die deutsche Wirtschaft mit "breitem Optimismus" in das kommende Jahr, sagt IW-Chef Michael Hüther. Das Stimmungsbild sei so eindeutig wie noch nie seit es die jährliche Umfrage gebe, heißt es. Das ist die eine Seite. Allerdings mischt sich in die Zuversicht Sorge, sobald es um Personal geht. Das Loch zwischen Stellenangebot und -nachfrage wird in den kommenden Jahren ziemlich schnell immer größer, je mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus den geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge in Renten und Pension gehen. Um gegenzusteuern braucht es nicht nur mehr Flexibilität der Personalabteilungen im Umgang mit Bewerbern.

BA-Chef Detlef Scheele fordert, so viele Menschen wie möglich im Erwerbsleben zu halten, auch weniger Qualifizierte. "Wichtig ist, dass wir möglichst alle potenziellen Arbeitskräfte im Inland gewinnen und erst recht niemanden verlieren", sagte Scheele der Nachrichtenagentur dpa. Die Bundesagentur für Arbeit nehme 2022 bis zu 900 Millionen Euro in die Hand, um Menschen, deren Jobs wegfallen, für andere, im Idealfall höher qualifizierte Tätigkeiten weiterzubilden. Die BA sieht sich als Moderatorin der Transformation am Arbeitsmarkt. Allerdings müssten ihr die Arbeitgeber sagen, in welche Richtungen die Qualifizierung gehen müsse, so Scheele.

Sein BA-Vorstandskollege Daniel Terzenbach ist überzeugt, dass das Problem allein aus Deutschland heraus nicht zu lösen ist. Die demografische Entwicklung richte bereits in den kommenden Jahren "einen Kahlschlag auf dem Arbeitsmarkt" an. Mehr denn je müssten Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland gelotst und der Wegzug gut qualifizierter Beschäftigter ins Ausland verhindert werden, sagte er Zeit online. "Daher müssen wir weltweit auf die Suche gehen."

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