Konjunktur:Die Zinsen müssen steigen

Konjunktur: Warnstreik der IG Metall in Sachsen: Die Gewerkschaft fordert 8,2 Prozent mehr Lohn.

Warnstreik der IG Metall in Sachsen: Die Gewerkschaft fordert 8,2 Prozent mehr Lohn.

(Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Hohe Inflation, stark steigende Löhne und ein schwaches Wirtschaftswachstum sind eine toxische Mischung. Die Europäische Zentralbank und die Politik müssten dringend gegensteuern, doch sie tun es nicht.

Kommentar von Caspar Busse

Eigentlich sind es gute Nachrichten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Aldi will den Mindestlohn erhöhen, von Juni an sollen statt derzeit 12,50 Euro 14 Euro je Stunde gezahlt werden. Der Grund für die plötzliche Großzügigkeit der für ihre Sparsamkeit bekannten Discounter-Kette ist die sprunghaft steigende Inflation. Aus demselben Grund fordert die IG Metall jetzt in der kommenden Tarifrunde für die Beschäftigten der Stahlindustrie 8,2 Prozent mehr Lohn. Und auch Reiner Hoffmann, Noch-Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), dringt wegen des Preisschubs auf deutliche Lohnerhöhungen.

Was für den Einzelnen individuell erfreulich ist - nämlich: mehr Lohn für die harte Arbeit -, ist in diesem Fall gesamtwirtschaftlich gefährlich. Denn eine, zumindest für deutsche Verhältnisse, enorm hohe Inflation von etwa sieben Prozent kann zusammen mit deutlichen Lohnsteigerungen eine sogenannte Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen. Die Inflation ist hoch, die Löhne steigen deshalb deutlich, dadurch werden Waren und Dienstleistungen teurer, die Unternehmen erhöhen die Preise, damit wird erneut die Inflation befeuert, die wiederum zu höheren Löhnen führt - so geht es im schlimmsten Falle immer weiter.

Inflation und Stagnation zusammen sind eine Gefahr

Das Problem: Ist eine solche Spiralbewegung einmal in Gang, ist sie nur schwer zu stoppen. So war es in der alten Bundesrepublik schon einmal in den 1970er-Jahren, damals gab es teilweise prozentual zweistellige Lohnerhöhungen und hohe Inflation - damals war der Auslöser der Ölpreisschock, heute sind es die plötzlich steigenden Energiepreise.

Was die Sache heute zusätzlich so gefährlich macht, ist die Lage der Weltwirtschaft. Nach zwei Jahren weltweiter Pandemie und mehr als zwei Monaten Ukraine-Krieg fürchtet die Wirtschaft einen deutlichen Rückgang, wenn nicht gar eine Rezession. Wirtschaftsminister Robert Habeck musste nun die Wachstumserwartung für Deutschland bereits deutlich reduzieren. Experten wie die des DIW sehen weitere enorme Risiken für die deutsche Wirtschaft, besonders wenn die Gaslieferungen aus Russland demnächst ganz ausbleiben sollten.

Gerade für die deutschen Unternehmen rächt sich nun die hohe Abhängigkeit von den russischen Energielieferungen. Konzerne wie BASF, die zuletzt voll auf billiges russisches Gas gesetzt haben, lamentieren jetzt am lautesten. Dazu kommen große Probleme bei den weltweiten Lieferketten. Schon die Pandemie führte hier zu ernsten Schwierigkeiten, Halbleiter etwa wurden weltweit knapp. Der Überfall Russlands auf die Ukraine und das Corona-Desaster in China hat die Lage weiter verschärft. Die Nachfrage nach bestimmten Gütern ist also teilweise da, doch es gibt wegen Produktionsschwierigkeiten ein geringeres Angebot - auch dadurch steigen die Preise.

Hohe Inflation und eine schwache Wirtschaftsentwicklung sind eine toxische Kombination. Volkswirte bezeichnen diese Situation als Stagflation, also eine Kombination aus wirtschaftlicher Stagnation und hoher Inflation. Die Gefahr, dass Deutschland und Europa in diese Lage geraten und dann nicht so schnell wieder herausfinden, ist gerade groß (in den USA ist die Inflation zwar auch hoch, aber die Wirtschaft brummt).

Umso wichtiger wäre es, dass die Europäische Zentralbank (EZB) und die Politik beherzt entgegensteuern. Doch sie tun das bislang nicht. Im Gegenteil: Die Berliner Ampelkoalition bringt Entlastungspakete auf den Weg, was die Kaufkraft stärken soll, aber nach Meinung von Ökonomen die Inflation in dieser Lage weiter befeuern könnte. Auch Christine Lagarde, die Präsidentin der EZB, gibt sich seltsam zurückhaltend. Kurz vor Ostern erst war von wieder steigenden Zinsen die Rede, womöglich im Sommer, wann genau, ließ Lagarde aber offen.

Schon klar, die Lage ist kompliziert: Jeder Zinsschritt ist zwar gut gegen die Inflation, aber schlecht für die Konjunktur und für angespannte Staatshaushalte, besonders die der südeuropäischen EU-Länder. Jetzt rächt sich, dass die EZB viel zu lang ihre Niedrigzinspolitik verfolgt hat und die Zügel nicht angezogen hat, als das noch leichter möglich gewesen wäre. Trotzdem ist ein klares Signal der EZB im Kampf gegen die Inflation jetzt wichtig.

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