Aufschwung:Warum Deutschlands Wirtschaft boomt

Auto-Neuzulassungen in Deutschland

Trotz Einbrüchen bei wichtigen Handelspartnern sind die deutschen Exporte erstaunlich stark: Neuwagentransport auf dem Rhein.

(Foto: Oliver Berg/dpa)
  • Die deutsche Wirtschaft befindet sich deutlich im Aufschwung, das bestätigen übereinstimmend der Internationale Währungsfonds und die großen Forschungsinstitute in Deutschland.
  • Auch die Arbeitslosigkeit ist auf einem Rekordtief - und sie sinkt weiter.
  • Drei Faktoren sind dafür verantwortlich: der niedrige Ölpreis, der schwache Euro und die Strategie der Schröder-Regierung mit maßvoller Lohnpolitik und Agenda 2010.
  • Die Forschungsinstitute sagen deshalb Lohnsteigerungen von 4,2 Prozent voraus.
  • Die Bundesregierung profitiert von den niedrigen Zinsen. Experten warnen aber vor einem plötzlichen Zinssprung. Er könnte in vielen Schwellenländern eine neue Finanzkrise auslösen.

Von Nikolaus Piper

Eine Bestätigung folgt diese Woche der anderen. Erst der Internationale Währungsfonds (IWF) in Washington, nun sind es die großen Forschungsinstitute der Bundesrepublik: Der Aufschwung der deutschen Wirtschaft ist deutlich stärker als noch vor Kurzem erwartet.

Der IWF hob seine Wachstumsprognose für 2015 am Dienstag um 0,3 Punkte auf 1,6 Prozent an, die Institute am Donnerstag in ihrem Frühjahrsgutachten sogar auf 2,1 Prozent. Im nächsten Jahr wird das Wachstum, so die Forscher, mit einem Plus von 1,8 Prozent weitergehen.

Den Deutschen geht es so gut wie schon lange nicht mehr

Dabei geben die Wachstumszahlen für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) - für sich genommen - nur ein sehr unvollständiges Bild wieder. In Wirklichkeit geht es den Deutschen so gut wie lange nicht mehr. Der Aufschwung ist bei den Normalbürgern angekommen. Die Arbeitslosigkeit, ohnehin jetzt schon so niedrig wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr, sinkt weiter.

Ende 2016, so schätzen die Institute, werden noch 2,6 Millionen Menschen ohne Beschäftigung sein, verglichen mit 2,9 Millionen im vergangenen Jahr. Gleichzeitig werden dann 43,2 Millionen Menschen in Lohn und Brot sein - ebenfalls ein Rekord für Deutschland.

Drei zentrale Faktoren sind es, die der deutschen Wirtschaft gegenwärtig vor allem helfen.

Der Exportüberschuss steigt weiter. Das gefällt längst nicht allen

Erstens das billige Öl: Von Juni 2014 bis heute ist der Preis für ein Fass (159 Liter) der Sorte Brent von 110 Dollar auf 55 Dollar gesunken - ein sowohl was das Ausmaß, als auch was das Tempo betrifft - im historischen Vergleich sehr ungewöhnlicher Rückgang. Ursache dieses Rückgangs ist vor allem das überreichliche Angebot an unkonventionellem, durch die Methode des Fracking gewonnenem Öl und Gas aus den Vereinigten Staaten. Die USA sind über Nacht eine Öl-Supermacht geworden.

In Deutschland wirkt sich der Preisverfall wie eine Steuersenkung für die ganze Wirtschaft aus. Die Verbraucher müssen weniger für Benzin, Diesel und Heizöl ausgeben und können das Geld für andere Dinge nutzen. Die Ausgaben für den Konsum sollen in diesem Jahr um 2,5 Prozent steigen, im nächsten noch einmal um 1,6 Prozent.

Deutschland exportiert ohne Abstriche, selbst in Länder, die vom Öl abhängen

Einige wichtige Handelspartner Deutschlands leiden allerdings unter dem billigen Öl, all jene also, die auf den Export von Rohöl angewiesen sind, also Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien, Mexiko oder Kanada. Erstaunlicherweise sind jedoch die deutschen Exporte in diese Länder bisher kaum zurückgegangen. Eine Ausnahme ist Russland, dessen Anteil an den deutschen Ausfuhren ist binnen Jahresfrist von 3,3 auf 2,5 Prozent gesunken. Hier wirken sich neben dem billigen Öl vor allem die Sanktionen des Westens gegen Russland wegen des Kriegs in der Ukraine aus.

Zweitens macht der Preisverfall des Euro deutsche Exportunternehmen wettbewerbsfähiger. Zu Beginn des Jahres kostete ein Euro noch 1,21 Dollar, heute sind es 1,07 Dollar. Dadurch können Daimler, BMW, BASF und unzählige deutsche Mittelständler ihre Produkte billiger außerhalb des Euro-Raumes verkaufen.

Als Folge wird der Überschuss in der deutschen Leistungsbilanz weiter steigen, von 7,4 Prozent auf 8,5 Prozent in diesem Jahr. Insgesamt verkaufen die Deutschen damit für 256 Milliarden Euro mehr, als sie im Ausland einkaufen - einer der höchsten Leistungsüberschüsse in der Welt. Das wird international neue Diskussionen darüber auslösen, wie die Deutschen den Aufschwung auch anderswo stützen können.

Forschungsinstitute sagen steigende Löhne voraus

Drittens ernten die Deutschen jetzt die Erträge der maßvollen Lohnpolitik vor der Finanzkrise und der Agenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung. Weil die Lohnkosten über mehrere Jahre stabil waren oder sogar zurückgingen, können die Einkommen jetzt wieder steigen. Wie die Forschungsinstitute voraussagen, werden die Nettolöhne um 4,2 Prozent steigen, die Sozialleistungen um 3,7 Prozent. Sollten die Prognosen eintreffen, könnte dies die Grundstimmung im Land wesentlich verändern.

Allerdings gibt es auch erhebliche Risiken für den Aufschwung. Sie liegen in der Weltwirtschaft und im globalen Finanzsystem. In China zum Beispiel, einem der wichtigsten Handelspartner Deutschlands, hat sich das zuvor exorbitante Wachstum verlangsamt. Im Hintergrund steht der Versuch der chinesischen Behörden, für mehr Stabilität zu sorgen. Gerade geht dort ein Immobilienboom zu Ende, die Preise sinken, und noch ist von außen nicht zu erkennen, wie sich das auf die chinesischen Banken auswirken wird.

Womit keiner rechnet, was aber passieren könnte: Die Zinsen steigen schneller als gedacht

Und dann sind die Verhältnisse nach der Finanzkrise alles andere als normal. Die Europäische Zentralbank (EZB) kauft monatlich Staatspapiere aller europäischen Staaten für 60 Milliarden Euro. Das drückt die Zinsen auf historische Tiefststände. Am Donnerstag sank die Rendite für zehnjährige deutsche Bundesanleihen auf beispiellose 0,09 Prozent. Das bedeutet, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sich praktisch umsonst verschulden kann. Das ist gut für den Bundeshaushalt, aber schlecht für viele Finanzinstitute, zum Beispiel für Lebensversicherungen.

Viele Versicherungspolicen sind mit Leistungsversprechen verbunden, so schreibt der IWF in seinem Globalen Stabilitätsbericht, die nicht nachhaltig zu finanzieren sind. Als besonders gefährdet nennt er die Versicherungen in Deutschland und in Schweden. Lebensversicherungen sind auf akzeptable Anleihezinsen angewiesen, weil sie das Geld der Versicherten zu einem großen Teil in festverzinslichen Staatspapieren anlegen.

Die Volkswirte des IWF können sich aber auch das Gegenteil vorstellen: Dass die Zinsen schneller und unvermittelter steigen, als alle erwarten. Das könnte dann passieren, wenn die amerikanische Federal Reserve im nächsten Monat erstmals seit der Finanzkrise ihren Leitzins erhöht. Das wäre, dank der guten Lage der amerikanischen Wirtschaft, durchaus gerechtfertigt.

Aber die Entwicklung könnte leicht außer Kontrolle geraten. José Viñals, Chef der Abteilung für Kapitalmärkte beim IWF, warnt vor einem "Super Taper Tantrum", was man als "Super-Aufruhr" bei der Trendwende in der Geldpolitik übersetzen könnte. Dieser "Aufruhr", also ein unerwarteter Zinssprung, könnte in vielen verschuldeten Schwellenländern in Lateinamerika und in Asien eine neue Finanzkrise auslösen.

Wird der Aufruhr allerdings vermieden, können sich die Deutschen auch im nächsten Jahr auf weniger Arbeitslosigkeit und steigende Einkommen freuen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: