Wirtschaftspolitik:Warum Abwandern aus Deutschland der falsche Weg wäre

Wirtschaft in Deutschland: Autoproduktion in einem VW-Werk in Sachsen

Autoproduktion in einem VW-Werk in Sachsen: Abwanderung ist angesichts der Krise nicht die richtige Antwort.

(Foto: Sebastian Kahnert/dpa)

Die wirtschaftliche Lage ist für viele Unternehmen gerade schwierig. Manche denken schon darüber nach, ins Ausland zu gehen. Doch das wäre trotz aller Probleme ein großer Fehler.

Kommentar von Caspar Busse

Es ist ja keine Frage, die Situation für Unternehmen ist gerade alles andere als leicht. Die Wirtschaftslage ist nicht rosig, möglicherweise steht Deutschland unmittelbar vor einer Rezession. Der brutale Krieg in der Ukraine belastet, die Energiepreise sind in die Höhe geschnellt. Dazu kommt die sehr hohe Inflation, was zu einer Verstimmung der Konsumentinnen und Konsumenten führen kann.

Die Folge: Viele Unternehmen sind jetzt schon deutlich vorsichtiger, angesichts der schlechten Stimmung ist das durchaus verständlich. Nach einer aktuellen Studie des Ifo-Instituts im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen erwägen 25 Prozent der Firmen einen Personalabbau, einige wollen geplante Investitionen verschieben, die Produktion stoppen oder energieintensive Geschäftsfelder ganz aufgeben. Das ist zwar bitter, solche Entscheidungen fallen aber oft aus betriebswirtschaftlicher Vorsicht: Sind die Aussichten auf Absatz schlecht, reagieren die Hersteller. Denn kaum etwas ist gefährlicher, als einfach mit Volldampf weiter zu produzieren, wenn die Nachfrage voraussichtlich zurückgehen wird. Manche sind da auch eher etwas vorsichtiger als zu forsch.

Politische Stabilität, Infrastruktur, Ausbildung - das spricht für den Standort

So weit, so schlecht. Für Aufsehen sorgt ein weiteres Ergebnis: Immerhin neun Prozent der befragten Familienunternehmen, also nahezu jedes zehnte, wollen Betriebsstätten ins Ausland verlagern, das sind mehr als vor einem Jahr. Sollten solche Entscheidungen wirklich umgesetzt und nicht nur als Drohung ausgesprochen werden, um Druck auf die Politik zu machen und mehr für die Unternehmen rauszuholen, wäre das durchaus gefährlich und kurzsichtig. Denn das würde langfristig wirken und ist oft unumkehrbar. Umso genauer sollten solche Schritte geprüft werden, Abwanderung ist oft nicht die richtige Antwort auf die Krise.

Trotz aller Lamentos und auch angesichts aller aktuellen Widrigkeiten hat der Standort Deutschland eine ganze Reihe von Qualitäten. Die politische Stabilität ist vorhanden, die Infrastruktur funktioniert, auch wenn es berechtigte Kritik gibt, etwa an der nicht flächendeckend vorhandenen Versorgung mit schnellem Mobilfunk. Das Ausbildungsniveau der Fachkräfte ist in Deutschland durchaus hoch. Auch die Forschungsförderung hierzulande hilft. An einigen Standorten sind bereits sogenannte Cluster entstanden, bei denen Forschung, kleine und große Unternehmen eng zusammenarbeiten, ein Beispiel dafür ist etwa der Halbleiterstandort Dresden.

Dazu kommt: Wohin soll die Produktion verlagert werden? In fast allen Ländern Europas sind die Probleme ähnlich, auch dort ist Energie zuletzt deutlich teurer geworden. Dafür ist die politische Lage manchmal deutlich volatiler, wie sich derzeit in Italien oder in Großbritannien zeigt. Produktionsverlagerungen nach China sind auch problematisch, will die deutsche und europäische Wirtschaft die Abhängigkeit doch eher reduzieren. Also wohin überhaupt gehen? Viele entscheiden sich für die USA. BMW etwa investiert gerade viel Geld in sein Werk in Spartanburg und baut eine neue Batteriefabrik, vor allem jedoch, um den dortigen Markt besser zu bedienen. In den USA ist zwar Energie billiger, Mitarbeiter sind aber schlechter ausgebildet und die politische Lage unsicher. Welche Agenda wird ein möglicher Nachfolger von US-Präsident Joe Biden verfolgen?

Die weltwirtschaftlichen Verwerfungen und anhaltenden Probleme bei Lieferketten erhöhen sogar tendenziell die Attraktivität Deutschlands und Europas als Produktionsstandort. Viele Unternehmen wollen auf mehreren Standbeinen stehen und nicht von einem Land abhängig sein, sie diversifizieren ihre Standorte, auch das ist eine Lehre der vergangenen Jahre mit Pandemie, Zollstreitigkeiten und politischen Verwerfungen. E-Autobauer Tesla oder der Chipkonzern Intel bauen hierzulande Fabriken, Apple investiert in München - nur einige von vielen.

Völlig falsch wäre es allerdings, wenn sich Deutschland darauf ausruhen würde. Um als Standort attraktiv zu bleiben, muss einiges geschehen. Bürokratie abbauen, Genehmigungsverfahren beschleunigen, in die Infrastruktur investieren, die Energiewende vorantreiben - das sind nur einige Punkte. Dann aber könnten Deutschland und Europa durchaus führend werden, etwa bei umweltfreundlichen Technologien, die hier entwickelt und produziert werden.

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