Süddeutsche Zeitung

Wirtschaft an Weihnachten:Jesus als Marke

Von den Kanzeln wird zum Fest wieder eifrig Mitmenschlichkeit gepredigt. Haben wir nicht zu viel Leid in der Welt, zu viel Armut selbst in Deutschland? Doch der Ruf bleibt kraftlos, weil er Lösungen vermissen lässt. Antworten müsste man in der Sprache der Ökonomen. Die will an Weihnachten niemand hören - dabei ist der wichtigste Protagonist des christlichen Glaubens längst eine wirtschaftliche Größe.

Ein Kommentar von Marc Beise

Jetzt ist die Zeit für Einkehr und Besinnung. Die Weltläufte scheinen sich zu verlangsamen, die Gesellschaft verliert an Tempo. Die Straßen leeren sich, Kerzenlicht ersetzt Scheinwerfer, Weihnachten ist da. Vergessen sein soll der Alltag, vergessen sein sollen Politik und Wirtschaft. Der Politiker ist wieder Mensch, der Unternehmer wird zum Bürger, der Manager geht in Deckung. Die Banken sind geschlossen, endlich einmal, mitsamt den Börsen und dem ganzen Wahnsinn - dafür füllen sich die Kirchen, häufig bis auf den letzten Platz, wenigstens dieses eine Mal im Jahr.

Von den Kanzeln wird nun wieder eifrig Mitmenschlichkeit gepredigt, haben wir nicht zu viel Leid in der Welt, zu viel Armut selbst in diesem reichen Deutschland? Es muss etwas geschehen, fast flehentlich tönt der Ruf, aber er bleibt häufig kraftlos - weil er Probleme beschreibt, aber Lösungen vermissen lässt. Weil gefragt, manchmal angeklagt wird, aber selten geantwortet. Das hat viele Gründe, aber vor allem diesen einen: Antworten müsste man in der Sprache der Ökonomen, müsste über knappe Güter und Ressourcen reden, über Angebot und Nachfrage, über Plan und Effizienz, müsste Güter abwägen, aber wer will das schon an Weihnachten?

In den Ansprachen und Predigten werden die Probleme der Zeit nicht ausgespart, im Gegenteil, nie werden sie so klar benannt wie ausgerechnet jetzt, aber sie werden ausdrücklich theologisch, philosophisch, vielleicht noch soziologisch erörtert, nur bitte nicht: ökonomisch. Ist nicht die ganze Gesellschaft längst und zu ihrem Schlechten verwirtschaftet, so lasst den Menschen doch wenigstens an Weihnachten Mensch sein, sperrt die Ökonomie aus - so läuft das häufig, aber so sollte es nicht laufen. Denn menschliches Zusammenleben organisieren heißt: wirtschaften.

Dieser Zusammenhang gilt ziemlich ausnahmslos, und er gilt ganz sicher für die Themen der Weihnachtspredigten. Die Zahl der Armutsgefährdeten wächst, die soziale Schere öffnet sich, wir brauchen mehr Solidarität? Die Umweltzerstörung schreitet voran, es geht um mehr Nachhaltigkeit? Der Atomwahnsinn muss ein Ende haben, schaltet die AKWs ab? Alles gut und schön, aber nichts wert ohne die Frage: Ja, wie denn? Welche Entscheidung welche Konsequenzen nach sich zieht- das muss schon erörtert werden. Wenn der Staat die Sozialausgaben steigert, was bedeutet das für die Investitionsausgaben? Wenn er Steuern erhöht, was heißt das fürs Wachstum? Wenn er Ausnahmen von der Ökosteuer kippt, wie sieht es dann um die energieintensiven Unternehmen in Deutschland aus? Wenn den Euro-Krisenstaaten die Schulden erlassen werden, was bedeutet das für die Entwicklung der Euro-Zone insgesamt?

Wer nicht nur appellieren, sondern auch gestalten will, der kommt gar nicht darum herum, die Dinge zu Ende zu denken. Jede Entscheidung ist möglich, aber man muss die jeweiligen Konsequenzen kennen und zu tragen bereit sein. Was schwierig ist, wenn man die Ökonomie und das wirtschaftliche Denken feiertags (und manchmal auch sonst) vor die Tür gestellt hat.

Interessanterweise sind die Kirchen selbst ja nicht unökonomisch - wie sollten sie denn auch? Der Vatikan ist ein Weltkonzern, die Evangelische Kirche in Deutschland ein Großunternehmen. Jeder Bischof weiß, dass seine Organisation nicht weit kommt, wenn sie wirtschaftliche Zusammenhänge außer Acht lässt, wenn sie nicht effizient wirtschaftet. Aber so ganz wollen sich die Kirchenmenschen denn doch nicht der Wirtschaft ergeben, sie trauen ihr nicht, ob sie nicht womöglich die reine christliche Lehre verunreinigt.

Dabei ist ausgerechnet der wichtigste Protagonist des christlichen Glaubens, Jesus von Nazareth, längst (auch) eine wirtschaftliche Größe. Bekannt und hierzulande zu Recht verschrien ist der Jesus-Kitsch, wie er in den Vereinigten Staaten groß in Mode ist. Bibleman als Superman, regalweise Erbauungsbücher in den Buchhandlungen, und Hollywood lässt sich bei Gelegenheit auch nicht lumpen - das muss ja nicht sein. Aber zwischen einer kommerziellen Verirrung und der deutschen Prüderie wäre viel Platz für Kompromisse.

Jesus als Marke, das ist seit mehr als 2000 Jahren ein Erfolgsmodell wie kaum ein anderes. Man darf schon fragen, warum die Kirche diese Kraft nicht mehr nutzt und sich Anleihen in der Welt der Unternehmen holt. Es ist ja nicht so, dass nicht Bedarf wäre an klugen Konzepten, die Anziehungskraft der Kirchen schwindet ja sichtlich. Aber die Männer und Frauen der Kirche ergeben sich bestenfalls widerwillig der Betriebswirtschaftslehre, und eigentlich bleibt ihnen in der Mehrheit diese Welt fremd. Und spätestens an Weihnachten mögen sie dann wieder sein, was sie doch eigentlich sind: Menschen und Seelsorger. Dann also, auf den weihnachtlichen Kanzeln, stehen nicht mehr die Manager, die Controller, die Marketingchefs der Kirche, sondern die (Gut-)Menschen, und sie sparen neben der Betriebswirtschaft auch gleich die Volkswirtschaft aus.

Aber gerade wer Weihnachten zum Nachdenken nutzen will, wer jenseits des Alltags die großen Fragen debattieren will, wer über das Leid in der Welt reden will, der darf die Wirtschaft nicht außer Acht lassen. Sondern sollte das Tor weit aufmachen und die Ökonomie rein lassen. Sie wird gebraucht. Auch an Weihnachten.

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Quelle:
SZ vom 24.12.2012/mane
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