Wirecard-Prozess:"Ich wollte nicht im Straßengraben enden"

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Der frühere Wirecard-Vorstandschef Markus Braun (l) sitzt im Gerichtssaal. Im Hintergrund rechts steht der Mitangeklagte im Wirecard-Prozess, Oliver Bellenhaus. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Wirecards Ex-Compliance-Chef schildert, wie sich die Wirtschaftsprüfer von EY beeinflussen ließen und warum er Angst um sein Leben hatte.

Von Johannes Bauer, München

Da muss er doch kurz lächeln. Zuvor hat Daniel S., der im bislang größten Wirtschaftsprozess des Jahrzehnts zum zweiten Mal als Zeuge geladen ist, recht monoton geantwortet. Mit gefalteten Händen sitzt Wirecards Ex-Compliance-Chef an diesem Tag vor Richter Markus Födisch und stellt sich dessen Fragen. Wer ihm denn etwas zum Drittpartnergeschäft hätte sagen können, hat Födisch ihn eben gefragt. "Niemand", antwortet S. und lächelt, wohl deshalb, weil die Situation so absurd gewesen sein muss.

Kurz zur Erinnerung: Das sogenannte Drittpartnergeschäft trug offiziell einen Großteil zum Umsatz von Wirecard bei. Dabei sollten lokale Firmen im Auftrag und auf Vermittlung von Wirecard Zahlungen für Händler in Ländern abwickeln, in denen der Konzern keine Lizenzen hatte oder deren Geschäftsmodell Wirecard zu riskant war. Im Juni 2020 kam es zum Zusammenbruch des Aschheimer Konzerns, weil sich ein angebliches Vermögen von 1,9 Milliarden Euro in Asien als nicht vorhanden herausstellte. Das Drittpartnergeschäft spielt dabei eine zentrale Rolle, denn es soll nach Auffassung der Staatsanwaltschaft und des Insolvenzverwalters komplett erfunden gewesen sein.

Von 600 Mitarbeitern wusste keiner über das Geschäft Bescheid

Während des vorläufigen Insolvenzverfahrens machte sich S. auf die Suche nach jemandem, der ihm etwas über das Drittpartnergeschäft erzählen könnte. Von den 600 Mitarbeitern, die das Unternehmen da noch hatte, soll dazu laut S. niemand in der Lage gewesen sein. Deshalb spricht er heute auch von einem "angeblichen" Volumen von 50 Milliarden Euro, das dieser Geschäftszweig gehabt haben soll. In seiner Befragung reiht sich ein Argument ans andere, warum das Drittpartnergeschäft zumindest größtenteils nur auf dem Papier existiert haben soll: etwa, dass sich nach dem Zusammenbruch des Konzerns keiner der etwaigen Händler gemeldet hätte und wissen wollte, wie es nun weitergehe. Dabei sei die Service-Mailadresse von Wirecard extra weitergeleitet worden, S. hätte Zugriff auf diese gehabt.

Er erzählt auch, wie er stichprobenartig angebliche Überweisungen an Visa und Mastercard geschickt habe, um sie überprüfen zu lassen. In ihren Systemen hätten die Kreditkartenfirmen diese Transaktionen aber nicht nachvollziehen können. So hatten es am Vortag auch drei Vertreter der beiden Unternehmen geschildert, die das Gericht geladen hatte.

Vorwürfe an die Wirtschaftsprüfer

Den Wirtschaftsprüfern von EY, denen eine Rekordstrafe droht, macht S. Vorwürfe, sie hätten sich bei der Prüfung von Wirecard bequatschen lassen. Als schon erhebliche Zweifel an Wirecards Geschäftsmodell bestanden hätten, hätten die Prüfer einige Händler aus dem Drittpartnergeschäft abfragen wollen. "Es war aber nicht gewollt, dass von dritter Stelle auf die Händler zugegangen wird", sagt S. Deshalb habe Wirecard eine eigene Mailadresse für die Kontaktaufnahme eingerichtet und sogar einen extra Computer dafür bereitgestellt. Die Händler seien doch ohnehin schon nervös, hätte man die Maßnahmen begründet - EY sei mit dem Vorgehen einverstanden gewesen. Später hätte Wirecard verlangt, für die von EY angeforderten Testkäufe müssten die Prüfer eine hauseigene Prepaidkarte verwenden - und wieder hätte sich EY der Vorgabe gebeugt. So habe Wirecard Transaktionen einfach manipulieren können, so S.

Erst nach zwei Stunden Befragung kommt der ehemalige Compliance-Chef auf Ex-Wirecard-Boss Markus Braun zu sprechen. Der habe viel beschwichtigt, bis kurz vor Schluss. Als finalen Beleg für die Existenz des Drittpartnergeschäfts hatte Markus Braun eine Testüberweisung von 440 Millionen Euro aus den Treuhandkonten angeordnet, die aber nicht zustande kam.

Ein paar Wochen zuvor hätte S. nach Manila fliegen und eines der Treuhandkonten überprüfen sollen. Er verstand nicht, warum er dafür hätte vor Ort sein müssen. Er vermutete, Wirecard könnte Teil eines Betrugs sein, und hatte Angst: "Ich wollte nicht im Straßengraben enden", sagt er. Also blieb er in Deutschland.

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