Süddeutsche Zeitung

Finanzdienstleister:Neue Rückschläge für Wirecard

Die Wirtschaftsprüfer von EY stellen Wirecards gesamtes Geschäft mit Drittpartnern in Asien in Frage - und versagen nicht nur den Jahresabschluss für 2019, sondern sogar schon den für das Jahr 2018.

Von Jörg Schmitt

Die von Insolvenz und Strafverfahren geplagte Wirecard AG muss neue Rückschläge hinnehmen. Am frühen Montagmorgen erhielt der Vorstand in Aschheim ein sechsseitiges Schreiben der Wirtschaftsprüfer von EY (früher Ernst & Young), die seit einigen Jahren die Bilanzen des Unternehmens testieren. Das Ergebnis ist verheerend für Vorstand und Aufsichtsrat des schwer angeschlagenen Dax-Konzerns.

In dem Schreiben, das Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR vorliegt, sprechen die Prüfer nicht nur einen sogenannten Versagungsvermerk für den Jahresabschluss 2019 aus, wonach die vom Konzern vorgelegte Bilanz unvollständig und nichtig ist. Die Prüfer stellen gleichzeitig auch das gesamte Drittpartner-Geschäft in Asien in Frage, das zuletzt angeblich große Teile von Umsatz und Gewinn der Aschheimer AG ausmachte. Zudem kritisieren die Prüfer massiv die Informationspolitik des einstigen Börsenlieblings. Dokumente wie Kontoauszüge oder Kontoeröffnungsbelege seien, trotz mehrfacher Aufforderung, nicht vorgelegt, versprochene Gesprächskontakte nicht vermittelt worden. Inzwischen sind auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und die Münchner Staatsanwaltschaft über die neuesten Prüfer-Erkenntnisse informiert worden. Wirecard äußerte sich auf Anfrage zunächst nicht.

Erst in der vergangenen Woche hatte sich Wirecard zu einer AdHoc-Mittelung genötigt gesehen. Die Firma erklärte, sie gehe davon aus, dass Konten mit Guthaben in Asien in Höhe von 1,9 Milliarden Euro nicht existierten. Doch nun kommt es noch schlimmer: Offenbar waren nicht nur die Zahlen für 2019 falsch, sondern bereits für die Bilanz von 2018.

Ende vergangenen Jahres hatte der Konzern seinen Treuhänder für Teile des Asien-Geschäfts gewechselt. Der frühere Treuhänder, der Wirecards Treuhandkonten bis Ende 2019 verwaltete, hatte angeblich einst Guthaben bei der Oversea-Chinese Banking Corporation in Singapur in Höhe von rund 980 Millionen Euro bestätigt. Doch angesichts wachsender Zweifel an der Wirecard AG fragten die EY-Prüfer jüngst noch einmal genauer nach: Anfang letzter Woche baten sie den Dienstleister ein weiteres Mal um eine Bestätigung der Guthaben zum 31. Dezember 2018. Der Treuhänder antwortete: "Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass dies nicht mein Schreiben und der Briefkopf unserer Firma ist. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass wir solche Guthaben nicht halten, noch dies bestätigt haben". Darüber hinaus habe man das letzte Mal im März 2017 treuhänderisch für eine Wirecard-Firma gearbeitet. Das bedeutet, dass nicht nur für das Geschäftsjahr 2019 Guthaben fehlen und Unterlagen womöglich gefälscht wurden, sondern bereits für 2018. "Damit besteht der begründete Verdacht", heißt es daher in dem Schreiben der EY-Prüfer an den verbliebenen Wirecard-Vorstand, "dass auch die uns vorliegenden Saldenbestätigungen des Treuhänders sowie die uns erteilten Auskünfte zu den Kontoständen zum 31. Dezember 2018 falsch waren". Das wiederum heißt: Es besteht der Verdacht, dass die Bilanz für 2018 falsch sein könnte. Wirecard scheint also schon seit längerer Zeit ein Kartenhaus gewesen zu sein.

Die neuen Erkenntnisse rücken abermals den früheren Vorstand Jan Marsalek in den Mittelpunkt der Wirecard-Affäre. Jan Marsalek, bis vor wenigen Tagen Chief Operating Officer in Aschheim, hat das Asien-Geschäft mit Drittpartnern und Treuhändern maßgeblich aufgebaut. Marsalek ist inzwischen entlassen worden. Eigentlich wollte er sich diese Woche der Staatsanwaltschaft München stellen. Nun ist er offenbar auf der Flucht.

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