Süddeutsche Zeitung

Wirecard:"Danke, Herr Dr. Braun"

  • Manipulationsvorwürfe setzten Wirecard in den vergangenen Monaten enorm unter Druck.
  • Der Börsenkurs stürzte zwischenzeitlich ab, inzwischen hat er sich wieder erholt.
  • Bei der Hauptversammlung gibt es trotz der Turbulenzen kaum Kritik, im Publikum sitzen viele zufriedene Aktionäre.

Von Harald Freiberger

Der Höhepunkt kommt früh auf der Hauptversammlung von Wirecard. Gegen elf Uhr dankt Aufsichtsratschef Wulf Matthias dem Vorstand und den Kollegen im Kontrollgremium für die geleistete Arbeit im Jahr 2018. Dabei hebt er eine Aufsichtsrätin besonders hervor, Anastassia Lauterbach. "Sie koordinierte die Arbeiten zu den Vorwürfen in Singapur", sagt Matthias. Von den voll besetzten Rängen in der Halle der Münchner Messe ertönt erst leichter Applaus, der dann stärker wird und relativ lange anhält. So lange, dass Anastassia Lauterbach sich gedrängt fühlt, aufzustehen und mit sich mit einem Kopfnicken zu bedanken.

Die Geste ist deshalb von Bedeutung, weil sie wie ein Schlussstrich unter sehr schwierige Monate wirkt. Kaum ein Unternehmen im Deutschen Aktienindex (Dax) kam je so unter den Druck an der Börse wie "der Zahlungsdienstleister aus Aschheim", der traurige Berühmtheit erlangte, als ihm Ende Januar die Financial Times vorwarf, in Asien im großen Stil eigene Zahlen manipuliert zu haben. Der Aktienkurs von Wirecard brach um fast 50 Prozent ein, die Finanzaufsicht Bafin sah die Finanzstabilität gefährdet und verbot, auf die Aktie zu wetten.

Es dauerte Wochen, bis Wirecard im April über eine interne und externe Untersuchung berichtete, die die Vorwürfe nach eigener Ansicht weitgehend entkräftete. Seitdem ist es ruhiger geworden um das Unternehmen, der Aktienkurs stieg kontinuierlich, er ist fast wieder dort, wo er stand, bevor die Vorwürfe laut wurden.

Auf der Hauptversammlung sollte sich nun zeigen, wie die Aktionäre auf den vermeintlichen Skandal in Singapur reagieren würden. Es wurde schnell deutlich am Applaus für Aufsichtsrätin Lauterbach, die die Untersuchungen leitete, bei denen herauskam, dass an den Vorwürfen nichts dran war.

Wirecard-Chef Markus Braun ging noch ein mal konkreter darauf ein. "Es gab 100 bis 110 einzelne Punkte", sagte er. Sie seien in den Untersuchungen alle entkräftet worden. "Findings", also Mängel, habe es nur in Nebenaspekten gegeben, so sei eine Investition in Software von 2,5 Millionen Euro im falschen Jahr verbucht worden. "Das war schon das Dramatischste", sagt Braun, es hätten sich keine grundsätzlichen Probleme mit der Compliance gezeigt, also der Einhaltung von Gesetzen und Vorschriften.

Immer wieder wird Braun von höflichem Applaus unterbrochen - dann, wenn er ankündigt, dass Wirecard erst am Anfang seines gewaltigen Wachstums stehe und den Umsatz bis 2025 verfünffachen wolle, dann, wenn er sagt, dass "die Börse langfristig gute Arbeit und Innovationen honoriert".

Kein Aktienkurs in Deutschland ist in den vergangenen Jahren so stark gestiegen wie der von Wirecard. Die Turbulenzen Anfang des Jahres sind da für viele schon wieder vergessen. Es sitzen eine Reihe zufriedener Aktionäre im Publikum. Fast jeder Redner erwähnt die "außerordentlichen, überragenden Zahlen", mehrere sagen: "Danke, Herr Dr. Braun." Eine Frau schwärmt von den "vielen Glücksmomenten, die Sie mir in den vergangenen Jahren beschert haben". Ein Mann kündigt an, dass er ab sofort das Kindergeld für seine Tochter in Wirecard-Aktien stecken werde, "und glauben Sie mir, sie wird mir dafür verdammt dankbar sein".

Nur eine Rednerin fordert, Vorstand und Aufsichtsrat die Entlastung zu versagen

Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr, oder? Wie sieht es eigentlich mit Kritikern aus auf dem Aktionärstreffen? Sie sind vorhanden, aber schwer in der Minderheit. Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz bemängelt fehlende Transparenz und Kommunikation. "Sie gehen über die Vorfälle mit einem Handstrich hinweg, das kann so nicht gehen", sagt sie. Sie fragt, wie es sein kann, dass solch geringfügige Vorwürfe zu solchen Kursausschlägen führen. "Sie hätten die Vorwürfe frühzeitig aufdecken können. Wirecard wirkt wie ein Getriebener, der von sich aus immer nur zugibt, was eh schon bekannt ist." Als einzige Rednerin plädiert Bergdolt dafür, Vorstand und Aufsichtsrat die Entlastung zu versagen.

Wirecard-Chef Braun gelobt Besserung, man passe die Prozesse der Unternehmensführung ständig an, Ziel sei es, auch in diesem Bereich bald zu den Besten zu gehören, nicht nur beim Wachstum. Dass ist Nachholbedarf gab, wird offensichtlich: Erst im Februar hat der Aufsichtsrat von Wirecard einen Prüfungsausschuss gegründet. Einige Redner werfen dem Unternehmen vor, wie ein Start-up zu agieren, nicht wie ein Dax-Konzern.

Aktionärsschützer Hans-Martin Buhlmann stellt fest, dass Wirecard langsam erwachsen werde, "und zur Pubertät gehört Aufklärung". Dann greift er eine Äußerung von Aufsichtsratschef Matthias auf, mit inzwischen drei Aufsichtsrätinnen habe man den Plan übererfüllt. "Ist das nicht ein Problem für die Männerquote?", fragt Buhlmann, die müsse doch jetzt unter Plan sein.

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SZ vom 19.06.2019/vd
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