Wirecard:Scholz wusste seit Februar 2019 vom Verdacht auf mutmaßliche Manipulationen

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Olaf Scholz (SPD), Bundesfinanzminister, bei einer Pressekonferenz zum Konjunkturprogramm im Rahmen der Corona-Hilfen. (Foto: dpa)

Ein Sachstandsbericht zeigt, wie früh der Bundesfinanzminister über die Vorwürfe informiert wurde. Nun fordern Abgeordnete einen Untersuchungsausschuss.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hatte seit Februar 2019 Kenntnis über den Verdacht auf mutmaßliche Manipulationen durch den Zahlungsdienstleister Wirecard. "Unterrichtung des Bundesministers" ist für den 19. Februar 2019 in dem Sachstandsbericht vermerkt, den das Ministerium am Donnerstag an den Bundestag übermittelt hat. Der Bericht liegt der SZ vor. In dem Vermerk heißt es: "Es wurde darauf hingewiesen, dass die Bafin in alle Richtungen untersucht". Bereits am 14. Februar 2019 hatte die Finanzaufsicht Bafin dem Ministerium mitgeteilt, dass sie "wegen mutmaßlicher Marktmanipulation in alle Richtungen, d.h. auch gegen die Wirecard AG, untersucht".

Das Ministerium hat eine chronologische Abfolge aller Aktivitäten im Fall Wirecard seit Januar 2014 angefertigt. Danach fragt der für den Fall zuständige Finanzstaatssekretär Jörg Kukies am 8. März 2019 bei Bafin-Chef Felix Hufeld "zum Stand der aktuellen Ereignisse und den Maßnahmen der Bafin" nach. Im Laufe der Zeit verdichten sich die Termine. Am 22. Juni 2020 wird Scholz nochmals ausführlich unterrichtet, am selben Tag teilt Wirecard mit, dass 1,9 Milliarden Euro nicht auffindbar sind.

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Ein Bericht des Bundesfinanzministeriums offenbart, wie schlecht die Aufsicht über den Konzern funktionierte - und wie Verantwortung hin und her geschoben worden war.

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Erst unter dem Druck des Koalitionspartner CDU/CSU und der Opposition im Bundestag hatte das SPD-geführte Ministerium am Donnerstag eine besondere Geheimhaltung von Informationen in der Affäre um Wirecard zurückgenommen. Konkret war es um ein Gespräch von Jörg Kukies mit dem einstigen Wirecard-CEO Markus Braun gegangen. Beide hatten sich am 5. November 2019 getroffen und über "eine Vielzahl von Themen und auch die Unternehmensgruppe Wirecard" gesprochen. Unter anderem soll es laut Sachstandsbericht über den "Marktmanipulationsverdacht sowie die begonnene KMPG-Sonderprüfung" gegangen sein. Die Wirtschaftsprüfer von KPMG hatten im Oktober 2019 im Auftrag des Aufsichtsrats von Wirecard eine Sonderuntersuchung begonnen, um die Vorwürfe der Bilanzmanipulation zu klären. Braun hatte am 5. November seinen 50. Geburtstag gefeiert. Das Gespräch mit Kukies soll nicht im Rahmen einer Feier stattgefunden haben, sondern frühmorgens. Von wem die Initiative ausging, ist offen. Kukies soll nicht über den Geburtstag informiert gewesen sein.

Das Bundesfinanzministerium hatte die Gesprächsinhalte zunächst als "VS-Vertraulich eingestuft" und heftigen Widerspruch ausgelöst. Florian Toncar, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, hatte sich am Donnerstag schriftlich über die unzureichende Aufklärung beschwert. "Die Zeit für eine umfassende Aufklärung auf normalem Wege läuft ab", kritisierte Toncar. "Wenn sich die karge Informationspolitik des Ministeriums fortsetzt, werden wir einen Untersuchungsausschuss brauchen".

Die Linkspartei sieht "erhöhten Aufklärungsbedarf" über politische Kontakte der Firma in die Bundes- und Landespolitik. Es gehe auch um die Rolle Bayerns, sagte Faktionsvize Fabio De Masi. Es sei nicht schlüssig gewesen, Wirecard als Technologiekonzern einzustufen und der Bezirksregierung Niederbayern die Aufsicht zu übertragen. "Wirecard hat umsonst Corona-Hilfen für die bayerische Landesregierung abgewickelt. Wir müssen erfahren, welche Rolle die Nachrichtendienste bei Wirecard gespielt haben."

© SZ vom 17.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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