Bilanzskandal:Bundesregierung prüfte Hilfen für Wirecard

Bundesfinanzminister Olaf Scholz, SPD, und Joerg Kukies, Staatssekretaer im BMF, aufgenommen im Rahmen einer Videokonfe

Männer mit Maske: Jörg Kukies, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, und Bundesfinanzminister Olaf Scholz bei einer Tagung in Berlin.

(Foto: Felix Zahn/imago images)

Das Finanzministerium hat kurz vor der Pleite von Wirecard geprüft, ob der angeschlagene Zahlungsdienstleister mit staatlicher Hilfe gerettet werden könnte. Doch diese Lösung wurde rasch verworfen.

Von Cerstin Gammelin, Berlin, und Klaus Ott

Die Tage Anfang Sommer 2020 waren für die Spitze des Bundesfinanzministeriums eine Zeit, die man lieber nicht erleben will. Gleich zwei Konzerne standen auf der Kippe. Die Lufthansa war so stark von der Pandemie getroffen, dass sie ohne staatliche Hilfe nicht überleben würde. Und dann war da noch Wirecard, der vermeintlich moderne Zahlungsdienstleister, auf den man angesichts der deutschen Bankenschwäche ehedem so stolz gewesen war. Sollte auch die Wirecard AG vor der drohenden Pleite gerettet werden? Es ging um 6000 Arbeitsplätze und um mögliche Verwerfungen bei den Banken, die dem Konzern einen Milliardenbetrag geliehen hatten.

Am Donnerstag, 18. Juni, hatte Wirecard katastrophale Schlagzeilen gemacht. Für 1,9 Milliarden Euro, die angeblich auf Treuhandkonten in Asien gelegen hatten, gab es keine Belege. Der Aktienkurs stürzte ab. Tags darauf ging im Finanzministerium die Nachricht ein, dass auch die Förderbank Ipex, eine Tochter der staatlichen KfW-Förderbank, Wirecard Geld geliehen hatte: 100 Millionen Euro, ohne Sicherheiten. Gleichzeitig fanden ohnehin streng vertrauliche Gespräche mit Bankenkonsortien statt - wegen der Lufthansa. Das Ministerium setzte ein Treffen an, um auch die Lage bei Wirecard zu prüfen. Es dauerte einige Stunden, um alle Szenarien durchzuspielen. Was würde im Finanzmarkt passieren, ginge der Zahlungsdienstleister pleite? Und könnte der Staat irgendwie helfen? Das Finanzministerium fragte bei den Banken nach, was sie von der Fortführung der Kreditlinien hielten. "Wir haben alle Möglichkeiten überlegt", erzählt einer der Verhandlungsführer. Eine Rettung von Wirecard mit staatlicher Hilfe sei dann aber binnen weniger Stunden verworfen worden.

Es sei Unsinn, dass "irgendwer unter Druck gesetzt worden ist"

Zwei Tage später, am 23. Juni, bat der zuständige Finanzstaatssekretär Jörg Kukies per E-Mail um ein Telefonat bei Ipex-Chef Klaus Michalak. Der Ipex-Chef fürchtete daraufhin offenbar, Kukies könnte ihn dazu verdonnern, weitere Kredite an Wirecard vergeben zu müssen. Man habe ihn bereits "vorgewarnt", zitiert der Spiegel aus einer E-Mail von Michalak an seine Chefs bei der KfW. Kukies werde wohl bei dem Telefonat mitteilen, dass man "für Wirecard eine deutsche Lösung" finden wolle. Michalak fühlte sich unter Druck gesetzt. "Herr Kukies will mit uns wohl diskutieren, ob wir nicht nur stillhalten können, sondern ggf. unser Engagement noch aufstocken würden." Sollte Wirecard mit Staatsgeld und viel Druck gerettet werden? Das Bundesfinanzministerium weist das zurück. Es sei Unsinn, dass "irgendwer unter Druck gesetzt worden ist". Man habe vielmehr alle Optionen zur Vermeidung einer ungeordneten Insolvenz geprüft, "und aus guten Gründen sofort verworfen", erklärte ein Sprecher von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD).

An jenem 23. Juni gab es bei Wirecard selbst noch die Hoffnung auf Rettung. Der neue Vorstandschef James Freis berichtete dem Aufsichtsrat am späten Nachmittag, die Wirecard AG habe auch "unter Herausrechnung" der fehlenden 1,9 Milliarden Euro "noch eine positive Bilanz". So steht das im Protokoll der Aufsichtsratssitzung. Dem Protokoll zufolge sagte Freis, die Liquidität sei positiv. Wirecard sei aber kreditfinanziert. Laut Protokoll wären bei der Aktiengesellschaft Kredite in Höhe von insgesamt 1,3 Milliarden Euro eine Woche später ausgelaufen.

Vorstandschef Freis berichtete dem Aufsichtsrat, er habe bei einem Telefonat mit den Banken Anzeichen dafür erhalten, dass die Kreditgeber "ernsthaft eine Verlängerung dieser Linien für die nächsten drei Monate in Erwägung ziehen, um der Gesellschaft über diese Brücke mehr Zeit zu geben, einen Sanierungsplan zu erarbeiten". Auch das steht so im Aufsichtsratsprotokoll. Freis habe erklärt, dass sich grundsätzlich zwei Optionen anböten: Aufrechterhaltung der Wirecard-Gruppe in der vorhandenen Form oder Reduzierung auf ein Kerngeschäft. Das soll dann ausführlich und kontrovers diskutiert worden sein.

Bei der Aufsichtsratssitzung ging es auch um die Gefahr einer Insolvenz. Dass die Wirecard AG sich für zahlungsunfähig erklären müsse, also pleite sei, stand an diesem Tag laut Protokoll noch nicht fest. Es ging darum, ob und falls ja wie Wirecard zu retten sei. Zwei Tage später folgte die Insolvenz. Die Lufthansa wurde gerettet.

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