Süddeutsche Zeitung

Wirecard:Spätzünder aus Aschheim

Wenn Kunden per Kreditkarte zahlen, ist häufig ein Zahlungsdienstleister aus dem Münchner Umland tätig.

Von Heinz-Roger Dohms

Solche Geschichten schreibt sonst nur das Silicon Valley. Stattdessen: Aschheim am Rande Münchens, eine kleine Gemeinde mit einem großen Gewerbegebiet. Direkt an der S-Bahn-Linie sitzt Wirecard in einem unscheinbaren grauen Kastenbau. Wer den Chef besuchen wollte, müsste mit dem Aufzug in den vierten Stock fahren. Wenn da nicht ein Problem wäre: Er ist dieser Tage völlig ausgebucht. "Selbst für uns ist er im Moment nur schwer zu fassen", so eine Sprecherin.

Vermutlich stimmt das sogar. Wirecard-Chef, Markus Braun, 45 Jahre, gebürtiger Österreicher, ist ein viel beschäftigter Mann. Binnen weniger Jahre hat er aus dem früheren Start-up einen großen Finanzkonzern geschaffen. Mehr als fünf Milliarden Euro ist das Unternehmen an der Börse bereits wert. Fast so viel wie RWE oder Lufthansa. Stellt sich die Frage: Warum kennen viele Wirecard nicht? Was macht die Firma eigentlich? Und wie konnte sie so schnell wachsen?

Wirecard ist ein Zahlungsdienstleister, ein deutsches Paypal, wenn man so will. Der Unterschied: Paypal richtet sich an den Kunden, Wirecard an den Händler, arbeitet also eher im Hintergrund. Was Wirecard macht, wird "Acquiring" genannt: Wenn ein Kunde mit seiner Kreditkarte bezahlt, dann landet das Geld nicht direkt beim Händler - sondern erst einmal bei einer speziellen Händlerbank, nämlich dem "Acquirer". Dessen Rolle besteht, vereinfacht gesagt, darin, dass er die Kreditwürdigkeit des Kunden garantiert und bei einem Zahlungsausfall einspringt. Für das damit verbundene Risiko erhält der "Acquirer" eine Gebühr, die im Durchschnitt bei etwa zwei Prozent liegen dürfte.

Das "Acquiring"-Geschäft war in Deutschland immer Sache der Banken, wer sonst hätte es machen sollen? Mit dem Aufstieg des Online-Shoppings änderten sich dann aber die Spielregeln: Der "Acquiring"-Prozess ist im E-Commerce komplexer als im stationären Handel, was technische Gründe hat, aber auch daran liegt, dass es im Internet nicht mehr nur um die Kreditwürdigkeit des Kunden geht. Sondern auch um die Frage: Was, wenn der Händler nicht liefert? Die Banken brauchten zu lange, um sich darauf einzustellen. So stießen neue Anbieter in den Markt, neben Wirecard zum Beispiel auch die englische Firma Worldpay, die Mitte des Monats in London einen spektakulären Börsengang hingelegte.

Das Unternehmen ist im Kern ein Risikominimierer

"Im Kern ist Wirecard ein großer Risikominimierer", sagt der Chef eines Wettbewerbers. Vorstellen muss man sich das so: Noch während der Kunde im Onlineshop seine Daten und die Kreditkartennummer eingibt, erkennen die Wirecard-Systeme anhand bestimmter Muster, ob der Kunde vertrauenswürdig ist. Wenn nicht, wird die Zahlung blockiert. "Mit jeder Transaktion wächst der Datenpool, wodurch sich die Risiken dann noch besser einschätzen lassen. Vermutlich weiß Wirecard inzwischen viel mehr über uns als die Schufa", meint ein Ex-Manager des Unternehmens.

Das "Acquiring"-Geschäft ist allerdings nur der Anfang. Markus Braun und seine knapp 2000 Mitarbeiter wollen noch viel tiefer in die Wertschöpfungskette der etablierten Finanzindustrie einbrechen. So betreibt Wirecard inzwischen eine eigene Bank, gibt Bezahlkarten heraus, liefert die Infrastruktur für junge Fintech-Firmen - und kooperiert mit Mobilfunkkonzernen wie Vodafone, E-Plus oder Orange beim Mobile Payment. "Wirecard gehört eindeutig zu den Innovationstreibern in unserer Branche", heißt es bei einem direkten Rivalen.

Die Geschichte von Wirecard ist gleichwohl eine mit Brüchen. Das 1999 gegründete Unternehmen wurde nicht mit der einen genialen Idee groß. Sondern eher nach dem "Trial and Error"-Prinzip. Es brauchte Jahre, bis sich bei Wirecard endlich eine klare Geschäftsidee herausschälte. Das mag der Grund sein, warum die Firma auch immer wieder Zweifel provoziert. Über den Sommer zum Beispiel erschien im Finanzblog der Financial Times eine Artikelserie mit der Überschrift "House of Wirecard". Die entsprechende Kernthese, darum das "Kartenhaus"-Wortspiel: Die Bilanzen der Bayern seien eher wackliger Natur. Auch der Chef des Wettbewerbers, der Wirecard seit Jahren bestens kennt, sagt hinter vorgehaltener Hand: "Deren Zahlen sind ein Buch mit sieben Siegeln."

Im Aschheimer Gewerbegebiet nimmt man derlei Kritik gelassen. Die Sprecherin weist auf die großen US-Fonds hin, die seit Jahren in Wirecard investieren - und auf die Investmentbanken, die die Aktie in der Tat fast ausnahmslos zum Kauf empfehlen. "Unser Erfolg bringt auch Neider mit sich", sagt sie. Auch was das Selbstvertrauen betrifft, würde Wirecard also ganz gut ins Silicon Valley passen.

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Quelle:
SZ vom 27.10.2015
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