Süddeutsche Zeitung

Wirecard-Skandal:"Die Wirtschaftsprüfer haben spektakulär versagt"

Der FT-Journalist, der den Wirecard-Skandal aufgedeckt hat, würde gerne als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss auspacken - darf aber nicht.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Dan McCrum ist Journalist der britischen Financial Times (FT), normalerweise stellt er Fragen, um Licht in dunkle Vorgänge zu bringen. Im Falle des damaligen Dax-Konzerns Wirecard hat er durch hartnäckige Recherchen einen jahrelangen Bilanzbetrug auffliegen lassen. An diesem Donnerstag hätte er den Deutschen gerne erklärt, wer dafür die Verantwortung trägt.

McCrum war trotz Covid-19 angereist nach Berlin, sogar zwei Tage vor dem geplanten Auftritt im Untersuchungsausschuss des Bundestags. Dort soll aufgearbeitet werden, wie die Manager unter der Augen der Aufseher und der Politik nach Belieben haben betrügen können. Die Mehrheit im Ausschuss sah das aber anders als McCrum: Er durfte nur hinter verschlossenen Türen als Sachverständiger reden. Nicht als Zeuge, nicht öffentlich. Tja, die Vorschriften, hieß es aus der großen Koalition. Irgendwann mal vielleicht.

McCrum erhebt schwere Vorwürfe gegen die Finanzaufsicht Bafin, die Politik und die Wirtschaftsprüfer. Sie beziehen sich weitgehend auf die Zeit, in der Union und SPD regiert haben. "Es wäre in Großbritannien unmöglich, in einem solchen Betrugsfall auszusagen, ohne dass es öffentlich wäre", sagte McCrum in Berlin.

Was genau treibt ihn um, im Falle Wirecard nun selbst Fragen zu beantworten? "Dass die deutschen Regulierungsbehörden extrem unwillig waren, sich vorzustellen, dass Wirecard lügt und Probleme hat", sagt er. Diese Wagenburgmentalität. Niemals habe sich die Finanzaufsicht Bafin an ihn oder die FT gewandt. Es sei ohnehin schwierig für eine Zeitung, mit Behörden zu kooperieren. "Aber im Fall Wirecard hat die Bafin lieber Journalisten angezeigt und sich damit selbst den Weg verbaut, an Informationen zu kommen."

Die Bafin habe als Beweismittel gehackte Unterlagen akzeptiert, geliefert von Wirecard. "Wirecard war über Jahre damit beschäftigt, Aufseher zu überzeugen, dass ihre Kritiker eigene Interessen verfolgen und sie schwächen wollen." Systematisch hätten deutsche Behörden das Unternehmen geschützt, statt es zu prüfen. "Wir haben die erste Geschichte gemacht, sie sind dagegen vorgegangen. Wir haben die zweite Geschichte gemacht, um Details offen zu legen. Wieder haben sie uns nicht geglaubt. Deshalb haben wir eine weitere Geschichte gemacht. Aus Sicht der FT haben wir Beweismittel vorgelegt gegen Wirecard." Die Bafin aber habe die Sicht von Wirecard angenommen. Und habe daraus den Schluss gezogen, die drei Geschichten bewiesen, dass gegen die Firma spekuliert wird.

"Schwer vorstellbar, dass Finanzminister Olaf Scholz nichts davon mitbekommen hat."

McCrum sieht das so: 2008 habe der Betrug begonnen, 2010 sei er auffällig und 2015 nicht mehr zu übersehen gewesen. Und wer ist dafür verantwortlich, dass das trotzdem passierte? "Die Wirtschaftsprüfer haben spektakulär versagt. Sie haben nicht einmal Basisarbeit erledigt. 1,9 Milliarden Euro Geldmittel haben nicht existiert. Sie hätten den Kontenstand bei den Banken abfragen müssen", sagt McCrum. "Die Auskunftspflichten waren zur Hälfte ausgelagert. Die Buchungen sind nicht geprüft worden. Seit 2016 gab es den Verdacht der Geldwäsche, italienische Mafia. Casinos. Spielhallen. Hätten die Wirtschaftsprüfer und die Aufsichtsbehörden genauer hingeschaut, wäre das Desaster zu verhindern gewesen."

Im Übrigen: Das Management von Wirecard habe lange den Ausstieg geplant, eine Milliarde Euro beiseite geschafft. "Es ist jetzt eine sehr komfortable Lage zu sagen, an allem ist der geflüchtete Jan Marsalek schuld, die anderen hätten nichts gewusst. Das ist, was man glauben soll."

Was McCrum im U-Ausschuss gesagt hat, werfe "einen dunklen Schatten auf Qualität unserer Finanzaufsicht", sagt der Grüne Danyal Bayaz. "Schwer vorstellbar, dass Finanzminister Olaf Scholz nichts davon mitbekommen hat." In zwei Wochen soll der in Untersuchungshaft sitzende einstige Wirecard-Chef Markus Braun vor dem Ausschuss aussagen. Er ist eingeladen. Ob das klappt, ist aber offen. Braun kann die Aussage verweigern.

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