Dax-Konzern:Die gesamte deutsche Finanzelite hat sich mit dem Fall Wirecard blamiert

Frankfurter Bankenskyline

Spätestens seit diesem Montag ist klar, dass sich Wirecard zum wohl schlimmsten Bilanzskandal in Deutschland auswächst.

(Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

Wirtschaftsprüfer, Aufseher, Ratingagenturen: Sie alle haben trotz massiver Zweifel an Wirecard weggesehen. Diese kollektive Ignoranz wird zunehmend zu einer Gefahr für den Standort Deutschland.

Kommentar von Meike Schreiber

Zwei Stunden und vierzehn Minuten wird das Thema sorgsam umschifft, als sich am Montag die Finanzelite in Frankfurt zur ersten leibhaftigen Branchenkonferenz seit Beginn der Corona-Krise trifft. Auf dem Podium geht es um die Pandemie, Nachhaltigkeit, Home-Office-Erfahrungen, solche Dinge. Und Wirecard? Spricht erst mal niemand an.

Dabei ist seit diesem Montag klar, dass sich Wirecard zum wohl schlimmsten Bilanzskandal in Deutschland auswächst. Dass Wirecard eben nicht das Opfer gieriger Spekulanten ist, als was es Vorstandschef Markus Braun und sein Umfeld es noch bis dieses Wochenende verkauft haben. Und damit steht fest, dass sich das ganze deutsche Finanzsystem blamiert hat: Die Aufseher haben versagt, die Ratingagenturen, die Wirtschaftsprüfer, die Banken und Fondsgesellschaften, welche Milliarden an Privatanlegergeldern verbrannt haben, ohne nachzufragen - und das, obwohl Journalisten, allen voran jene der Financial Times, bereits seit 2015 gut begründete, massive Zweifel am Geschäftsmodell von Wirecard aufgebracht hatten.

Immerhin, Felix Hufeld, Chef der deutschen Finanzaufsicht Bafin, bricht auf der Konferenz nach mehr als zwei Stunden das Schweigen zu Wirecard. Der Fall sei eine "Schande" für das Land; die Lage "entsetzlich", die Kritik an der Rolle der Aufsichtsbehörden - inklusive der Bafin - absolut verständlich. Hufeld sprach sogar Journalisten, Analysten und Hedge-Fonds seine Anerkennung aus, welche tief gegraben und die richtigen Fragen gestellt hätten. Es ist daher wenigstens mal ein Lichtblick in dem Desaster, dass sich zumindest Hufeld seiner Verantwortung und Fehler bekennt - anders als sein Dienstherr Bundesfinanzminister Olaf Scholz, der auf derselben Konferenz doch tatsächlich herumdruckst, die Aufseher hätten mit Blick auf Wirecard "sehr hart" gearbeitet. Scholz steht damit vielen in der deutschen Business-Elite in nichts nach. Wenn etwas schief geht, übernimmt man dort selten Verantwortung.

Solche Fälle haben inzwischen Folgen für den Standort Deutschland: Nach all den Skandalen bei Volkswagen, Deutscher Bank, Bayer nun also auch noch Wirecard! Internationale Investoren sind zunehmend misstrauisch mit Blick auf deutsche Unternehmen. Deutschland erscheint als ein Land, in dem sich befreundete Vorstände, Politiker, Aufseher, Prüfer, zuweilen auch Gewerkschafter und Strafverfolger gegenseitig schützen. Ein Land, in dem Kritiker so lange als dubiose Konzernschrecks abgeschüttelt werden, bis es nicht mehr anders geht. Deutschland muss endlich lernen, dass eine starke und sowohl personell als auch vom gesetzlichen Rahmen her gut ausgestattete Finanzaufsicht ein Standortvorteil ist: Amerikas Banken sind auch deshalb so stark, weil die Aufseher dort viel härter durchgreifen, weil Fehlverhalten schnell und brutal geahndet wird.

Erst im Mai 2020 nahm die Bafin Wirecard in den Blick

Tatsächlich hatte sich die Aufsicht bei Wirecard lange Zeit redlich bemüht wegzuschauen, mehr noch, sie schaute in die falsche Richtung. Spätestens ab Ende Januar 2019 häufte sich das belastende Material, allen voran in der Financial Times. Die Artikel waren sauber recherchiert und detailliert. Aber die Bafin ging lieber den Vorwürfen von Wirecard nach, wonach sich schon wieder Spekulanten verschworen haben könnten und verhängte erstmals überhaupt ein europaweites Leerverkaufsverbot, welches Wetten auf den Absturz der Wirecard-Aktie unmöglich machte. Später dann folgte auch noch eine miserabel begründete Strafanzeige gegen Journalisten. Das wiederum bestärkte viele Privatanleger, dem Konzern weiter die Treue zu halten, auch dank der Bafin.

Erst im Mai 2020 nahm die Bafin die Firma in den Blick. Dabei hätte die Aufsicht schon seit Jahren ihr Besteck nutzen können: Sie hätte die "Zuverlässigkeit" prüfen können, welche alle Bankvorstände formal vorweisen müssen. Sie hätte aber auch deren Geldwäscheprävention überprüfen können. Und natürlich hätte sie, wie Hufeld selbst einräumt, die Aufsicht über den gesamten Zahlungsverkehrs-Konzern, und nicht nur die Bank, aktiv an sich ziehen müssen. Das alles muss nun schleunigst besser werden.

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