Ein Jahr Wirecard-Skandal:Wiederholung nicht ausgeschlossen

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Am 18. Juni 2020 wurde bekannt, dass Wirecard wohl vor der Pleite steht. Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: Stefan Dimitrov)

Vor genau einem Jahr musste Wirecard Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro einräumen. Haben Politik und Aufsichtsbehörden seitdem dazugelernt?

Von Cerstin Gammelin

Zu den schwarzen Tagen im persönlichen Leben zählt für Tausende Bürger der 18. Juni 2020. Irgendwann an diesem Tag drang die Nachricht durch, dass das deutsche Vorzeigeunternehmen Wirecard wohl vor der Pleite steht. Der von den Aufsichtsbehörden stets wohlwollend betrachtete Zahlungsdienstleister musste einräumen, dass 1,9 Milliarden Euro in den Bilanzen fehlen. Anleger und Gläubiger aber waren mehr als 20 Milliarden Euro los.

Am ersten Jahrestag des Traumas stellt sich die Frage, ob Politik wie Aufseher alles getan haben, um ein Wirecard 2.0 verhindern zu können. Gewiss, das Spitzenpersonal von drei Aufsichtsbehörden wurde ausgetauscht, die Gesetzgebung wurde geändert. Reicht das für ein "Nie wieder"? Nein, sagt Gerhard Schick. Der 49-jährige promovierte Volkswirt war mehr als 15 Jahre Finanzexperte der Grünen im Bundestag. 2018 stieg er aus dem politischen Geschäft aus, um als Chef des unabhängigen Vereins Finanzwende der Politik Druck zu machen. "Die bisher ergriffenen Maßnahmen sind zu wenig, um ein Wirecard 2.0 zu verhindern. Der Kampf gegen Finanzkriminalität ist noch lange nicht auf dem Niveau, auf dem er sein müsste." Zu oft werde das Thema noch als Kavaliersdelikt abgetan. Und auch beim Thema Lobbyismus hab man zwar reagiert, aber bei Weitem nicht angemessen.

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"Es ist noch viel zu tun", sagt Schick. Wobei er den Teil der Aufklärungsarbeit, den der Untersuchungsausschuss im Bundestag geleistet hat, davon ausnimmt. Der sei "exzellent" gewesen. Dank des Ausschusses sei es zum Rücktritt der Behördenchefs der Finanzaufsicht Bafin, der Wirtschaftsprüferaufsicht Apas und der Prüfstelle DPR gekommen. "Vor einem Jahr dachten sie noch, sie könnten trotz des Skandals im Amt bleiben." Die Bundesregierung habe nur ihren Pflichtteil zur Aufklärung geleistet und den "halbherzig".

"Teflonmentalität" bei Olaf Scholz

Olaf Scholz habe eine Teflonmentalität gezeigt, obwohl er als Bundesfinanzminister für die Finanzaufsicht zuständig sei. Der Verein Finanzwende habe ihm schon im November 2019 die Akte Bafin vorgelegt, sagt Schick, "in der wir zahlreiche Schwächen und Fehler der Bafin aufgearbeitet hatten". Die Akte habe den Finanzminister nur leider vor Wirecard nicht interessiert. "Auch wenn man ihm bei Wirecard nicht nachweisen kann, dass er persönlich etwas falsch gemacht hat, trägt er die politische Verantwortung, und ich fände es gut, wenn er das auch persönlich einräumen würde." Das gelte ebenso für Peter Altmaier (CDU), der als Wirtschaftsminister für die Wirtschaftsprüfung und den Aufsichtsprozess zuständig sei. "Es scheint aber die Unkultur dieser Bundesregierung zu sein, dass Minister die Verantwortung für ihren Geschäftsbereich versuchen wegzuschieben."

Besonders kritisch beurteilt Schick den Lobbyismus im Kanzleramt. Selbst bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU) habe sich ja gezeigt, "man muss nur die richtigen Leute bezahlen, dann kriegt man das Ohr der Kanzlerin und kann auf die Regierungsagenda kommen." Es sei überhaupt nicht aufgearbeitet, kritisiert Schick, wie künftig verhindert werden könne, dass ehemalige Minister ihre persönlichen Beziehungen zur Kanzlerin nutzen und als Dienstleister von Kriminellen zu Geld machen können. Es sei "erschreckend, dass die Wirecard-Betrüger sich über Karl Theodor zu Guttenberg die Unterstützung der Kanzlerin einkaufen konnten".

Schick fordert, das Lobbyregister zu ergänzen "im Hinblick auf die Vermischung von parteipolitischen Kontakten und persönlichen Freundschaften und bezahltem Finanzlobbyismus." Die Regierung brauche neue Verfahrensweisen, etwa über eine klare Abfrage bei Gesprächspartnern, für welche Interessen sie tätig sind. Er fordert "ein Kontrollverfahren für einzelne, scheinbar persönliche Kontakte".

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