Süddeutsche Zeitung

Finanzaufsicht:Viele Fehlgriffe

Die Bafin sieht bei mehreren großen Finanzskandalen schlecht aus. Das Nachsehen habe Aktionäre und Anleger.

Von Frederik Obermaier, Jan Willmroth und Markus Zydra, München

Der Wirtschaftsingenieur Christof Irle, 42, ist einer der vielen geschädigten Wirecard-Aktionäre. Es empört ihn, dass Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sagt, der Finanzaufsicht Bafin seien im Fall Wirecard die Hände gebunden gewesen. "Die Bafin hat die Anleger ins Verderben laufen lassen", glaubt Irle. Hinweise, dass die Wirecard AG ihren Börsenkurs manipuliere, hätten doch frühzeitig vorlegen. Der Nicht-Jurist fand viele Vorschriften im Wertpapierhandelsgesetz, die der Bafin Prüfungspflichten auferlegen. Doch die Bafin sei dem nicht nachgegangen. Deswegen hat Irle Strafanzeige gegen die Bafin wegen Strafvereitelung gestellt. "Eine Pflichtverletzung zu beweisen, ist wohl schwierig, aber für ausgeschlossen halte ich das auch nicht", sagt Lars Haffke, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU München im Bereich Corporate Governance.

Der Skandal bei Wirecard ist längst nicht der einzige Fall, in dem die deutsche Finanzaufsicht schlecht aussieht. Die Anleger-Abzocke bei P&R, die Panama Papers, Cum-Ex, die großen Bankenkrise in den Jahren 2007 und 2008: Die Bafin kam entweder zu spät, oder schätzte die Lage falsch ein, oder hatte nicht die passenden Instrumente, um Löcher in den Bilanzen und andere dubiose Vorgänge zu entdecken. Die Chronik der Bafin ist auch die Chronik eines Scheiterns.

Beispiel P&R: Zahlreiche Anleger hatten dem Unternehmer Heinz R. und seiner Containerfirma vertraut, sie hatten viele Jahre lang ihr Geld angelegt, hatten ihre Rente aufgebessert oder für ein Eigenheim angespart - und keiner von ihnen hatte bemerkt, hatte bemerken können, dass sein Vermögen in einem Schneeballsystem steckte. Kein Geldanlageskandal in Deutschland hatte bis dato die Dimensionen von P&R erreicht, als der Betrug im Jahr 2017 aufflog. Mehr als 50 000 größtenteils ältere Anleger hatten insgesamt 3,5 Milliarden Euro investiert. Im Glauben, sie würden Schiffscontainer kaufen und von deren Vermietung und Wiederverkauf profitieren, steckten viele von ihnen hohe Beträge in die Firma.

Am Ende stellte sich heraus: Von den offiziell angegebenen 1,6 Millionen Containern existierten nur etwa 630 000. Mehr als zwei Drittel des Geldes ist wohl für immer weg. Auch die Bafin, seit 2015 mit einem Mandat für den Verbraucherschutz ausgestattet, merkte von der Luftnummer nichts: Sie prüfte zwar, ob die Anlageprospekte und Informationsblätter der P&R-Gruppe vollständig waren und den formalen Regeln entsprachen. Das war der Fall. Weil P&R als Teil des sogenannten Grauen Kapitalmarkts aber nicht unter Bafin-Aufsicht fiel, endete die Zuständigkeit der Behörde an dieser Stelle auch schon wieder.

Wenn Anbieter keine Erlaubnis der Finanzaufsicht benötigen und nur wenige gesetzliche Vorgaben erfüllen müssen, spricht man vom Grauen Kapitalmarkt. So beschreibt das die Bafin selbst und rät Verbrauchern: "Bei Produkten, die dort angeboten werden, sollten Sie besonders vorsichtig sein." Aber genügt diese Warnung? Gerhard Schick, Ex-Bundestagsabgeordneter der Grünen und heute Chef der Organisation Finanzwende, die gegen Missstände in der Geldbranche kämpft, glaubt das nicht. "Die Aufsicht hat nicht einmal kritische Fragen an den Anbieter P&R gestellt, geschweige denn ein Produktverbot ausgesprochen, obwohl es zahlreiche Hinweise auf Probleme gab."

Auch bei den Panama Papers sah die Bafin nicht gut aus

Ende Januar 2019 besuchte Schick Bafin-Chef Hufeld und überreichte ihm die Unterschriften von mehr als 3000 Bürgern, die verlangten, die Finanzaufsicht solle endlich aufwachen und Betrügereien wie bei P&R stoppen. Hufeld kommentierte das laut der Organisation Finanzwende unter anderem mit den Worten, kein staatlicher Schutz könne "den einzelnen Verbraucher aus der Verantwortung entlassen, seine Finanzprodukte aufmerksam und verantwortungsvoll zu prüfen".

Auch in den Panama Papers sah die Bafin nicht gut aus. In den 2016 veröffentlichten Unterlagen einer auf Briefkastenfirmen spezialisierten Anwaltskanzlei tauchten insgesamt 28 deutsche Finanzinstitute in verschiedenen Zusammenhängen auf, die Deutsche Bank etwa, die Commerzbank oder die Bayern LB. Etliche Geldhäuser haben die Dienste der Kanzlei Mossack Fonseca aus Panama genutzt, um ihren Kunden beim Verstecken von Geld zu helfen.

Nach der Veröffentlichung kündigte die Bafin an, sich die Geschäfte der Banken genauer anzuschauen. Die Bafin schaute sich aber nicht alle 28 in den Panama Papers aufscheinenden Institute an, sondern nur zehn davon. Und bei diesen verließ sich die Behörde darauf, die entscheidenden Unterlagen auch wirklich ausgehändigt zu bekommen. Die Banken selbst entschieden, was sie an die Bafin schickten - und was nicht.

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