Wirecard:Auf Anweisung des Vorstands

Wirecard: Der Finanzdistrikt von Singapur: Bei einer der Tochtergesellschaften von Wirecard in Singapur soll es zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein.

Der Finanzdistrikt von Singapur: Bei einer der Tochtergesellschaften von Wirecard in Singapur soll es zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein.

(Foto: Wong Maye-E/AP)
  • Der Hauptverdächtige in der Wirecard-Affäre Edo K. hat ein Vorstandsmitglied belastet: Alle Anweisungen seien von oben gekommen.
  • Wirecard sagt, die Vorwürfe hätten sich nicht erhärtet - ausgestanden ist die Krise jedoch noch lange nicht.

Von Christoph Giesen, Klaus Ott, Nicolas Richter, Jan Willmroth und Nils Wischmeyer

Nach turbulenten Wochen sollte es ein Befreiungsschlag sein: Am 26. März erklärte der Finanzdienstleister Wirecard die Affäre um Unregelmäßigkeiten in seinem Asiengeschäft für weitgehend beendet. Eine "externe Untersuchung" der Singapurer Anwaltskanzlei Rajah & Tann habe ergeben, dass der Fall keine wesentlichen Auswirkungen auf die Abschlüsse habe. Für eine strafrechtliche Verantwortung in Bezug auf die Konzernzentrale in Aschheim bei München gebe es keine Erkenntnisse. Allenfalls könnten sich "einzelne lokale Angestellte in Singapur" strafbar gemacht haben. Ist der Fall, der auch an der Börse große Unruhe erzeugt hat, damit erledigt?

Recherchen der SZ zeigen, dass es bei der Prüfung durch Rajah & Tann zu Vorgängen gekommen ist, die Fragen aufwerfen. Wirecard spricht von einer "unabhängigen Untersuchung", jedoch hat es zwischen der Kanzlei und dem Konzern Gespräche über Zwischenergebnisse gegeben. Dabei wurden offenbar zentrale Aussagen von betroffenen Mitarbeitern in Singapur erörtert. Der Vorstand in Aschheim wurde hingegen nicht befragt. Dies weckt Zweifel, ob die Untersuchung in der Tat so gründlich und unabhängig war, wie es der Konzern darstellt. Wirecard widerspricht: Alles sei in Ordnung. Und es habe keinen Grund gegeben, den Vorstand zu befragen.

Die Krise in Asien ist die erste große Bewährungsprobe für die junge Firma, die binnen weniger Jahre einen rasanten Aufstieg vom Start-up zum Dax-Konzern erlebt hat. Er ist eines der Unternehmen, die dafür sorgen, dass Verbraucher via Internet einkaufen können - das bringt Wirecard inzwischen einen Milliardenumsatz. Mitten in dieser Euphorie hatte sich im Frühjahr 2018 bei einer der Tochtergesellschaften in Singapur ein Whistleblower gemeldet und von rückdatierten Verträgen, Scheingeschäften und Mehrfachüberweisungen berichtet. Wirecard beauftragte die Kanzlei Rajah & Tann, dem nachzugehen. In einem vorläufigen Bericht datiert auf den 4. Mai 2018 kam Wirecard schlecht weg: Die Kanzlei äußerte den Verdacht, dass in Asien Geld verschoben worden sei, um Finanzlöcher zu stopfen; und dass örtliche Beschäftigte womöglich in Straftaten verstrickt gewesen seien.

Als die Financial Times am 30. Januar 2019 Details aus dem vorläufigen Bericht enthüllte, sackte der Aktienkurs um fast 25 Prozent ab. Zwei Monate später gab Wirecard dann Entwarnung. Der Konzern berief sich auf eine "Zusammenfassung" von Rajah & Tann. Am 1. April 2019, ein Jahr nachdem die ersten Vorwürfen laut wurden, trennte sich Wirecard schließlich von Edo K., dem früheren Finanzchef in Asien. Es sah so aus, als sei er für mögliche Unregelmäßigkeiten nahezu allein verantwortlich gewesen.

Was bisher so im Detail nicht bekannt ist: Im Juni 2018 befragte Rajah & Tann drei Mitarbeiter einer Wirecard-Tochter in Singapur: den inzwischen ausgeschiedenen Edo K. und dessen Mitarbeiter James W. und Irene C. Das erste Gespräch fand am 4. Juni statt, danach unterschrieben die drei Angestellten Protokolle ihrer Aussagen. Am 27. Juni folgte die zweite Befragung. Edo K. wurde per Video aus den USA zugeschaltet, wo er sich nunmehr aufhielt. Die Anwälte legten E-Mails und Verträge vor und deckten Widersprüche auf. James W. beteuerte, er könne sich nicht erklären, warum Hunderttausende Dollar auf seinem Privatkonto gelandet seien. Von manipulierten Verträgen wisse er nichts. Irene C. räumte ein, Verträge rückdatiert zu haben, um externe Buchprüfer zu besänftigen. Sie habe auf Anweisung von Edo K. gehandelt, soll sie gesagt haben.

Und Edo K.? Er soll zugegeben haben, eine Zahlung von 500 000 Dollar für Beratungsleistungen angewiesen zu haben; das Geld soll geflossen sein, die Dienstleistung aber nicht existiert haben. So haben es die Prüfer von Rajah & Tann in einer Zusammenfassung notiert, die sie am 28. Juni 2018 einem Justiziar von Wirecard übergaben. "Alle Anweisungen, die er (Edo K., Anmerkung der Redaktion) erhielt, bekam er vom Vorstand der Wirecard AG", heißt es in der Zusammenfassung, die der SZ vorliegt. Auch der Name eines Vorstandsmitglieds fällt darin: Edo K. "unterschrieb etliche Verträge (...) auf Anweisung von Herrn Jan Marsalek." Marsalek ist im Vorstand der Wirecard AG der Chief Operating Officer und für das Asiengeschäft zuständig. Etliche interne E-Mails zeigen einen regen Austausch zwischen Edo K. und Marsalek, auch über die Einzelheiten bestimmter Verträge mit Geschäftspartnern.

Wie kommt es, dass der Hauptverdächtige Edo K. einen Vorstand in Aschheim belastete und die Prüfer von Rajah & Tann das schriftlich festhalten, der Vorwurf aber später keine Rolle mehr spielt? Im Gespräch mit dem Justiziar von Wirecard am 28. Juni 2018 habe Rajah & Tann die von Edo K. erhobenen Vorwürfe als "unglaubwürdig" bezeichnet, teilt Wirecard mit. Schon kurz nach den Befragungen von Edo K. sollen dessen Vorwürfe also schon wieder vom Tisch gewesen sein. Wirecard erklärt dazu: "Rajah & Tann hat gegenüber Mitarbeitern der Compliance-Abteilung aufgrund des Verlaufs der Befragung mehrfach Zweifel an der Belastbarkeit der Aussage von Herrn K. geäußert. Ebenfalls hat Rajah & Tann im Zuge der Untersuchung keine belastbaren Fakten identifiziert, die den von Herrn K. erhobenen Vorwurf untermauert hätten." Die Anschuldigungen von Edo K. hätten sich jedenfalls "bis zum Abschluss der Untersuchung durch Rajah & Tann" nicht erhärten lassen. Edo K. war nicht erreichbar.

Rajah & Tann wollte sich auf Anfrage nicht äußern. Als Wirecard die Krise am 26. März für beendet erklärte, meldete sich Rajah & Tann bei dem Konzern mit drei Sätzen zu Wort. "Wir beziehen uns auf unsere Sachstandzusammenfassung. Wir haben die Zusammenfassung dessen durch die Wirecard AG zur Kenntnis genommen. Wir haben keine Kommentare", schrieb die Kanzlei. Der mögliche Grund: In Singapur ist die Affäre noch längst nicht ausgestanden. Im Februar suchten Beamte einer Spezialeinheit der Polizei drei Mal die Wirecard-Dependance in Singapur auf und stellten mehr als 200 Kisten mit Material sicher. Etliche Mitarbeiter wurden verhört, auch Pässe sollen inzwischen eingezogen worden sein.

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