Wirecard-Prozess:Richter glaubt früherem Chefbuchhalter nicht

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Der frühere Chefbuchhalter E. am 17. Juli 2024 im Gerichtssaal. Eineinhalb Jahre nach Beginn des Wirecard-Prozesses hat er sich erstmals zu den Anklagevorwürfen geäußert. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Stephan E. hat vergangene Woche sein Schweigen gebrochen. Doch die Aussagen des Angeklagten weisen nach Ansicht des Richters massive Ungereimtheiten auf.

Im Wirecard-Prozess ist der frühere Chefbuchhalter des Konzerns erneut in Erklärungsnot geraten. Der Vorsitzende Richter Markus Födisch konfrontierte den Angeklagten Stephan E. am Montag mit Ungereimtheiten im Zusammenhang mit der Aufstellung der Wirecard-Bilanzen: Demnach veröffentlichte der Konzern in den Jahren vor der Milliardenpleite 2020 häufig vorläufige Ergebnisse – noch bevor die drei wichtigsten Partnerfirmen im sogenannten Drittpartner-Geschäft in Asien ihre jeweiligen Geschäftszahlen vollständig abgeliefert hatten. „Das ist der zentrale Punkt“, sagte Födisch am Montag zu dem 49-Jährigen, der ehedem für die Zusammenstellung der Bilanzzahlen maßgeblich verantwortlich war.

Födisch legte E. im Gerichtssaal eine umfangreiche Auswertung der Staatsanwaltschaft vor. Ein Beispiel: Wirecard veröffentlichte am 26. Oktober 2016 den vorläufigen Geschäftsbericht für das dritte Quartal jenes Jahres. Doch die drei Partnerfirmen Senjo, al-Alam und Payeasy übermittelten ihre jeweiligen Geschäftszahlen per Mail erst im November. Diese Verspätung war demnach kein Einzel-, sondern quasi Normalfall, wie der Tabelle der Ermittler zu entnehmen ist.

Richter nimmt Ungereimtheiten in den Blick

Das Drittpartner-Geschäft in Asien steht im Zentrum des gesamten Wirecard-Skandals. Es ging dabei nach Darstellung des Konzerns um die Abwicklung von Kreditkartenzahlungen in den Ländern, in denen man selbst keine entsprechende Lizenz besaß oder mit Kunden, deren Geschäfte zu riskant erschienen, um direkt damit in Berührung zu kommen. Vor allem die drei wichtigsten Partner lieferten so über Jahre vermeintlich immer größere Teile vom Umsatz und Gewinn des damaligen Dax-Konzerns. Die Erträge aber landeten nicht in Deutschland, sondern sollten fast vollständig als Sicherheiten auf Treuhandkonten in Asien liegen – am Ende fast zwei Milliarden Euro. Als sich im Juni 2020 aber zeigte, dass die Konten in Wahrheit leer waren, brach Wirecard zusammen.

Die Anklage wirft Stephan E. sowie Ex-Konzernboss Markus Braun und dem früheren Dubai-Statthalter vor, dass dieses im Wirecard-Sprech TPA genannte Geschäft nie existierte. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Umsätze und Gewinne erfunden waren. „Ohne TPA-Zahlen war es nicht möglich, die vorläufigen Berichte zu machen“, sagte der Vorsitzende Richter nun zum Angeklagten. „Es passt nicht zu dem, was Sie uns sagen.“

Einige Daten nicht mehr nachprüfbar

Der frühere Chefbuchhalter hatte vergangene Woche sein langes Schweigen in dem Prozess gebrochen und umfangreich zur Anklage Stellung genommen, nicht jedoch das von der Kammer angemahnte umfassende Geständnis abgelegt. Sein Verteidiger betonte, dass die drei Partnerfirmen sehr wohl Zahlen geliefert hätten. Doch seien diese teilweise über Screenshots gekommen, die Oliver Bellenhaus – der inzwischen als Kronzeuge der Anklage agiert – aus Dubai per Mobiltelefon über den Chatdienst Telegram geschickt habe. Diese Daten seien heute aber verloren und damit nicht mehr nachprüfbar. „Für die endgültigen Zahlen lagen alle Abrechnungen immer vor“, betonte der Anwalt.

Bellenhaus hat die Anklagevorwürfe weitestgehend eingeräumt, Braun hingegen hat eine Mitschuld mehrfach vollständig zurückgewiesen. Der frühere Chefbuchhalter hat wie auch Braun seinerseits Bellenhaus der Falschaussage beschuldigt. Der im Dezember 2022 eröffnete Münchner Mammutprozess geht nun für knapp vier Wochen in die Sommerpause.

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