Strafverfahren:Ein erster Fingerzeig im Wirecard-Prozess

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Markus Braun betritt den Verhandlungssaal des Oberlandesgerichts München. Hinter ihm der Mitangeklagte und Kronzeuge Oliver Bellenhaus. Neben ihm seine Rechtsanwälte Alfred Dierlamm (links) und Nico Werning. (Foto: Sven Simon/Imago)

Wenige Wochen vor dem Zusammenbruch von Wirecard verschickte der Konzern eine umstrittene Mitteilung, die Anleger beruhigen sollte. Vor Gericht tut sich Ex-Chef Markus Braun schwer, sein Verhalten von damals zu erklären.

Von Johannes Bauer und Stephan Radomsky, München

Eigentlich hätte dieser Tag im Wirecard-Prozess damit anfangen sollen, worauf viele Beobachter seit bald drei Monaten warten: Dass sich Markus Braun, einst Chef des Finanz- und Technologiekonzerns, Fragen stellen muss in diesem vermutlich größten Wirtschaftsprozess der Nachkriegsgeschichte. Braun hatte zwar an den vergangenen Verhandlungstagen bereits gesprochen, aber da durfte er erst mal frei reden. Jetzt wollte der Vorsitzende Richter Markus Födisch die Regie übernehmen. Aber in diesem Verfahren läuft ja selten etwas so ab, wie geplant.

Die Rolle des Befragten allein ist Braun offenbar zu passiv, weshalb er von seinen Verteidigern eine Erklärung samt Präsentation hat ankündigen lassen. Zu Beginn legt er also weitere Belege für seine Aussagen vor, die ihnen mehr Gewicht verleihen sollen. Zumindest in Teilen lässt sich dazu feststellen: Das könnte nach hinten losgegangen sein.

Vor allem seine Ausführungen zur sogenannten Ad-hoc-Meldung vom 22. April 2020 bringen den früheren Konzernboss ins Schwimmen. In dieser Börsen-Pflichtmitteilung von Wirecard ging es um eine Sonderuntersuchung, mit der die Wirtschaftsprüfer von KPMG herausfinden sollten, was dran ist an den Vorwürfen über manipulierte Bilanzen und erfundene Geschäfte in Asien. Braun hatte damals entschieden, dass darin nichts von den sogenannten Prüfungshemmnissen erwähnt wurde, die den KPMG-Leuten bei ihrer Untersuchung begegneten. Rückblickend war die Meldung wohl der Anfang vom Untergang des Aschheimer Konzerns.

Er sei, so sagt es Braun, damals juristisch sogar so beraten worden, dass es irreführend gewesen wäre, die Schwierigkeiten in der Untersuchung zu erwähnen - Wirecard habe schließlich kurz zuvor noch reichlich Unterlagen nachgereicht. Also habe er den Hinweis weggelassen, zuvor habe er mit dem Aufsichtsrat und KPMG auch abgeklärt, ob es dagegen Widerstand geben würde.

Das Thema macht Födisch dennoch hellhörig: Ob es wirklich der richtige Weg gewesen sei, alle Probleme einfach zu verschweigen? "Richtig gewesen wäre zu schreiben, es hätte Prüfungshemmnisse gegeben und man hätte Unterlagen eingereicht, bei denen man glaubt, dass sie dieses Hemmnis beseitigen würden", stellt der Richter fest. Es ist das erste Mal, dass Födisch einen konkreten Punkt erkennen lässt, an dem Braun seiner Auffassung nach einen Fehler gemacht hat.

Brauns Erklärung ist dem Richter zu dürftig

"Die Situation hat sich davor kurzfristig stark geändert", sagt Braun. Außerdem sei so eine Ad-hoc-Meldung nicht der Ort, um komplexe Erklärungen unterzubringen, der Markt könne damit nicht umgehen. Födisch aber ist das offenbar zu wenig. "Der Markt hätte vielleicht nicht das damit angefangen, was sie sich gewünscht hätten", kontert er den Angeklagten.

Keine zwei Monate nach der Mitteilung war jedenfalls klar, wie dieser Markt mit einem Unternehmen umgeht, das einräumen muss, dass 1,9 Milliarden Euro nicht dort liegen, wo man sie vermutet hätten. Wirecard bricht daraufhin zusammen, der Aktienkurs kollabiert, Aktionäre und Gläubiger verlieren Milliarden Euro. Wohl für immer.

Deshalb stehen neben Braun auch der ehemalige Chefbuchhalter des Konzerns, Stephan E., und Oliver Bellenhaus, der Kronzeuge der Staatsanwaltschaft und Wirecards früherer Statthalter in Dubai, vor Gericht. Bellenhaus war vom Golf aus auch operativ zuständig für das sogenannte Drittpartnergeschäft in Asien - dem Kern des ganzen Skandals. Dabei sollten lokale Firmen im Auftrag und auf Vermittlung von Wirecard Zahlungen für Kunden in Ländern abwickeln, in denen der Konzern keine Lizenzen hatte oder deren Geschäftsmodell ihm zu riskant war.

Wirecard hieß Kunden willkommen, für die es eine "Brandmauer" brauchte

"Wir haben ganz klar gesagt: Die Drittpartner betrachten wir als Zwischenschritt", sagt Braun nun vor Gericht. Als "Brandmauer" habe man sie gesehen, nützlich als Vermittler und als zusätzliche Schutzschicht zwischen sich und den Händlern. Bis 2020, so sei es geplant gewesen, sollten diese Partner aber abgelöst, eigene Lizenzen erworben und das komplette Geschäft aus einer Hand angeboten werden, so Braun. Der Vorstand habe auch gewusst, dass sich das Drittpartnergeschäft auf die drei Firmen Al-Alam, Payeasy und Senjo konzentriere.

Alle weitere Zuständigkeit in der Sache weist Braun jedoch von sich. Die sei "in einem anderen Ressort" gelegen: im digitalen Vertrieb - und damit bei seinem geflüchteten früheren Vorstandskollegen Jan Marsalek. Sämtliche Termine, Verträge und sonstige Absprachen seien bei ihm und seinen Leuten gelegen. Und eine Sache möchte Braun ebenfalls klarstellen: Die Theorie, der auch Wirecards Insolvenzverwalter Michael Jaffé anhängt, das Drittpartner-Geschäft sei - zumindest auf dem Papier - über die Jahre hinweg rasant gewachsen und hätte am Ende einen Großteil von Wirecards gesamten Konzerngewinn ausgemacht, die sei falsch. "Da wird meiner Meinung nach betriebswirtschaftlich viel durcheinandergeworfen", sagt Braun.

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