Wirecard:Nur eine Atempause

Wirecard: Das Unternehmen Wirecard steht vor einer ungewissen Zukunft.

Das Unternehmen Wirecard steht vor einer ungewissen Zukunft.

(Foto: Christoph Stache/AFP)

Die kreditgebenden Banken gewähren Wirecard noch eine kurze Frist. Dann wollen sie entscheiden, ob und wie sie ihr Geld zurückhaben wollen. Unterdessen werden auch die ersten großen Kunden untreu.

Von Herbert Fromme und Meike Schreiber, Frankfurt/Köln

Es dürfte ein Leichtes gewesen sein für Markus Braun, fünf Millionen Euro Kaution aufzubringen, um am Dienstag nach einer Nacht die Untersuchungshaft in München wieder zu verlassen. Auch seinen Privatkredit konnte der frühere Wirecard-Chef jetzt offenbar zurückzahlen. Am Dienstagabend wurde jedenfalls vermeldet, dass Braun einen Teil seiner Wirecard-Aktien verkauft hat, um Kredite zurückzuzahlen. Vergangene Woche war der Vorstandschef geschasst worden, nachdem in der Bilanz ein Milliardenloch aufgetaucht war. Mit dem Verkauf der Aktien erlöste Braun 155 Millionen Euro, die er nun wohl an eine oder mehrere Banken zurückzahlen muss, die Kredite an ihn mit Aktien besichert haben. Der Aktienkurs ist seit vergangene Woche um fast 90 Prozent gefallen. In solchen Fällen wird der Kredit fällig oder muss neu besichert werden. Braun, zuvor mit sieben Prozent größter Einzelaktionär, hält nun nur noch rund drei Prozent der Anteile. Auch als Aktionär hat Braun damit nun kaum noch Einfluss auf seine frühere Firma.

Das Sagen haben jetzt ohnehin die kreditgebenden Banken. Weil die Wirtschaftsprüfer von EY vergangene Woche Wirecards Bilanz das Testat verweigert haben, können die Banken ihre Kredite jederzeit fällig stellen. Es geht um eine revolvierende Kreditlinie von 1,75 Milliarden Euro, verteilt auf insgesamt 15 heimische und internationale Institute. Wirecard hatte diese Linie nach SZ-Informationen zu 90 Prozent gezogen. Hinzu kommt eine Anleihe im Volumen von 500 Millionen Euro und eine Wandelanleihe von 900 Millionen Euro. Größte Kreditgeber im Bankenkonsortium sind mit je 200 Millionen Euro ABN Amro, die Commerzbank, ING und die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW).

Der erste Großkunde wendet sich bereits von Wirecard ab

Wie die Nachrichtenagentur Bloomberg am Mittwoch unter Berufung auf "informierten Kreise" schrieb, gibt es nun zwar eine Stillhaltevereinbarung, allerdings nur mit kurzer Dauer. Dann aber wollen die Banken wohl über die Rückzahlungsforderung entscheiden. Im Konsortium dürften dabei die größten Geldgeber den Prozess dominieren. Die Entscheidung muss in der Regel einstimmig fallen. Dies bedeutet, dass Wirecard möglicherweise das gesamte Darlehen zurückzahlen muss, wenn eine Bank das verlangt. Inzwischen prüft laut Bloomberg auch das Beratungshaus FTI Consulting, ob Wirecard gegen die Kreditkonditionen verstoßen habe. Zudem bestehe eine Option darin, die Schulden gegen Aktienanteile zu tauschen. Auch der Verkauf von Geschäftsteilen ist möglich.

Sorgen bereitet der Finanzbranche auch die Banktochter von Wirecard, die über die Banking-App Boon 1,4 Milliarden Euro Spareinlagen von Privatkunden eingesammelt hat. Die Finanzaufsicht Bafin hat einen Sonderbeauftragten entsandt, um zu verhindern, dass die Mittel der Wirecard Bank für das Stopfen der Milliardenlöcher verwendet werden. So versuchen die Aufseher, die Bank vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Gelingt das nicht, müssen die Anleger aus der gesetzlichen und privaten Einlagensicherung der Privatbanken entschädigt werden.

Dort ist man daher in "Alarmstimmung", wie ein Insider sagt. Auch für Versicherungen könnte es teuer werden. Nach SZ-Informationen hat Wirecard für seine Vorstände und Aufsichtsräte eine Managerhaftpflichtpolice mit einer Gesamt-Versicherungssumme von mehr als 100 Millionen Euro abgeschlossen, eine Directors' and Officers' Liability (D&O). Das Risiko trägt ein Konsortium, angeführt vom US-Versicherer Chubb. Zu den Mitgliedern des Konsortiums gehören Allianz und AIG. Die Prämie soll mehr als eine Million Euro im Jahr betragen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird Wirecard versuchen, die Versicherer zur Kasse zu bitten. Das Unternehmen wird Schadenersatz von seinen früheren Vorständen verlangen müssen, die wiederum mit der D&O-Police gegen solche Ansprüche versichert sind. Allerdings: Sollte sich herausstellen, dass die Betroffenen vorsätzlich gehandelt haben, müssen die Versicherer nicht zahlen.

Unterdessen spitzt sich auch die geschäftliche Lage für Wirecard zu: Mit dem Uber-Konkurrenten Grab, einer App für Hol- und Bringdienste aus Singapur, wandte sich laut Agenturberichten am Mittwoch ein prominenter Kunde öffentlich von Wirecard ab. Das wertvollste asiatische Start-Up erklärte, seine Partnerschaft mit Wirecard bis auf weiteres zu pausieren. Beobachter fürchten, dass weitere Kunden folgen. Der Discounter Aldi Süd erklärte laut Reuters , man prüfe den Sachverhalt noch. Zu den Kunden im Zahlungsverkehr gehören auch die niederländische Airline KLM, das schwedische Möbelhaus Ikea oder Fedex. Auch von ihrer Treue hängt nun die Zukunft des Konzerns ab.

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