Süddeutsche Zeitung

Wirecard-Skandal:Bargeld in Plastiktüten

Die Finanzen in der Wirecard-Zentrale wurden wohl eher locker gehandhabt.

Von Klaus Ott und Jörg Schmitt, München

In der Firmenzentrale von Wirecard, im bayerischen Aschheim, sah man sich gerne als Vorreiter der digitalen Revolution. Kunden präsentierte man die schöne neue Welt: Einkaufen ohne Warteschlangen, ohne Anstehen an der Kasse, den Kaufpreis direkt vom Handy abgebucht. Bargeld: überflüssig!

Die Aschheimer Wirklichkeit sah hingegen bisweilen ganz anders aus: Bargeld in rauen Mengen, Scheine, eingeschweißt in Plastik oder in abgewetzten Discountertüten. Mal 200 000 Euro, mal mehr, mal weniger. Insgesamt könnten es über die Jahre hinweg Millionenbeträge gewesen sein. Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt wegen Geldwäscheverdacht. Und auch dieses mal führen die Spuren, mal wieder, zu Jan Marsalek. Die Assistentin eines führenden Kopfes von Marsaleks mutmaßlicher Bande soll bisweilen daran beteiligt gewesen sein, die vielen Scheine aus der Konzernzentrale herauszutragen.

Wer das viele Bargeld bekam, und zu welchem Zweck, wird von den Ermittlern noch untersucht. Bei der Münchner Kriminalpolizei, die der Staatsanwaltschaft zuarbeitet, gibt es eine eigene Untersuchung dazu. Vieles ist noch unklar, aber klar ist unter Ermittlern immer: Wer freizügig in großen Mengen mit großen Scheinen agiert, der braucht in der Regel Geld für schmutzige Zwecke. Um Fälscher und andere Gesetzesbrecher für ihre illegalen Dienste zu bezahlen, für geheime Operationen, um jemanden zu schmieren, um die Spur des Geldes zu verwischen. Anhaltspunkte dafür ließen sich viele finden bei Wirecard.

Den dubiosen Geldflüssen auf die Spur gekommen sind die Ermittler durch die Zeugenaussage einer Person, die in der Aschheimer Konzernzentrale beschäftigt war. Diese Person berichtet, bei der ebenfalls in Aschheim ansässigen Wirecard Bank, einem Tochterunternehmen, seien wiederholt hohe Bargeldbeträge angefordert worden. Das Geld sei dann in einem Tresor verwahrt worden und beispielsweise von der besagten Assistentin abgeholt und Dritten gegeben worden.

Bei Wirecard war offenbar immer alles normal, bis die mutmaßlich kriminellen Machenschaften aufflogen

Ein langjähriger Finanzmanager von Wirecard, in dessen Verantwortungsbereich die Bargeld-Aktionen fielen, soll die Vorgänge gegenüber den Ermittlern als völlig normal bezeichnet haben. Bei Wirecard war offenbar immer alles normal, bis die Luftbuchungen und andere mutmaßlich kriminelle Machenschaften schließlich aufflogen. Für das Bargeld, das bei der Wirecard Bank und offenbar auch bei einem anderen Geldinstitut angefordert wurde, soll es sogar ein eigenes Bestellformular gegeben haben. Damit zumindest auf dem Papier alles seine Ordnung hatte. Wie sonst auch bei Wirecard.

Der Vorgang erinnert an den Schmiergeldskandal bei Siemens. Da hatte ein Beschäftigter noch zu D-Mark-Zeiten regelmäßig hohe Summen in bar von Konzernkonten abgehoben, in Koffern verstaut und ein paar Straßen weiter bei einer anderen Bank auf Schwarzgeldkonten eingezahlt. Teils fünf, teils zehn Millionen Mark. Weil es damals noch keine Rollkoffer gab und die Last so schwer war, zog sich der Siemensianer ein Rückenleiden zu. Mit dem vielen Geld schmierte sein Arbeitgeber weltweit Behörden und Geschäftspartner, um lukrative Aufträge zu bekommen.

Auch Wirecard soll bestochen haben, nämlich Bankangestellte auf den Philippinen, um fiktives Vermögen vortäuschen zu können. Und Sicherheitskräfte in Manila, um Wirecard Ermittlungen vom Hals zu halten. Das Bargeld aus München könnte ähnlichen Zwecken gedient haben. Ausgeschlossen ist nichts.

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