Wirecard-Affäre:Marsalek floh über Minsk

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Jan Marsalek ist auf der Flucht - sie führte offenbar über Wien und Minsk. Vom ehemaligen Wirecard-Manager fehlt jede Spur. (Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)

Vor seiner Flucht traf sich der Wirecard-Manager mit ehemaligen österreichischen Geheimdienstlern in München. Dann flog er vom Wiener Umland aus in die belarussische Hauptstadt. Dort verliert sich seine Spur.

Von Christoph Giesen, Jörg Schmitt und Nils Wischmeyer, München

Es ist die spektakulärste Flucht seit Jahren, und dennoch war bislang nicht klar, wann und auf welchem Weg sich Jan Marsalek, das frühere Vorstandsmitglied des insolventen Zahlungsdienstleisters Wirecard, aus Deutschland abgesetzt hat. Recherchen der Süddeutschen Zeitung zeigen nun, dass Marsalek einen Privatjet einer Innsbrucker Charterfirma gebucht hat und am Abend des 19. Juni vom Flughafen Vöslau-Kottingbrunn in der Nähe von Wien nach Minsk, in die Hauptstadt von Belarus, geflogen ist. Dort verliert sich nach dem knapp zweistündigen Flug um 23 Uhr Ortszeit seine Spur. Bezahlt haben soll Marsalek die Flugkosten in Höhe von etwa 8000 Euro in bar.

Es spricht einiges dafür, dass Marsalek von Minsk nach Russland weitergereist ist. Der Manager pflegte zu ehemaligen Angehörigen des russischen Militärs und Geheimdienstlern angeblich gute Kontakte.

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Bislang war immer wieder berichtet worden, dass Marsalek bereits am 18. Juni geflohen sei, nachdem er am Nachmittag in der Wirecard-Zentrale in Aschheim vom Aufsichtsrat beurlaubt wurde. Marsalek traf sich jedoch an jenem Abend mit Vertrauten in einem italienischen Restaurant in der Münchner Innenstadt. Unter anderem mit einem ehemaligen Abteilungsleiter des österreichischen Inlandsgeheimdienstes, des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorbekämpfung (BVT). Bis vor vier Jahren hatte der ehemalige Spion die Abteilung 2 des Nachrichtendienstes geleitet und war dort zuständig für die Bereiche Extremismus, Terrorismus, Spionageabwehr, Proliferation, Sanktionsbrüche und den illegalen Handel mit Kriegsmaterial. Der Ex-Agent soll, nach seinem Ausscheiden aus der Behörde, gemeinsam mit Marsalek an Wirecard-Projekten gearbeitet haben. Zu konkreten Fragen, auch, ob er Marsalek bei seiner späteren Flucht behilflich war, wollte sich die Anwältin des ehemaligen BVT-Beamten nicht äußern.

Unterdessen gerät die für Wirecard zuständige Wirtschaftsprüfgesellschaft EY immer stärker in Bedrängnis. Im April 2020 hatte der Wettbewerber KPMG die Ergebnisse einer Sonderprüfung veröffentlicht, die letztlich dazu beigetragen haben, den jahrelangen Schwindel bei Wirecard aufzudecken. Wie sich nun herausstellt, wurden damals dem Aufsichtsrat und Vorstand weitere Ergebnisse in einem sogenannten Informationsband übergeben. In diesem Anhang, der der SZ vorliegt, berichten die KPMG-Prüfer von einem EY-Mitarbeiter, der bereits 2016 gewarnt haben soll, dass Führungskräfte bei Wirecard in einen Betrug verwickelt sein könnten und es einen Bestechungsversuch gegeben haben soll.

Diese Vorwürfe wogen schwer und zogen eine forensische Untersuchung mit dem Namen "Project Ring" nach sich, die aber laut KPMG 2018 vorzeitig vom nun flüchtigen Ex-Vorstand Marsalek beendet worden sei. Einen Abschlussbericht habe es damals nicht gegeben. Auch seien die Erkenntnisse der Untersuchung im Jahresabschluss 2017 nicht ausreichend berücksichtigt worden. EY dementiert die Vorwürfe, alles sei damals korrekt dokumentiert worden.

© SZ vom 01.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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