Süddeutsche Zeitung

Wirecard:Angebliche Fluchthelfer von Wirecard-Manager Marsalek festgenommen

Ein ehemaliger Nachrichtendienstler soll dem Ex-Vorstand bei dessen Flucht geholfen haben - gemeinsam mit einem einstigen FPÖ-Politiker.

Von Oliver Das Gupta, Klaus Ott und Jörg Schmitt

Das "Il Sogno" ist ein kleines italienisches Restaurant in der Münchner Innenstadt, irgendwo zwischen Stachus und Marienplatz gelegen. Spezialität: das Steak vom Lavagrill für 24,90 Euro. Il Sogno heißt so viel wie "der Traum, die Wunschvorstellung", und eben so einer war ein paar Stunden zuvor geplatzt, als sich am Abend des 18. Juni 2020 drei Personen in dem Restaurant zum Essen trafen. Jan Marsalek, langjährige Nummer zwei von Wirecard, war nur ein paar Stunden zuvor vom Aufsichtsrat des Aschheimer Finanzdienstleisters freigestellt worden. Dort hatte man kurz zuvor festgestellt, dass offenbar 1,9 Milliarden Euro, die auf Treuhandkonten in Asien liegen sollten, schlicht nicht existierten.

Nun, im "Il Sogno", beriet sich Marsalek mit zwei seiner engsten Vertrauten. Seiner langjährigen Assistentin Sabine E. und mit Martin W., einem Österreicher, früher mal ein hohes Tier beim dortigen Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorbekämpfung (BVT).

Gute 24 Stunden später war Jan Marsalek verschwunden. Seine Spur verliert sich auf dem Flughafen von Minsk, der Hauptstadt von Belarus. Dorthin war er am Abend des 19. Juni mit einem kleinen Privatjet vom Flughafen Bad Vöslau, nahe Wien, aus gestartet.

Sabine E. und Martin W. haben seither beide bestritten, dass Marsaleks Flucht bei besagtem Abendessen im "Il Sogno" geplant wurde. Auch dass sie überhaupt davon gewusst, geschweige denn daran beteiligt waren. Angeblich habe Marsalek bei dem Abendessen nur von seiner Kündigung erzählt - und, dass er sich auf den Weg auf die Philippinen machen wolle, die verschwundenen Wirecard-Milliarden zu suchen. Bei dem früheren Nachrichtendienstler gibt es inzwischen starke Zweifel an dieser Variante.

Seit Freitagabend sitzt Martin W. in Wien in Untersuchungshaft. Die Wiener Staatsanwaltschaft wirft ihm unter anderem vor, Marsalek bei seiner Flucht nach Minsk geholfen zu haben. Das geht aus einer Festnahme-Anordnung des Landesgerichts Wien vom 22. Januar hervor, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt, und über den der Standard zuerst berichtet hatte.

Schellenbacher hat offenbar umfassend ausgesagt

Glaubt man den österreichischen Behörden, dann hat W. Marsaleks Flucht nicht alleine geplant. Geholfen haben soll ihm der ehemalige Nationalratsabgeordnete Thomas Schellenbacher, auf den die Fahnder bei Telefonüberwachungen und Observationen aufmerksam wurden. Der Unternehmer saß von 2013 bis 2017 für die rechtspopulistische FPÖ im österreichischen Nationalrat. Auch er sitzt inzwischen in Haft. Und er hat gegenüber den Ermittlern des österreichischen BKA offenbar umfassend ausgesagt.

Laut Ermittlungsunterlagen soll Schellenbacher inzwischen eingeräumt haben, W. hätte ihn beauftragt, einen Flug für Marsalek nach Minsk zu organisieren. Er habe das dann auch gemacht, trotz Bedenken. Demnach soll W. Schellenbacher Mitte Juni angerufen haben. Er bräuchte ein Angebot für einen Flug nach Minsk, anschließend habe der Ex-Nachrichtendienstler ihm den Reisepass von Jan Marsalek übermittelt.

So wie es derzeit aussieht, hat sich Schellenbacher daraufhin an die Firma Jet X Aviation Services in Kottingbrunn gewandt. Die besorgte für den 19. Juni eine Cessna Citation Mustang 50, die Marsalek auf dem Privatflughafen Bad Vöslau, rund 30 Kilometer südlich von Wien, abholen sollte.

Schellenbacher gab bei seiner Vernehmung offenbar auch zu Protokoll, dass Martin W. ihn an diesem Samstagnachmittag wiederholt angerufen habe, Marsalek würde sich verspäten. Er erzählte den österreichischen Ermittlern, W. habe bei seinem letzten Telefonat gesagt, Marsaleks Ankunft verzögere sich weiter, weil der Taxifahrer die Einfahrt zum Flugplatzgebäude nicht finden könne. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung hätte der flüchtige Wirecard-Manager eigentlich schon am Nachmittag gegen 15.30 Uhr Richtung Minsk starten sollen. Er traf aber erst gegen 19 Uhr auf dem Flughafen ein. Exakt um 20.03 Uhr hob die Cessna mit Marsalek an Bord dann in nordöstliche Richtung ab und landete gegen 23 Uhr in Minsk. Bezahlt hatte Marsalek offenbar in bar. Rund 8000 Euro.

Schellenbacher stand schon einmal im Fokus der Ermittlungen

Ein ehemaliger österreichischer Nachrichtendienstler und ein Ex-Abgeordneter als mutmaßliche Fluchthelfer für den derzeit meistgesuchten Wirtschaftskriminellen der Welt - das dürfte in Österreich auch politisch einiges an Fragen aufwerfen.

Schellenbacher stand schon einmal im Fokus von Ermittlungen, damals ging es um die Umstände, wie er ins österreichische Parlament eingezogen war. Angeblich hatten mehrere ukrainische Geschäftsleute Schellenbachers Sitz im Nationalrat 2013 regelrecht gekauft. Die Männer sollen für seinen Einzug ins Parlament insgesamt zehn Millionen Euro unter anderem an die FPÖ und den damaligen Parteichef Heinz-Christian Strache gezahlt haben, so berichtete es ein Zeuge in einer eidesstattlichen Versicherung. Strache und seine damalige Partei bestritten dies. SZ und Spiegel wurden indes 2019 mehrere Fotos zugespielt, die bündelweise Bargeld zeigen, und die in Straches Dienstwagen aufgenommen worden sein sollen - zu jener Zeit, als Schellenbacher 2013 überraschend einen Platz auf der FPÖ-Wahlliste bekam. Die Metadaten der Fotos jedenfalls passten zu Orten, an denen Strache sich damals aufgehalten hatte, er hatte eine Tasche besessen wie jene, die auf den Bildern mit den Bargeldbündeln zu sehen war, und sein ehemaliger Bodyguard erklärte, dass Strache die Tasche ins Auto gelegt hatte.

Auch der zweite angebliche Fluchthelfer ist eine illustre Figur. Martin W. war lange die Nummer drei im österreichischen Nachrichtendienst BVT, zuständig für operative Maßnahmen, aber auch für die Terrorbekämpfung. Ende 2017 verließ er den Dienst, wegen gesundheitlicher Probleme, aber auch, weil er sich mit Teilen des Hauses überworfen und sich bei der Besetzung einer Spitzenposition in der Behörde übergangen fühlte. Seit 2018 steht W. zwar noch offiziell im Dienst des für das BVT zuständigen Innenministeriums, jedoch ohne Aufgabe und ohne Bezüge.

W. und Marsalek kennen sich seit 2015. Sie haben sich, so erzählte es der Ex-BVT-Mann mehrfach gegenüber Vertrauten, am Rande einer Cyber-Sicherheitskonferenz in Wien kennengelernt. Als W. das BVT verlassen hatte, wandte er sich einige Zeit später an Marsalek. Der brachte ihn anschließend mit Aleksander V., einem Freund und Finanzinvestor zusammen, der sein Büro in der Prinzregentenstraße 61 in München hatte. Dort soll W. seit Anfang 2019 ein eigenes Büro gehabt haben. Vertraute bekamen zu hören, er wäre eine Art Start-up-Scout, würde nach interessanten Unternehmen Ausschau halten und für Wirecard Projekte entwickeln.

Ermittler werfen W. vor, seine alten Kontakte missbraucht zu haben

Dass W. seine alten Geheimdienst-Drähte für Marsalek und Wirecard genutzt habe, hatte er immer wieder bestritten. Noch vor wenigen Tagen hatte der Ex-Nachrichtendienstler Gesprächspartnern erzählt, er habe nie für Jan Marsalek direkt gearbeitet. Schon gar nicht habe er den Wirecard-Manager in irgendwelchen Sicherheitsfragen beraten.

Die Wiener Staatsanwaltschaft ist da nun offenbar anderer Meinung. Die Ermittler werfen W. vor, seine alten Kontakte ins BVT missbraucht zu haben, um für Wirecard "die Zahlungsfähigkeit von Anbietern pornographischer Internetseiten zu prüfen", wie es im Haftbefehl heißt. Sie ermittelt gegen W. daher neben der Begünstigung bei Marsaleks Flucht auch wegen Missbrauchs der Amtsgewalt und Bestechlichkeit. Und sie hegen den Verdacht, dass noch weitere österreichische Nachrichtendienstler auf der Payroll von Jan Marsalek gestanden haben könnten.

W., dessen Anwältin sich auf eine SZ-Anfrage nicht äußerte, hat die vergangenen Monate offenbar größtenteils in Dubai verbracht, wo er eine Wohnung haben soll und offenbar beruflich neu Fuß fassen wollte - allem Anschein nach auch mit der Hilfe von Jan Marsalek. Er sei sehr aufgebracht gewesen, berichten Weggefährten, nachdem ihn die Süddeutsche Zeitung in einem Artikel im Oktober erstmals mit Marsalek in Verbindung gebracht und über das Treffen im "Il Sogno" berichtet hatte. Nach Erkenntnissen der österreichischen Ermittler soll er seither immer wieder seine Handynummer gewechselt haben - "fünf bis sechs Mal".

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