Süddeutsche Zeitung

Wirecard-Skandal:Ex-Vorstand Jan Marsalek will sich stellen

Lesezeit: 3 Min.

Marsalek wird per Haftbefehl gesucht und soll sich aktuell auf den Philippinen aufhalten.

Von Klaus Ott und Jörg Schmitt

Kaum war im Wirecard-Skandal der Haftbefehl wegen Fluchtgefahr gegen Ex-Vorstandschef Markus Braun erlassen worden, da stellte sich dieser den Ermittlern - und kam gegen fünf Millionen Euro Kaution und weitere Auflagen um eine Untersuchungshaft herum. Auf einen solchen Deal mit der Münchner Justiz hofft offenbar auch Brauns langjähriger Vorstandskollege Jan Marsalek, gegen den ebenfalls ein Haftbefehl vorliegt.

Wie es aus Kreisen von Kennern des Münchner Ermittlungsverfahrens heißt, wolle Marsalek sich Anfang der kommenden Woche der Staatsanwaltschaft München I stellen. Sein Kalkül sei es, im Gegenzug ebenfalls gegen Kaution und weitere Auflagen von einer Untersuchungshaft verschont zu werden. Marsalek galt beim Zahlungsabwickler Wirecard als rechte Hand des gestürzten Vorstandschefs Markus Braun.

Marsalek soll für jene Geschäfte auf den Philippinen zuständig gewesen sein, bei denen Zweifel aufgekommen waren, ob offiziell angegebene Bankguthaben auf philippinischen Treuhandkonten in Höhe von 1,9 Milliarden Euro wirklich vorhanden sind. Am Montag hat Wirecard dann zugegeben, dass diese Guthaben "mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht bestehen". Das entspricht etwa einem Viertel der Bilanzsumme.

Nach diesem Eingeständnis war Marsalek bei Wirecard gefeuert worden, nachdem ihn das Unternehmen vergangene Woche bereits vorläufig freigestellt hatte. Er soll sich jetzt auf den Philippinen aufhalten. Angeblich, um Material für die Aufklärung des Falles zu suchen. Ob er sich tatsächlich dort befindet und ob er wirklich nach München kommen und sich den Ermittlern stellen will, bleibt abzuwarten.

Auch die Philippinen haben Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Bilanzskandal bei Wirecard eingeleitet - und eine Suche nach Ex-Vorstand Jan Marsalek. Justizminister Menardo Guevarra sagte am Mittwoch, er habe die Einwanderungsbehörde angewiesen, die Möglichkeit zu prüfen, ob Marsalek im Land sein könnte.

Die Aufzeichnungen der Einwanderungsbehörde zeigten, dass Marsalek am 3. März in Manila war, aber zwei Tage später abreiste, sagte Guevarra Reportern. "Es gibt jedoch einige Hinweise darauf, dass er kürzlich zurückgekehrt ist und möglicherweise noch dort ist", fügte er hinzu. Marsalek war bei Wirecard jahrelang als Chief Operating Officer für das Tagesgeschäft zuständig gewesen.

Die philippinische Zentralbank hatte am Sonntag mitgeteilt, die fehlenden Gelder seien nicht in das Finanzsystem des Landes geflossen. Justizminister Guevarra sagte ferner, er habe keine Informationen darüber, ob Wirecard auf den Philippinen tätig sei. Er habe jedoch die Ermittlungsbehörde National Bureau of Investigation (NBI) angewiesen, mit dem Anti-Geldwäsche-Rat AMLC zusammenzuarbeiten, um den Fall zu untersuchen. "NBI und AMLC werden zusammenarbeiten, sofern es Hinweise auf Geldwäsche gibt", sagte er.

Wirecard-Kunden werden nervös

Der Skandal um vermutete Bilanzmanipulationen bei Wirecard macht mittlerweile wohl auch die Kunden des Unternehmens nervös. In Singapur teilte nach Angaben der Nachrichtenagentur Bloomberg der Fahrdienstleister Grab mit, dass er die Integrationsvorbereitung für eine geplante Partnerschaft mit Wirecard nicht beginnen wolle. Der französische Telekommunikations-Konzern Orange wiederum werde für seine Tochter Orange Bank in Kürze auf einen neuen Zahlungspartner umschwenken, berichtet Bloomberg unter Berufung auf informierte Kreise. Ein Orange-Sprecher habe eine Stellungnahme abgelehnt. Die Zusammenarbeit beider Firmen reicht mindestens bis 2013 zurück.

Lizenzen von Kreditkartenfirmen von großer Bedeutung

Der niederländische Arm der Fluggesellschaft Air France-KLM prüft nach Angaben eines Sprechers die Lage. Die Londoner Onlinebank Revolut hat sich entschieden, Kunden auf einen anderen Anbieter umzustellen, um Probleme beim Service zu vermeiden. Mindestens genauso dringend wie die Sicherung der Kundenbasis ist für den neuen Wirecard-Interims-CEO James Freis, die Zusammenarbeit mit den Kreditkarten-Anbietern zu sichern.

Wirecard verfügt über Lizenzen von Mastercard, Visa und JCB International. Über sie gibt die Banksparte des Konzerns ihre Karten aus. Wenn Wirecard die verschollenen 1,9 Milliarden Euro nicht auffinden kann, könnten sich die Kreditkartenfirmen gezwungen sehen, die Lizenzen zu widerrufen. Ein Wirecard-Sprecher lehnte eine Stellungnahme ab.

"Ob sie die Lizenzen von Visa und Mastercard halten können, ist die große Frage", sagt Analyst Neil Campling von der Schweizer Bankengruppe Mirabaud. "Ohne sie haben sie kein Geschäft mehr." Ein Mastercard-Sprecher erklärte, das Unternehmen verfolge die Entwicklung bei Wirecard, wollte sich zu den Gesprächen mit einzelnen Kunden aber nicht äußern. Eine Sprecherin von Visa sagte, man beobachte weiterhin, was vor sich gehe.

Unterdessen hat der frühere Vorstandschef Markus Braun die fünf Millionen Euro Kaution für seine Freilassung aus der Untersuchungshaft bezahlt. Das sagte ein Sprecher des Münchner Amtsgerichts. Das Geld sei noch am Dienstagnachmittag hinterlegt worden. Braun wurde anschließend auf freien Fuß gesetzt. Abgesehen von der hohen Kaution muss sich Braun für die Dauer der Ermittlungen wöchentlich bei der Polizei melden. Die Staatsanwaltschaft wirft Braun in der Affäre um mutmaßliche Luftbuchungen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro unrichtige Darstellung der Wirecard-Bilanzen und Marktmanipulation vor.

Wirecard hat nach Angaben seiner Internetseite mehr als 313 000 Firmen als Kunden. Der Zahlungsanbieter aus Aschheim bietet seine Dienste in 26 Ländern an.

Mit Material von Bloomberg.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen für 0,99 € zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4947030
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.