Süddeutsche Zeitung

Wirecard-Skandal:Wirecard-Chef Braun soll Sonderprüfer zum Urlaub eingeladen haben

Markus Braun soll als Wirecard-Chef einen hartnäckigen Wirtschaftsprüfer zu sich in die österreichischen Berge eingeladen haben. Die Staatsanwaltschaft München I hat jetzt eine 474-seitige Anklage gegen Braun vorgelegt. Der weist alle Vorwürfe zurück.

Von Jan Diesteldorf, Klaus Ott und Nils Wischmeyer

Die ebenso ungewöhnliche wie merkwürdige Einladung zum Skiausflug, die Markus Braun im Frühjahr 2020 in den letzten Wochen seiner Zeit als Wirecard-Chef ausgesprochen haben soll, erinnert sehr an den Kultsong "Schifoan" von Wolfgang Ambros. Der Song geht bekanntlich so, dass da jemand am "Freitog auf'd Nocht" seine Ski einpackt und ins Stubaital oder nach Zell am See fährt, um dort das Wochenende im Schnee zu genießen. Weil, "Schifoan is des leiwaundste", wie der österreichische Liedermacher Ambros seit Jahrzehnten singt.

Sein Landsmann Braun besitzt oder besaß im Prominententreff Kitzbühel ein sehr großes und sehr schön in den Bergen gelegenes Haus, das elf Millionen Euro gekostet hat. Ein Skiausflug für jemanden, den es angeblich zu umgarnen galt, wäre da sicher möglich gewesen. Sven-Olaf Leitz, Vorstandsmitglied der Wirtschaftsprüfgesellschaft KPMG, hat der Staatsanwaltschaft München I jedenfalls von einer entsprechenden Offerte berichtet. Leitz sagte vor gut einem Jahr, am 2. März 2021, bei der Staatsanwaltschaft als Zeuge aus. Was er zu Protokoll gab, belastet Braun schwer. Der wiederum weist weiterhin alle Vorwürfe zurück, die gegen ihn erhoben werden.

Zum Snowboarden nach Kitzbühel?

Im Frühjahr 2020 setzte die KPMG dem Finanzkonzern Wirecard mit einer Sonderprüfung mächtig zu. Als es immer enger wurde für Wirecard, soll ein Telefonat zwischen Braun und Leitz am 22. April 2020 etwas skuril verlaufen sein, wie sich der KPMG-Vorstand erinnerte. Braun soll Leitz gefragt haben, ob dieser Ski fahre. Nein, will Leitz geantwortet haben. Er fahre nur Snowboard. Daraufhin soll Braun gesagt haben, wenn das alles vorbei sei, würde er Leitz mal zu einem Urlaub in seine Hütte in Österreich einladen, zum Snowboardfahren. Leitz will dankend abgelehnt haben.

Ein Sprecher Brauns erklärt dazu auf SZ-Anfrage, der ehemalige Wirecard-Chef habe Leitz niemals "zum Snowboardfahren in seine Hütte nach Österreich" eingeladen. "Diese Darstellung ist schlicht unzutreffend."

Die im Herbst 2019 vom Wirecard-Aufsichtsrat bei der KPMG in Auftrag gegebene Sonderprüfung hatte letztlich dazu geführt, dass der mutmaßliche Milliardenbetrug bei Wirecard Mitte 2020 aufgeflogen war. Was Leitz dazu bei der Staatsanwaltschaft ausgesagt hat, belastet Braun nicht nur wegen der angeblichen Einladung in die Berge. Die Aussage von Leitz soll in der jetzt von der Staatsanwaltschaft München I gegen Braun und zwei weitere Beschuldigte erhobenen Anklage wegen mehrerer mutmaßlicher Delikte eine wichtige Rolle spielen.

Leitz stellt es so dar, als habe Braun die Sonderprüfung nicht gefördert, sondern erschwert. Das ist so ziemlich genau das Ggenteil von dem, was Braun Ende 2020 bei Vernehmungen durch die Staatsanwaltschaft zu Protokoll gegeben hat. Zur KPMG-Prüfung sagte Braun damals aus, sein Vorstandskollege Jan Marsalek sei zuerst massiv gegen die Sonderprüfung gewesen. Er, Braun, habe das anders gesehen und in einem Gespräch mit Marsalek auch zum Ausdruck gebracht.

Marsalek habe dann am nächsten Tag gesagt, er werde alles tun, um die Prüfung zu unterstützen. Anschließend habe er, Braun, Wirecard-Aufsichtsratschef Thomas Eichelmann angerufen und sich für die Prüfung ausgesprochen und eingesetzt. Braun sagte auch aus, er habe die Sonderprüfung letzten Endes angeregt.

Die mutmaßlichen Gaunereien in Milliardenhöhe hatten sich in Marsaleks Verantwortungsbereich abgespielt. Der Ex-Vorstand kann dazu nicht befragt werden. Er ist Mitte 2020 untergetaucht, nach ihm wird weltweit gefahndet. Braun hingegen blieb da und kam im Juli 2020 in Untersuchungshaft. Er sitzt bis heute im Gefängnis und bestreitet von dort aus alle Vorwürfe, die gegen ihn erhoben werden.

Zur KPMG-Prüfung gab Braun bei seinen Vernehmungen Ende 2020 zu Protokoll, er sei da nicht stark eingebunden gewesen und habe sich dann auch nicht weiter darum gekümmert. Zwischendurch habe Vorstandskollege Marsalek mal geklagt, er bräuchte mehr Leute, die der KPMG zuarbeiteten. Dann solle Marsalek sich mehr Leute nehmen, hat Braun nach eigenen Angaben geantwortet. So wie Braun die Sache bei der Staatsanwaltschaft darstellte, hat er nur einige wenige Male mit der Sonderprüfung zu tun gehabt und diese unterstützt.

Chronik einer zähen Sonderprüfung

KPMG-Vorstand Leitz hat bei seiner Zeugenvernehmung ganz Anderes zur Protokoll gegeben. Leitz sagte aus, Braun habe im Herbst 2019 den Eindruck erweckt, dass er die Sonderprüfung voll unterstütze. Die Prüfung selbst sei dann aber ziemlich zäh angelaufen. Wirecard habe die nötigen Unterlagen nur zögerlich geliefert. Leitz will bei einem Gespräch mit Vorstandschef Braun und Aufsichtsratschef Eichelmann am 16. Januar 2020 Druck gemacht haben. Braun soll dann angefangen haben, das Geschäftsmodell von Wirecard zu erklären; und das nicht zum ersten Mal. Leitz hat seiner Zeugenaussage zufolge erwidert, die KPMG brauche keine Erklärungen, sondern harte Fakten.

Leitz will Braun bei dem Gespräch am 16. Januar 2020 eine Liste mit benötigten Unterlagen übergeben haben. Braun soll geantwortet haben, das müsste eigentlich alles da sein, er werde sich kümmern. Leitz empfand laut Protokoll seiner Zeugenvernehmung das Verhalten von Braun als ungewöhnlich. Bei Untersuchungen in anderen Unternehmen habe er, Leitz, anderes erlebt. Da habe ein Vorstand sofort das ganze Team antreten lassen und klare Anweisungen gegeben, was bis wann vorzuliegen habe. Das habe er, Leitz, bei Braun vermisst.

Anruf am Sonntag

Wichtige Verträge mit Wirecard-Geschäftspartnern hat die KPMG laut Leitz damals nicht bekommen. Leitz berichtete der Staatsanwaltschaft von insgesamt mehreren Gesprächen mit Braun. Der habe ihn, Leitz, sogar mal an einem Sonntag angerufen. Braun habe in gewisser Weise versucht, die Prüfung zu beeinflussen. Er habe immer wieder gefragt, ob die KPMG bestimmte Verträge haben müsse, das sei doch nicht notwendig. Laut Leitz ging es dabei um Geschäfte mit sogenannten Drittpartnern in Asien und den von diesen Drittpartnern betreuten Händlern. Das waren genau jene Geschäfte gewesen, bei denen sich am Ende angebliche 1,9 Milliarden Euro Wirecard-Vermögen auf Treuhandkonten in Asien als Fiktion erwiesen.

Leitz gab als Zeuge noch mehr zu Protokoll: Bei einem weiteren Gespräch im März 2020 soll Braun gesagt haben, er könne garantieren, dass dieses Drittpartnergeschäft zu hundert Prozent echt sei. Er, Braun, habe absolutes Herrschaftswissen. Dann sollte es kein Problem sein, wenn alle Unterlägen kämen, will Leitz nach eigener Aussage erwidert haben.

An die Formulierung "Herrschaftswissen" könne sich Braun nicht erinnern, sagt dessen Sprecher. Alle Erklärungen von Braun gegenüber KPMG "waren jedoch von der festen Überzeugung getragen, dass das Drittpartnergeschäft real existiert." Das sei auch tatsächlich der Fall gewesen, so Brauns Sprecher. Die Staatsanwaltschaft München I sieht das anders.

Herrschaftswissen hin oder her: Wirecard veröffentlichte den Sonderprüfbericht der KPMG, der verheerend ausfiel für den Zahlungsdienstleister, Ende April 2020. Anschließend soll Braun im Gespräch mit Wirecard-Aufsichtsräten gesagt habe, es dürfe keine weiteren Prüfungen mehr geben. Es wäre richtiger gewesen, den Prüfbericht zu verhindern, statt zu veröffentlichen, soll Braun damals erklärt haben.

So steht es in einer Gesprächsnotiz einer Anwaltskanzlei, die damals den Aufsichtsrat von Wirecard beriet. Brauns Sprecher teil dazu mit, der Ex-Vorstandschef bestreite diese Darstellung entschieden. Braun sei derjenige gewesen, "der die finale Entscheidung getroffen hat, den Prüfungsbericht zu veröffentlichen".

KPMG-Vorstand Leitz hat der Staatsanwaltschaft noch von einer weiteren Begebenheit berichtet. Irgendwann habe der damalige Wirecard-Chef Braun ihm, Leitz, sinngemäß sogar Folgendes gesagt: Leitz wisse schon, dass er den Drücker zu seinem, also Brauns elektrischem Stuhl, in der Hand habe. Leitz gab als Zeuge zu Protokoll, er habe das als Versuch empfunden, Druck auszuüben.

Endgültig eskaliert sein soll es dann in der zweiten Juniwoche 2020, kurz bevor der mutmaßliche Milliardenbetrug aufflog und Wirecard zusammenbrach. Da hat Leitz nach eigenen Angaben Braun bei einem Telefonat gesagt, das Vertrauen der KPMG in Wirecard sei aufgebraucht. So gehe es nicht. Die KPMG entscheide, was wie geprüft werde. Braun soll erwidert habe, er müsse sich dann überlegen, ob er nicht juristisch gegen die KPMG vorgehe.

Brauns Sprecher erklärt zu diesen Aussagen von Leitz: "Diese Darstellung ist unzutreffend." Brauns Sprecher beharrt darauf, dass der damalige Wirecard-Chef sich nicht nur für die KPMG-Prüfung eingesetzt habe. Er habe die Sonderprüfung "vielmehr selbst initiiert".

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