Süddeutsche Zeitung

Wirecard:Der Absturz

Markus Braun war Milliardär, jetzt ist er nur noch Millionär - und womöglich muss er vor Gericht. Dem Ex-Chef von Wirecard könnte dann eine lange Haftstrafe drohen. Zu tun hat er es mit einer akribischen Ermittlerin.

Von Klaus Ott und Jörg Schmitt

Als Markus Braun wenige Tage nach seinem Rücktritt als Konzernchef der Wirecard AG vom heimischen Wien nach München zurückkehrt, erwartet ihn eine Juristin, mit der schon viele Konzerngrößen unfreiwillig Bekanntschaft gemacht haben. Hildegard Bäumler-Hösl, Oberstaatsanwältin, Hauptabteilungsleiterin, Spezialistin für große Wirtschaftsfälle. Sie hat den Schmiergeldskandal bei Siemens enthüllt. Sie hat dafür gesorgt, dass der langjährige Formel-1-Chef Bernie Ecclestone in einer anderen Affäre vor Gericht kam und 100 Millionen Dollar in die bayerische Staatskasse zahlen musste. Auch um dubiose Geschäfte bei Großbanken und Airbus hat sie sich gekümmert.

Jetzt sind Wirecard und Braun dran, und vielleicht bald auch dessen früherer, inzwischen gefeuerter Vorstandskollege Jan Marsalek. Beide sind Österreicher; beide haben die in Aschheim bei München ansässige Wirecard AG mit Zahlungsdienstleistungen im Internet groß gemacht und in die Börsen-Elite geführt - in den Deutschen Aktienindex (Dax), in dem Konzerne wie Siemens und VW notiert sind.

Braun fährt Montagabend mit seinem Anwalt Alfred Dierlamm zum Dienstgebäude der Staatsanwaltschaft im Münchner Stadtviertel Schwabing. Dort dürfte die Begegnung mit Bäumler-Hösl, das lassen frühere Begegnungen dieser Art vermuten, etwa so abgelaufen sein: Die Ermittlerin bedankt sich höflich für Brauns Kommen, lässt ihn erst einmal reden, und eröffnet ihm dann möglichst schonend, dass im Skandal um die verschwundenen 1,9 Milliarden Euro ein Haftbefehl gegen ihn vorliege und er nun festgenommen sei.

Die Nacht auf Dienstag verbringt Braun dann im Polizeigewahrsam in der Ettstraße im Polizeipräsidium. An der gleichen Stelle stand früher ein Kloster. Bestimmt begleitet ihn Bäumler-Hösl auch noch dorthin, bevor sie Untersuchungshaft durchsetzen will. Doch die zuständige Ermittlungsrichterin entscheidet am Dienstagnachmittag überraschend anders. Braun muss fünf Millionen Euro Kaution zahlen und fortan mehrere Auflagen einhalten, dann kommt er frei.

Mit ziemlicher Sicherheit hat die Staatsanwaltschaft auch einen Haftbefehl gegen Brauns langjährigen Vorstandskollegen Jan Marsalek erwirkt. Der allerdings ist am Montag oder Dienstag noch nicht in München aufgetaucht. Er soll sich in der philippinischen Hauptstadt Manila aufhalten, aber er soll nicht auf der Flucht sein. Freunde von Marsalek erzählen, er wolle Dokumente besorgen, die zur Aufklärung des Falles beitragen könnten. Angeblich gibt es Kontakte zu den Münchner Ermittlern.

Bäumler-Hösl ist, das widerspricht sich bei ihr nicht, eine gleichermaßen strenge und fürsorgliche Ermittlerin. Eine, die nicht lange fackelt. Nachdem Wirecard unter dem neuen Vorstandschef James Freis in der Nacht zum Montag zugibt, dass offiziell angegebene Guthaben in Höhe von 1,9 Milliarden Euro auf Bankkonten auf den Philippinen wahrscheinlich gar nicht existierten, beantragt die Staatsanwaltschaft sogleich einen Haftbefehl gegen Braun und wohl auch gegen Marsalek. Die Bilanzsumme sei künstlich aufgebläht worden, um Wirecard finanzkräftiger und für Investoren und Kunden attraktiver erscheinen zu lassen, als das der Fall gewesen sei, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, die wegen des Verdachts der Bilanzfälschung und der Manipulation des Börsenkurses ermittelt. Solche Delikte können mit mehreren Jahren Gefängnis bestraft werden.

Brauns Anwalt Dierlamm ist gerade auf Kurzurlaub, als er erfährt, dass es für seinen Mandanten eng werden könnte. Dierlamm und Bäumler-Hösl schätzen einander, was für viele Strafverteidiger und die Oberstaatsanwältin gilt. Die Anwälte wissen: Es lohnt sich immer, auf Bäumler-Hösl zuzugehen und, sofern Anlass dazu besteht, auszupacken. Ein früherer Vorstand der Bayerischen Landesbank hat kurz vor einem Jahreswechsel und zu Beginn einer Ermittlung mal den Fehler gemacht, ihr Angebot auszuschlagen, sie jederzeit anzurufen. Auch an Silvester. Noch vor Heilig Drei König saß der Banker in Untersuchungshaft und machte dann auch noch den Fehler, erst am Ende eines langen Schmiergeld-Prozesses ein Geständnis abzulegen. Das Urteil lautete: achteinhalb Jahre Gefängnis.

Ob es im Fall Wirecard etwas zu gestehen gibt, bleibt abzuwarten. Jedenfalls sorgt Brauns Anwalt Dierlamm dafür, dass sein Mandant nach München kommt und sich stellt. Dierlamm weiß, wann es sich lohnt zu kooperieren; aber dass Braun nicht ins Gefängnis muss, dürfte selbst ihn überrascht haben. Dierlamm hat schon manchem Mandanten in schier aussichtsloser Lage geholfen, sogar beim Banken- und Steuerskandal Cum-Ex. Auch da geht es um Milliarden. Auch da sind viele tief gestürzt, so wie jetzt Braun. Der war jahrelang ein Star an der Börse. Nicht wenige Wirecard-Aktionäre verehrten ihn wie einen Heilsbringer. Vor fast auf den Tag genau einem Jahr, bei der Hauptversammlung 2019 der Wirecard AG, kündigte ein Anleger sogar an, dass er ab sofort das Kindergeld für seine Tochter in Wirecard-Aktien stecken werde. "Und glauben Sie mir, sie wird mir verdammt dankbar sein." Eine Frau dankte Braun euphorisch für die "vielen Glücksmomente, die Sie mir in den vergangenen Jahren beschert haben".

Jetzt sind weit mehr als 20 Milliarden Euro an Börsenwert verloren gegangen. Aus Braun, der mit seinen sieben Prozent Anteil an Wirecard ehedem Milliardär war, ist ein Millionär geworden. Der Ex-Konzernchef hat notgedrungen Aktien verkaufen müssen, um einen mit den Papieren besicherten Kredit bezahlen zu können. Jetzt wird er nicht mehr von gutgläubigen Aktionären gefeiert, sondern hat es mit Bäumler-Hösl zu tun, die ganz genau hinschaut. Das weiß Brauns Ex-Kollege Marsalek. Er hat bei der Oberstaatsanwältin im Februar 2019 als Zeuge in einem Verfahren gegen Börsenspekulanten ausgesagt, die Wirecard hintergangen haben sollen.

In der Vernehmung fiel der Ermittlerin eine Rechnung auf, die im Februar 2019 an Marsalek ging, aber vom Mai 2018 datierte und bis September 2018 bezahlt sein sollte. Marsalek erklärte, er habe sich die Rechnung bisher nicht so genau angesehen. Dass Bäumler-Hösl bis zum kleinsten Detail alles wissen will und sich nichts vormachen lässt, das merken manche Manager erst, wenn es zu spät ist.

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SZ vom 24.06.2020
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