Wirecard:Kühler Empfang

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Tolle Stimmung bei der „Nacht der Tracht“ im Löwenbräukeller. So voll und heiter wird es beim Gläubigertreffen von Wirecard nicht werden. (Foto: Stephan Rumpf/SZ)

Eine Videoschalte ist nicht erlaubt: Die Wirecard-Gläubiger treffen sich im November wegen Corona bei offenen Fenstern.

Von Klaus Ott, München

Im November kann es in München schon recht kühl sein. An manchen Tagen sind es gerade mal ein paar Grad Celsius über null. Wer etwas zu bereden hat, macht das gerne in der warmen Stube. Den vielen Gläubigern des Skandalkonzerns Wirecard ist das allerdings nicht vergönnt. Insolvenzverwalter Michael Jaffé hat diejenigen, die von dem Zahlungsdienstleister noch Geld haben wollen, für den 18. November in den Münchner Löwenbräukeller eingeladen. Das mit dem Keller ist freilich nicht wörtlich zu nehmen. Es handelt sich vielmehr um einen stattlichen Festsaal; um einen der schönsten in München.

In anderer Hinsicht könnten sich die Gäste schon vorkommen wie in einem Keller. Wegen der Corona-Pandemie findet die Tagung bei geöffneten Fenstern statt, damit sich das Virus nicht ausbreiten kann. Je nach Witterung sei "mit einem kühlen Raumklima zu rechnen", werden die Gäste gewarnt. Als ob die Wirecard-Gläubiger nicht schon genug Ärger hätten. Sie haben viel Geld verloren. Allein bei den 15 Hausbanken und bei einigen Investoren sind mehr als drei Milliarden Euro erst einmal weg. Und das sind längst nicht die einzigen Opfer der mutmaßlich kriminellen Machenschaften des geflohenen Konzernvorstands Jan Marsalek und seiner Helfer. Jetzt folgt auch noch ein, im übertragenen Sinne, wohl kühler Empfang durch Insolvenzverwalter Jaffé. Und zu Essen gibt's auch nichts im Löwenbräukeller, ebenfalls wegen Corona. Das alles ist nicht die Schuld des Insolvenzverwalters. Er hat schlichtweg keine andere Wahl. Die Insolvenzordnung, die auch Gläubigertreffen regelt, sieht keine Videokonferenzen vor. Diejenigen, die ihr Geld zurückhaben und sich über den Stand der Dinge informieren wollen, müssen also persönlich erscheinen. Ganz anders als beispielsweise die Aktionäre von börsennotierten Unternehmen. Virtuelle Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften sind in Zeiten der Pandemie längst üblich geworden. Vor zwei Monaten tagte die Lufthansa AG per Video. Für die Fluggesellschaft ging es damals um die Existenz, das Interesse der Aktionäre und der Öffentlichkeit war riesig. Dass man lediglich per Video tagte, störte nicht. Dass solche Treffen virtuell stattfinden dürfen, ist in Paragraf 118 des Aktiengesetzes geregelt; einschließlich "elektronischer Ausübung des Stimmrechts". Um Videoschalten auch für Gläubigertreffen zu erlauben, haben die Grünen bereits am 21. April im Bundestag einen Gesetzentwurf eingebracht. Wegen der Pandemie solle die "Bild- und Tonübertragung" eingeführt werden, inklusive elektronischer Abstimmungen. Alternativen: keine. So steht es im Gesetzentwurf. Geworden ist daraus bis heute nichts. Nach Angaben der Grünen will die Bundesregierung weitere Insolvenzregeln wegen der Pandemie ändern und alles zusammen in einem Aufwasch machen. So lange wollen die Grünen nicht warten; sie wollen das Parlament im Herbst über ihren Entwurf abstimmen lassen.

Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) hat Mitte des Jahres Bedenken geäußert. Bei Gerichten und bei vielen Gläubigern könne es an der nötigen Technik mangeln.

"Das sollte uns allerdings nicht daran hindern, die Gerichte in die Lage zu versetzen, eine 'virtuelle' Teilnahme an einer weiterhin physisch stattfindenden Versammlung zu ermöglichen." Was Lambrecht damit, umständlich formuliert, sagen möchte: Es soll weiterhin richtige Gläubigertreffen geben. Aber die Gerichte könnten ja erlauben, dass sich per Video zuschaltet, wer wegen Corona nicht kommen mag. Der Haken daran: Virtuelle Gläubigertreffen erlaubt das deutsche Insolvenzrecht bisher eben nicht.

Darauf verweist das CSU-geführte Justizministerium in Bayern und fügt hinzu, man sei "offen für eine Digitalisierung von Insolvenzverfahren". Regeln müsse das der Bund. Das Bundesjustizministerium wiederum erklärt, es sei "umstritten", ob eine Teilnahme per Video erlaubt sei. "Von vielen Stimmen wird diese Frage bejaht." Man wollte nun eine "klarstellende Regelung in der Insolvenzordnung" vorschlagen, wonach das zulässig sei. Wann das geschehen solle, sagt Lambrechts Ministerium allerdings nicht. So muss denn bei Wirecard der große Festsaal des Löwenbräukellers herhalten, der bekannt ist für Starkbierfeste, die "Nacht der Tracht" und Faschingsbälle mit den "Damischen Rittern" am Hofe des Herzogs Kasimir. Bis zu 2000 Leute haben normalerweise Platz. Das war vor Corona. Am 18. November tritt aber kein Herzog auf, sondern nur Wirecard-Insolvenzverwalter Jaffé; und auch sonst ist alles anders. Die beiden Küchen und die vier Bars bleiben geschlossen. Es gibt lediglich 300 Sitzplätze. Abstand halten und Maske tragen, die ganze Zeit, lauten die Vorgaben. Garderobe gibt es auch keine. Wenigstens das dürfte aber kein Problem sein, da es sich ohnehin nicht empfiehlt, Jacke oder Mantel abzulegen.

© SZ vom 27.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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