Süddeutsche Zeitung

Wirecard:Sonderprüfer können wichtige Fragen nicht klären

Wirecard hatte gehofft, vom Vorwurf der Bilanzfälschung vollständig entlastet zu werden. Doch der Bericht der Wirtschaftsprüfer löst neues Misstrauen aus.

Von Jan Willmroth und Nils Wischmeyer

Wirecard wollte sich öffnen, mehr verraten über das Wesen des Konzerns und die Frage, wie und wo der Zahlungsdienstleister sein Geld verdient. Nach immer neuen Berichten über Unregelmäßigkeiten in der Rechnungslegung war das dringend geboten. Unter der Überschrift "Transparenz" enthält die überarbeitete Webseite allerlei Dinge, die das Vertrauen in die Firma aus Aschheim bei München stärken sollen. Was dann am Dienstagmorgen dort zum Download stand, hatte aber das Gegenteil zur Folge: Anstatt den Konzern vom Vorwurf der unsauberen Bilanzierung freizusprechen, löste der lange erwartete Abschlussbericht einer Untersuchung durch Wirtschaftsprüfer von KPMG vor allem neues Misstrauen aus.

Gegen acht Uhr am Morgen gab Wirecard per Ad-Hoc-Mitteilung bekannt, den Jahresabschluss nicht wie geplant diesen Donnerstag veröffentlichen zu können - offenbar gibt es noch kein Testat. Die Bilanzpressekonferenz wird ein zweites Mal verschoben, ein neues Datum steht noch nicht fest, ist aber laut Konzernchef Markus Braun für Mai zu erwarten. Die nun veröffentlichte Zusammenfassung des KPMG-Berichts ließ etliche Fragen unbeantwortet. Mit Blick auf wichtige umsatzrelevante Geschäftsbeziehungen stellten die Prüfer fest, diese nicht abschließend untersuchen zu können, weil relevante Daten gefehlt hätten und bestimmte Zusammenhänge nicht hätten ermittelt werden können.

"Insoweit war es KPMG nicht hinreichend möglich die Existenz der Transaktionsvolumina im Untersuchungszeitraum 2016 bis 2018 forensisch nachzuvollziehen", das ist so ein Schlüsselsatz, dem in dem 74-seitigen Dokument viele andere Sätze ähneln. Den Vorwurf, bei manchen Tochtergesellschaften sei in den Jahren 2016 bis 2018 vieles nicht mit rechten Dingen zugegangen, konnte Wirecard damit nicht vollständig ausräumen.

Es hätten relevante Informationen gefehlt, Verträge seien nicht unterschrieben gewesen, Kontoauszüge nicht bereitgestellt worden - und zu manchen Aspekten habe Wirecard angeforderte Daten erst vorige Woche geliefert, schreibt KPMG. Nach Unternehmensangaben würden nun zwar keine Änderungen an den Konzernbilanzen der vergangenen Jahre nötig; Wirecard sieht sich durch den Bericht entlastet. Die Aktie stürzte am Dienstagmorgen dennoch zeitweise um mehr als zwanzig Prozent ab.

Nach der Berufung von Ex-Deutsche-Börse-Manager Thomas Eichelmann in den Wirecard-Aufsichtsrat hatte das Gremium im vergangenen Oktober Bilanzexperten von KPMG mit einer Sonderprüfung beauftragt. Zuvor hatte die britische Financial Times erstmals Ende Januar und danach immer wieder über Unstimmigkeiten in der Rechnungslegung im Asiengeschäft sowie über fragwürdige Geschäftsbeziehungen wichtiger Konzerntöchter berichtet. Der Wirecard-Aktienkurs war mehrfach abgestürzt, das Misstrauen an dem Konzern gewachsen, der Mangel an Transparenz offenkundig. Und der Aufsichtsrat, allen voran der seit Januar als Chefkontrolleur amtierende Eichelmann, war unzufrieden und wollte Klarheit.

Bis zu 40 Wirtschaftsprüfer untersuchten schwerpunktmäßig vier Bereiche Wirecards mit seinen insgesamt gut 50 Tochterfirmen, deren Ergebnisse in die Konzernbilanz eingehen. Einen ersten Zwischenstand veröffentlichte Wirecard am 12. März. Darin hieß es, KPMG habe hinsichtlich der Geschäfte in Indien und Singapur sowohl als auch hinsichtlich des sogenannten Merchant Cash Advance (MCA) "keine substanziellen Feststellungen" gemacht. Im Geschäftsbereich MCA organisiert Wirecard Händlerkredite an kleinere Händler, die ihren Zahlungsverkehr über die Plattform des Konzerns abwickeln. Mit Blick auf diesen Teil der Untersuchung blieb der Abschlussbericht unspektakulär.

Ursprung der Affäre war Ende Januar 2019 ein Bericht der Financial Times über Unstimmigkeiten in der Asien-Zentrale in Singapur. Darin schrieben Reporter der britischen Finanzzeitung über rückdatierte und möglicherweise erfundene Verträge und mutmaßten, es könnte Geld über Tochterfirmen im Kreis geflossen sein - eine klassische Methode, um Umsätze künstliche aufzublähen. Plötzlich stand infrage, ob Wirecards Erfolgsgeschichte authentisch ist. Die Singapurische Finanzpolizei ermittelt bis heute, in drei Durchsuchungen hat sie über 200 Kartons an Beweismaterial einkassiert. Da die örtlichen Wirtschaftsprüfer nicht an das Material kommen, fehlt bis heute ein Testat für das Geschäftsjahr 2017.

Eine externe Kanzlei hatte die Vorwürfe bereits vergangenes Jahr untersucht und gefunden, was nun auch KPMG gefunden hat: "Software-Verträge" ohne wirtschaftliche Substanz. Diese Fehler hatte Wirecard bereits zugegeben und in der Bilanz korrigiert. Dass diese Fehler nicht auffielen, lag laut KPMG an einem komplett fehlenden internen Kontrollsystem. Ansonsten sei mit Blick auf das Singapur-Geschäft nicht viel zu beanstanden, Auswirkungen auf die Konzernbilanz hatten und haben keine der Feststellungen.

Der zusammengefasste Abschlussbericht von KPMG urteilt weniger entlastend

Für den Bereich der sogenannten Drittpartner hatte sich KPMG noch vergangene Woche Aufschub erbeten. Damit blieb ein zentraler Teil der mutmaßlichen Unregelmäßigkeiten ungeklärt - und bleibt es auch weiterhin. Über Drittpartner wickelt Wirecard Zahlungen dort ab, wo es keine eigene Lizenz besitzt, und vertraute dabei in den vergangenen Jahren vor allem auf drei recht undurchsichtige Partnerfirmen, wie interne Unterlagen zeigen. Unter anderem spielte eine dubiose Firma namens Al Alam mit Sitz in Dubai bis zuletzt eine Schlüsselrolle. Mehrere Medien, darunter die SZ, hatten im vergangenen Jahr wiederholt unter Berufung auf interne Daten über Unregelmäßigkeiten in diesem durchaus missbrauchsanfälligen Geschäftsbereich berichtet.

Am vergangenen Mittwochabend hieß es, der für diesen Tag geplante Abschluss der KPMG-Prüfung verzögere sich weiter, bis zum 27. April. Bis dato sei auch im Bereich der Drittpartner nichts gefunden worden - wobei laut einer Mitteilung "noch eingegangene Datenbestände verarbeitet und berücksichtigt werden" sollten. Belege "für öffentlich erhobene Vorwürfe der Bilanzmanipulation" seien aber nicht gefunden worden.

Im zusammengefassten Abschlussbericht am Dienstag klingt das Urteil von KPMG weniger entlastend: Erzielte Umsätze seien von Wirecard nicht ausreichend belegt worden, angeforderte Vertragsunterlagen seien teilweise um Monate verzögert eingereicht worden, einige Drittpartner hätten überhaupt keine Daten bereitgestellt und die Zusammenarbeit verweigert. Die internen Kontrollen von Wirecard seien mangelhaft, es gebe noch nicht einmal Protokolle von Vorstandsitzungen. Bestimmte Kundenbeziehungen habe KPMG erst gar nicht verifizieren können. Insofern hätten die Prüfer weder eine Aussage darüber treffen können, "dass die Umsatzerlöse existieren und der Höhe nach korrekt sind noch die Aussage treffen, dass die Umsatzerlöse nicht existent und in der Höhe nicht korrekt sind." Ein "Untersuchungshemmnis" nennen die Bilanzexperten das. In Bezug auf Daten aus dem Jahr 2019 ist die Untersuchung noch nicht abgeschlossen.

Fragwürdig bleiben indes auch Vorgänge in Indien. 2015 hatte Wirecard ein indisches Unternehmen gekauft. Doch statt es direkt von den Eigentümern zu erwerben, war ein Finanzvehikel in Mauritius zwischengeschaltet. Das soll die Firma für 37 Millionen gekauft und wenig später für rund 300 Millionen Euro an Wirecard weiterveräußert haben. Nun gab es zwei Vorwürfe: Zum einen sei der Kaufpreis zu hoch gewesen, zum anderen sei Geld aus dem Verkauf über verschiedene Kanäle wieder zu Wirecard gelaufen.

Auch hier wieder: mutmaßliche Kreisgeschäfte, um die Umsätze aufzublähen. Ob der Preis tatsächlich zu hoch war konnte KPMG weder bestätigen noch ausschließen, weil niemand wisse, wer hinter dem Fonds in Mauritius stehe. Den zweiten Vorwurf konnte KPMG ausräumen. Laut den "vorgelegten Unterlagen und den durchgeführten Untersuchungshandlungen ergaben sich keine Anhaltspunkte auf 'Roundtripping'", heißt es in dem Bericht.

Wirecard hatte den Verdacht gefälschter Kundenbeziehungen und manipulierter Umsätze stets als falsch und irreführend dementiert und teilweise sogar auf einzelne Presseveröffentlichungen mit Kapitalmarktmitteilungen reagiert. Große Investoren attestierten dem Konzern einen Mangel an Transparenz und in der Regeltreue (Compliance) sowie Defizite in der Kommunikation. Konzernchef Braun sagte am Dienstag mit Blick auf die Compliance, man sei auf "einem guten Weg". Dafür gebe es ein eigenes Team, auch externe Berater unterstützten den Konzern aus Aschheim. So soll sichergestellt werden, dass der Konzern künftig sauberer arbeitet.

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