Das Schreiben, das Wirecard-Insolvenzverwalter Michael Jaffé am Freitagnachmittag an die Belegschaft schickte, ist eine Abrechnung mit dem alten Management. Der Konzern sei "in den Monaten vor der Insolvenz leergeräumt" worden, teilt Jaffé mit. Leergeräumt, das bedeutet: Frühere Verantwortliche haben systematisch Geld beiseitegeschafft. So deutlich hat das noch niemand gesagt, der mit der Aufklärung und den Aufräumarbeiten bei dem vor vier Monaten pleite gegangenen Zahlungsdienstleister befasst ist.
Jaffé nennt in seinem Brief keine Namen, aber auf wen der Vorwurf vor allem zielt, ist nach Angaben aus Wirecard-Kreisen völlig klar: auf den untergetauchten Ex-Vorstand Jan Marsalek und dessen Umfeld. Marsalek hat sich vor vier Monaten über Österreich nach Belarus abgesetzt, dort verliert sich seine Spur. Er soll sich in Russland aufhalten. Es sieht so aus, als wolle er sich für den Rest seines Lebens verstecken. Wer eine jahrzehntelange Flucht organisieren und finanzieren will, Marsalek ist erst 40, braucht Geld. Sehr viel Geld.
Wirecard:Bye bye, USA
Die US-Tochter des Skandalkonzerns wurde für mehr als 300 Millionen Euro verkauft. Die Börse freut es.
Das soll sich der untergetauchte Manager mit Hilfe von Vertrauten bei Wirecard beschafft haben. Im Kreise der Ermittler, Wirtschaftsprüfer und Anwälte, die Wirecard durchleuchten, ist von zahlreichen verdächtigen Geldflüssen vor allem von Ende 2019 bis zur Pleite Mitte 2020 die Rede. Das gilt vor allem für hohe Kredite, die Geschäftspartnern in Asien gewährt wurden und die sich auf weit mehr als eine halbe Milliarde Euro summieren.
Verkauf von Wirecard North America bringt nötiges Geld
Über entsprechende Indizien hatte die SZ bereits Anfang August berichtet. Jetzt redet der Insolvenzverwalter Klartext. Zugleich kündigt Jaffé in seinem Rundschreiben an, dass der Verkauf des Kerngeschäfts von Wirecard bald erfolgen solle. "Spätestens im November ist mit einer Entscheidung zu rechnen", die den Beschäftigten die gewünschte Klarheit bringe. Die Prüfungen durch die beiden Interessenten seien weit vorangekommen, man befinde sich "nun in der Entscheidungsphase". Die beiden verbliebenen Bewerber, deren Namen Jaffé nicht nennt, sind die spanische Bank Santander und das britische Mobilfunkunternehmen Lycamobile.
Diese Woche war es dem Insolvenzverwalter gelungen, den Konzern-Ableger Wirecard North America für mehr als 300 Millionen Euro zu verkaufen. Damit kommt erstmals viel Geld in die zuvor leere Konzernkasse. In seinem Rundbrief an die Belegschaft schreibt Jaffé: "Wie Ihnen bekannt", habe das Insolvenzverfahren "ohne jegliche Liquidität" begonnen. Der Grund: Wirecard sei "leergeräumt" worden.
Die Einnahmen durch den Verkauf des Nordamerika-Geschäfts erleichtern dem Insolvenzverwalter nach Angaben aus Unternehmenskreisen nun auch die Aufklärung der dubiosen Geldflüsse. Damit ist, unter anderem, bereits die Anwaltskanzlei Gleiss Lutz befasst. Gleiss Lutz soll prüfen, gegen wen Wirecard welche Ansprüche geltend machen kann. Solche Untersuchungen und anschließende Gerichtsverfahren sind teuer.
"Jetzt haben wir die entsprechenden Mittel, um das durchzuführen", heißt es aus Unternehmenskreisen. Die Verkaufserlöse für das Nordamerika-Geschäft seien der "entscheidende Meilenstein". Jaffé lässt weltweit nach Firmen und Konten fahnden, um möglichst viel Geld zurückzuholen. Bei Marsalek dürfte das allerdings, solange dieser nicht gefasst wird, vergeblich sein. Der untergetauchte Ex-Vorstand hatte während seiner Zeit bei Wirecard immer wieder beteuert, dort gehe alles mit rechten Dingen zu.