Süddeutsche Zeitung

Bilanz-Skandal:Wirecard-Insolvenzverwalter lobt Reporter, gegen die weiter ermittelt wird

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Die Journalisten der Financial Times hätten akribisch ein bis dato in Deutschland "weder gesehenes noch überhaupt vorstellbares wirtschaftliches Fehlverhalten" beschrieben.

Von Klaus Ott und Jörg Schmitt, München

Das Kapitel 15 (XV) im Insolvenzgutachten der Wirecard AG, in dem es um die Medien geht, liest sich stellenweise wie eine Laudatio. Investigative Journalisten hätten "entscheidend" dazu beigetragen, dass die Geschehnisse bei dem Zahlungsdienstleister öffentlich geworden seien. Insolvenzverwalter Michael Jaffé lobt vor allem die britische Zeitung Financial Times (FT) und deren Reporter Dan McCrum und Stefania Palma. Die beiden hätten über Jahre hinweg akribisch und methodisch unter dem plakativen Titel "House of Wirecards" ein bis dato in Deutschland "weder gesehenes noch überhaupt vorstellbares wirtschaftliches Fehlverhalten" beschrieben.

Die Verdienste von McCrum und Palma sind damit bei der Justiz zu Protokoll offiziell gegeben worden. Jaffé hat seinen Bericht beim Amtsgericht München eingereicht, das für Wirecard zuständig ist. In dem Bericht steht noch mehr, was die FT freuen wird. Der Insolvenzverwalter hat nicht vor, eine vom alten Wirecard-Vorstand beim Landgericht München I auf den Weg gebrachte Schadenersatzklage gegen das britische Blatt weiter zu betreiben. Es sei vorbehaltlich eines Blickes in die Prozessakte "nicht davon auszugehen, dass das Verfahren fortgeführt" werde, schreibt Jaffé. Die Verhandlung bei Gericht, die für den 5. Oktober anberaumt ist, dürfte also hinfällig werden.

Die Reporter vor den Attacken in Schutz zu nehmen, ist dem Insolvenzverwalter erkennbar ein Anliegen

Der langjährige Konzernchef Markus Braun und sein Vorstandskollege Jan Marsalek waren gegen die FT und andere Medien zu Felde gezogen, um von den Recherchen über und Anschuldigungen gegen Wirecard abzulenken. So liest sich das im Insolvenzgutachten von Jaffé. Brauns und Marsaleks Attacken waren derart vehement, dass sich die in Bonn ansässige deutsche Finanzaufsichtsbehörde Bafin laut Jaffé sogar veranlasst gesehen habe, Strafanzeige gegen die beiden FT-Reporter zu stellen. Wegen des Verdachts, die britische Zeitung habe zwielichtigen Börsenspekulanten geholfen, kräftig an fallenden Aktienkursen von Wirecard zu verdienen. Die Staatsanwaltschaft München I nahm das im Frühjahr 2019 zum Anlass, Ermittlungen gegen McCrum und Palma einzuleiten.

Jaffé macht in seinem Gutachten recht deutlich, was er von den Vorwürfen gegen die FT hält: gar nichts. Die beiden britischen Reporter zu loben und vor den Attacken von Braun und Marsalek in Schutz zu nehmen, ist dem Insolvenzverwalter erkennbar ein Anliegen. Seine Sichtweise wird von der Bonner Bafin und der Münchner Staatsanwaltschaft aber nicht geteilt, zumindest bislang nicht. Die Staatsanwaltschaft betreibt das Verfahren gegen McCrum und Palma weiter. Es geht um den Verdacht, die beiden hätten zusammen mit kriminellen Börsenspekulanten den Aktienkurs von Wirecard manipuliert. Ein Abschluss dieses Ermittlungsverfahrens sei "derzeit noch nicht absehbar", so die Staatsanwaltschaft.

Die Bafin hält an ihrer Strafanzeige vom April 2019 gegen die beiden FT-Reporter fest. Die Finanzaufsichtsbehörde erklärt das so: Sie müsse unverzüglich Anzeige erstatten, wenn Tatsachen vorlägen, die den Verdacht einer Straftat begründeten. Die Strafanzeige enthält allerdings keine derartigen Fakten, sondern nur pauschale Vermutungen. Im Gegensatz zu Jaffés Insolvenzgutachten.

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SZ vom 29.08.2020
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