Finanzverkehr:Was bleibt von Wirecard?

Lesezeit: 3 Min.

Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: Stefan Dimitrov)

Das Geschäftsmodell der Skandalfirma war immer schon intransparent. Jetzt geht es darum zu ermitteln, was wie viel wert ist und dann möglichst viel zu verkaufen. Versuch einer Inventur.

Von Harald Freiberger, München

Bargeldloser Zahlungsverkehr läuft im Hintergrund ab, sichtbar ist er nicht. Für Außenstehende hat das einen Nachteil: Es ist nicht greifbar, was ein Zahlungsdienstleister wie die nun insolvente Wirecard AG macht, worin sein Geschäftsmodell besteht. Gleichzeitig ist es einfacher, einen weltweit verschachtelten Konzern aufzubauen, Millionen und Milliarden Euro hin- und herzuschieben, auf Treuhandkonten zu verstecken oder zu fingieren. Der vorläufige Insolvenzverwalter Michael Jaffé verschafft sich derzeit einen Überblick über die Geschäftseinheiten und ihre Werte. Seine Aufgabe ist es, davon möglichst viel zu finden und zum Beispiel an Investoren zu verkaufen.

Der Versuch einer Inventur: Ursprung von Wirecard war in den 1990er-Jahren die technische Abwicklung von Zahlungen auf Glücksspiel- und Pornoseiten im Internet. Das Geschäft wird "Processing" genannt, der Anbieter vermittelt gegen eine Gebühr das Geld von der Kreditkarte des Kunden ans Unternehmen. Mit dem Boom des Internethandels wuchs Wirecard stark. Einen entscheidenden Schub gab es 2006, als Wirecard die Banklizenz bekam: Seitdem darf das Unternehmen Online-Zahlungen nicht nur technisch abwickeln, sondern auch als "Acquirer" tätig sein. Ein Acquirer hat eine Lizenz von Kreditkartenfirmen wie Mastercard oder Visa und vermittelt diesen Zahlungen aus Online-Shops und aus dem Handel.

Gesetz zum Kohleausstieg
:Wenn die Kohle fehlt

Seit Jahrhunderten verbrennt die Menschheit sie. Früher, um zu Heizen. Heute vor allem, um Strom zu erzeugen. Bis 2038 soll damit nun Schluss sein in Deutschland. Und dann?

Von Philipp Bovermann und Benedikt Müller-Arnold

Kauft ein Kunde ein, bekommt der Acquirer Geld von dessen Bank und verwahrt es, bis er es an die Bank des Händlers auszahlt. Das ist nötig, weil der Kunde das Geld zurückfordern kann, wenn er die Leistung nicht erhalten hat. Der Acquirer prüft dieses Risiko, behält dafür einen Puffer zurück und zieht am Ende eine Gebühr von bis zu 2,5 Prozent des Kaufpreises für sich ab. Als Puffer halten Acquirer hohe Geldbeträge auf Konten vor. Die vermeintlichen 1,9 Milliarden Euro von Wirecard auf philippinischen Konten waren offiziell als ein solcher Puffer deklariert.

Zum Kerngeschäft baute Wirecard immer mehr Dienstleistungen rund um das bargeldlose Bezahlen auf der ganzen Welt auf: Man gründete eine Gesellschaft in Großbritannien, bot Processing und Acquiring in ganz Europa an, kaufte von der Citigroup das Zahlungsverkehrsgeschäft in den USA und stieg schließlich groß in Asien ein. Hinzu kamen die Herausgabe von Kreditkarten ("Issuing") oder der Dienst Boon, der kontaktloses Bezahlen übers Handy ermöglicht. Zuletzt versuchte die Wirecard-Bank auch gut verzinste Einlagen von Sparern anzuziehen.

Am wertvollsten erscheint der Acquiring-Bereich, der laut Wirecard für Transaktionen in zweistelliger Milliarden-Euro-Höhe stand und jedes Jahr Umsätze im hohen dreistelligen Millionen-Bereich generierte. Doch diese Zahlen waren wohl weit übertrieben. Die Financial Times schätzt sie wegen der Manipulationen allenfalls auf die Hälfte oder gar nur ein Drittel.

Was bleibt, sind reale Kundenbeziehungen in Europa und Amerika. Wirecard wickelte den Zahlungsverkehr für Kunden wie den Flughafen München oder BASF ab. Vor einem Jahr wurde die Kooperation mit Aldi Süd verkündet. Doch der prominenteste Kunde sprang nach der Insolvenz ab. Er hat sich mit Payone zusammengetan, dem Acquirer der Sparkassen.

"Kein Händler hat Unsicherheit in seinem Zahlungsverkehr gern, deshalb schauen sie sich jetzt schnell nach anderen Anbietern um", sagt Ernst Stahl, Zahlungsexperte des Ibi-Instituts an der Universität Regensburg. Die Kundenbeziehungen sind für einen möglichen Investor das Wertvollste, über die technische Plattform verfügen Konkurrenten wie Nets, Computop oder Worldline selbst.

"Der Name ist verbrannt und wird wahrscheinlich verschwinden."

"Wir haben in den vergangenen Tagen massenhaft Anfragen von Onlinehändlern bekommen, die zu uns wechseln wollen", sagt Ralf Gladis, Chef von Computop. Im Onlineshop dauere ein Wechsel des Zahlungsdienstleisters eine Woche, wenn es schnell geht, der Austausch von Kartenzahlgeräten in den Läden brauche mehrere Wochen. "Warum soll man einen Teil von Wirecard kaufen, wenn sein Wert mit jedem Tag dahinschmilzt?", fragt Gladis.

Auch bei anderen Teilen von Wirecard ist die Lage unübersichtlich: Die US-Sparte hat angekündigt, sich selbst zum Verkauf zu stellen, die Herausgabe von Kreditkarten ("Issuing") ist als Geschäftsfeld klein - und in Asien weiß man gar nicht, ob es dort überhaupt Geschäft gibt. Wenigstens scheinen die Einlagen von Kunden bei der Wirecard-Bank sicher, sie sei nicht in Insolvenz, betont Verwalter Jaffé.

Leidtragende sind vor allem die 5800 Mitarbeiter. Konkurrent Gladis berichtet von zahlreichen Bewerbungen, er will möglichst viele Mitarbeiter einstellen. Das ist das Skurrile: Die Belegschaft hat in der Branche einen hervorragenden Ruf als innovativ und kundenorientiert.

Und der Name Wirecard? "Der ist verbrannt und wird wahrscheinlich verschwinden", so Experte Stahl. Ein Branchen-Insider, darauf angesprochen, sagt: "Ich möchte ihn nicht haben."

© SZ vom 04.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusExklusivDie Wirecard-Kontrolleure
:Auf der Suche nach dem Phantomgeld

Die Wirtschaftsprüfer von EY sollen bei Wirecard jahrelang nicht energisch genug nachgehakt haben. Das wirft die Frage auf: Haben die Kontrolleure versagt oder fehlte ihnen schlicht die Handhabe?

Von Christoph Giesen, Klaus Ott, Nicolas Richter, Jörg Schmitt, Jan Willmroth und Nils Wischmeyer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: