Süddeutsche Zeitung

Wirecard:Gegen alle Widerstände

Der Bezahldienstleister Wirecard aus der Nähe Münchens hat beste Chancen, die alt-ehrwürdige Commerzbank aus dem Dax zu verdrängen. Es wäre ein Triumph für Konzernchef Markus Braun, der mit der Firma einst in der Schmuddelecke des Internets angefangen hat.

Von Nils Wischmeyer

Markus Braun gibt sich betont gelassen. Nichts soll man ihm anmerken, so kurz vor seinem Triumph. Am 5. September wird sich entscheiden, ob Wirecard in den Dax aufrückt. Kaum 20 Jahre alt, könnte der Bezahldienstleister dann die ehrwürdige Commerzbank aus der ersten Reihe der deutschen Konzerne verdrängen. Die meisten Beobachter gehen davon aus, dass es so kommt, alle Zahlen sprechen dafür. Was also würde der Aufstieg in den Dax ändern? Braun überlegt kurz, fasst sich an seine randlose Brille und beginnt: Das sei absolut nichts, was ihn beschäftige, sagt er. Darüber denke er nicht nach, weder jetzt noch irgendwann.

Allein, das ist schwer zu glauben, wäre es doch für Braun, den Macher hinter dem atemberaubenden Aufstieg von Wirecard, die finale Bestätigung. Und der endgültige Abschied aus der Schmuddelecke.

Denn anders als andere Konzerne, die heute im Internet ihr Geld verdienen, stammt Wirecard nicht aus irgendeiner Garage, in der ein paar Genies davon träumten, die Welt zu verändern. Die Vergangenheit von Wirecard ist weniger romantisch und viel komplizierter. Pornos spielen darin eine Rolle, Glücksspiel und immer wieder Börsenmanipulationen. Und Markus Braun, der praktisch von Anfang an dabei war und viele seiner Aktionäre inzwischen zu Millionären gemacht hat - und sich selbst wohl zum Milliardär.

Geld verdient Wirecard im trockenen Geschäft des Zahlungsverkehrs. Onlinehändler engagieren das Unternehmen, damit die Kunden möglichst viele Bezahlarten nutzen können. Außerdem sichert Wirecard die Geschäfte ab, springt also ein, wenn der Kunde nicht zahlt oder der Händler nicht liefert. Für dieses Risiko wird Wirecard bezahlt - von einer imposanten Liste an Kunden: mehr als 90 Fluglinien stehen unter anderem darauf, außerdem Konzerne wie Google, Apple, Microsoft und Alipay. Im vergangenen Jahr machte Wirecard so 1,5 Milliarden Euro Umsatz, fast 45 Prozent mehr als noch 2016. Der Aktienkurs kletterte um 145 Prozent, inzwischen ist das Unternehmen an der Börse über 20 Milliarden Euro wert - mehr als die Deutsche Bank.

Das Glamouröse der Traditionsbanken fehlt Wirecard trotzdem völlig. Der Konferenzraum, in dem Braun sitzt, liegt nicht in irgendeinem Turm aus Stahl und Glas, sondern in einem unscheinbaren, fünfstöckigen Bürogebäude in Aschheim vor den Toren Münchens. Es wirkt fast, als wolle sich Wirecard hier im Industriegebiet verstecken. Auf Understatement legt die Firma trotz ihres rasanten Aufstiegs noch immer großen Wert.

Die Wurzeln des heutigen Unternehmens liegen in den Trümmern des Dotcom-Crashs kurz nach der Jahrtausendwende. 2002 übernimmt die EBS Holding die alte Wire Card, schon damals geführt von Markus Braun. EBS handelt mit "Medien", manche sagen Pornografie. Das Geschäft läuft anfangs gut, Probleme bereitet nur das Bezahlen. Kreditkarten sind in Deutschland noch wenig verbreitet. Braun will schon damals mit einer virtuellen Kreditkarte das Bezahlen im Netz revolutionieren, die alte Wire Card gerät in den Wirren der geplatzten Internet-Blase aber in finanzielle Schwierigkeiten und wird von EBS geschluckt.

Braun hält trotzdem an seinem Geschäftsmodell fest - obwohl der Markt für Bezahldienste im Netz Anfang der 2000er-Jahre noch winzig ist. 2005 macht die neue Wirecard einen Umsatz von 50 Millionen Euro - vor allem mit Kunden aus dem Kasinobereich und der Pornoindustrie. Trotzdem strebt Braun an die Börse. Dafür übernimmt er einen Call-Center-Betreiber, der zwar fast pleite ist, aber gelistet. Wirecard bedient sich der Hülle, benennt alles um - und ist mit einem Trick auf dem Parkett. Ein ungewöhnlicher Schritt, sagen Experten. Braun hat dafür eine eigene Erklärung: "Wir haben den Weg gewählt, weil es keinen Markt für Börsengänge von Tech-Werten gab", sagt er.

Die anrüchigen Anfänge und die hemdsärmelige Art Brauns hinterlassen ihre Spuren. Über Jahre sind die Anleger zwar stets begeistert von den Erfolgen, aber eben auch immer höchst misstrauisch. Das macht Wirecard anfällig für Spekulanten. 2008 greifen sie zum ersten Mal an: Sie wetten erst auf einen Absturz der Aktie und prangern dann auf der Hauptversammlung die Bilanzierung an und überschütten den Vorstand mit Vorwürfen. Der gewünschte Effekt tritt ein: Der Kurs gibt kräftig nach. Die Lage wird brenzlig für Wirecard.

Alte Wegbegleiter berichten, wie Braun die Situation am Telefon wieder in den Griff bekommt. Er ruft seine Investoren persönlich an und versichert, dass die Anschuldigungen falsch sind. Fertig. Sie glauben ihm, der Kurs stabilisiert sich. Die Spekulanten hinter der ersten Attacke werden später sogar verurteilt - die Angriffe auf Wirecard aber gehen weiter, erst 2010, dann 2015, schließlich 2016.

An einem verregneten Mittwoch im Februar beginnt der bis dato größte Angriff auf Wirecard. Über Nacht veröffentlicht das bis dahin völlig unbekannte "Analysehaus" Zatarra einen 100-seitigen Bericht. Darin wirft Autor Fraser Perring Wirecard und dem Vorstand alles mögliche vor: Korruption, Betrug, Geldwäsche, illegales Glücksspiel. Zwar hat noch nie jemand von Zatarra gehört - trotzdem bricht Panik aus, die Wirecard-Aktie verliert innerhalb weniger Stunden 25 Prozent an Wert.

Braun dagegen kauft Aktien für einen Millionenbetrag, dementiert alles öffentlich - und telefoniert einmal mehr große Investoren ab. Am Ende kann Wirecard die Vorwürfe entkräften, die Geschichte aber ist damit noch nicht zu Ende. Fraser Perring, der Mann hinter dem ominösen Zatarra-Report, erzählt später gegenüber Bloomberg eine verstörende Geschichte: Im Dezember 2016, also Monate nach der ganzen Affäre, habe er seine Tochter zur Schule gefahren, als zwei Männer in seinen Audi einstiegen, beide mit osteuropäischem Akzent. Sie hätten seiner Familie gedroht, falls er nicht zugebe, dass er etwas mit dem Angriff auf Wirecard zu tun habe. Angsterfüllt log er, stritt alles ab, und die Männer zogen ab. Wirecard distanziert sich bis heute von der Geschichte.

Das ständige Pendeln zwischen Skandal und Aufstieg macht Wirecard einzigartig

Dass die unsauberen Wetten gegen Wirecard überhaupt funktioniert haben, liegt auch an den Bilanzen des Konzerns: Zu jedem Zeitpunkt fließt extrem viel Geld durch die Firma, nicht immer ist aber klar, was davon Wirecard gehört. Gestandene Analysten haben sich an den Zahlenwerken aus Aschheim schon die Zähne ausgebissen. Auch das kräftige Wachstum in Asien brachte Beobachter in den vergangenen Jahren immer wieder ins Grübeln. Bei einigen der Deals in Fernost bezahlte Wirecard laut Financial Times dreistellige Millionensummen für "obskure" mittelgroße Unternehmen, die zuvor kaum Umsatz oder Gewinn erzielten. Braun sagt dazu nur: "Wenn man sich unsere Geschäftsberichte und Präsentationen ansieht, sind darin so viele Kennzahlen dargestellt wie sonst bei kaum einem Mitbewerber."

2017 dann holt die Vergangenheit Wirecard ein weiteres Mal ein: Im Rahmen der Paradise Papers enthüllen Süddeutsche Zeitung und NDR, dass über Konten bei mehreren deutschen Banken Geld an ein illegales Online-Kasino floss. Abgewickelt wurden die Zahlungen von Wirecard. Die Münchener Staatsanwaltschaft prüft noch immer ein Verfahren. "Wir haben immer zu hundert Prozent rechtskonform gehandelt", wehrt Braun ab.

Es ist dieses ständige Pendeln zwischen Skandal und Aufstieg, das Wirecard so einzigartig macht. Heute bescheinigen Analysten dem Unternehmen astreine Bilanzen, hunderte internationale Großkonzerne setzen auf die Dienste des Zahlungsdienstleisters, und der Aktienkurs kennt scheinbar nur die Richtung: aufwärts. Auch in der deutschen und internationalen Start-up Szene besitzt Wirecard einen exzellenten Ruf. Wenn Braun über seine Pläne für die Zukunft spricht, klingt er deshalb plötzlich gar nicht mehr so unaufgeregt. Er klingt noch immer nach Hunger, nach Ehrgeiz, nach dem Willen, mit einer Firma, die früh vieles richtig gemacht hat, jetzt den Erfolg einzufahren: "Die Zukunft wird das, was wir bereits erreicht haben, in den Schatten stellen."

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Quelle:
SZ vom 25.08.2018
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