Wirecard:Posse oder Staatsaffäre

Wirecard Untersuchungsausschuss

Mit Akten und Handy in den Ausschuss: Fabio De Masi von der Linkspartei will mit anderen aufklären, was im Fall Wirecard alles schiefgegangen ist. Das gefällt offenbar nicht jedem.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Sollte ein Linken-Politiker von österreichischen Agenten ausgespäht werden? Die neuste Volte im Wirecard-Skandal erfasst den Bundestag.

Von Jörg Schmitt

Wenn sich ein einst ranghoher Agent mit einem noch aktiven Nachrichtendienstler über einen Abgeordneten des deutschen Bundestags austauscht und dabei auch noch der Name eines früheren Geheimdienstkoordinators im Kanzleramt fällt - dann ist das entweder eine riesige Posse oder der Anfang einer Staatsaffäre.

Vor gut zehn Tagen wurde in Wien Martin W. festgenommen. Der Jurist war bis Ende 2017 ein hohes Tier beim österreichischen Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Anschließend soll er als eine Art inoffizieller Sicherheitschef von Wirecard gearbeitet haben. Die Wiener Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, Jan Marsalek, der früheren Nummer zwei des insolventen Aschheimer Finanzdienstleisters, bei seiner Flucht im Juni vergangenen Jahres geholfen zu haben. Zudem steht W. im Verdacht, seine Kontakte in seine alte Behörde genutzt zu haben, um Marsalek mit Informationen über Geschäftspartner und mögliche Spione zu füttern. Dabei soll ihm ein Ex-Kollege, O., geholfen haben. Es gilt, für beide, die Unschuldsvermutung.

Bei ihren Ermittlungen gegen die beiden Nachrichtendienstler stieß die Wiener Staatsanwaltschaft nun auf einen ominösen Threema-Chat zwischen den beiden. Darin taucht unter anderem der Bundestagsabgeordnete Fabio De Masi von den Linken auf. De Masi sitzt als Obmann der Linken im Wirecard-Untersuchungsausschuss und war zuvor schon im Finanzausschuss mit kritischen Fragen zu dem Aschheimer Unternehmen aufgefallen. Vielleicht bezeichnete ihn O. deshalb als "linken Cretin", als "linken Dummkopf".

Was wollte das Trio mit der Vita von De Masi?

Der Chat zwischen Martin W. und O., der der SZ vorliegt, fand am 8. Januar statt. Er legt nun den Verdacht nahe, dass auch De Masi das Opfer einer Ausspähaktion hätte werden können. Es geht darum, ob De Masi mit einer österreichischen Journalistin "unter einer Decke stecke". Und um die Weiterleitung des Lebenslaufs des Politikers an den früheren Kanzleramtsminister Bernd Schmidbauer.

Schmidbauer war zwischen 1991 und 1998 zuständiger Koordinator für die Geheimdienste unter Bundeskanzler Helmut Kohl. Seither berät er Regierungen, hat nach eigenen Aussagen "enge Kontakte unter anderem zu Russland, Israel und Libyen". W. und Schmidbauer kennen sich seit 2015 - man schätzt sich. Als W. noch Abteilungsleiter im BVT war, soll Schmidbauer ihm mit seinen Kontakten nach Libyen bei der Befreiung einer österreichischen Geisel aus der Hand von Extremisten geholfen haben. Auch zu O. pflegte der heute 82-jährige einen engen Draht.

Was aber wollte das Trio mit der Vita von De Masi? In seinen Vernehmungen hatte Martin W. eingeräumt, im Auftrag von Marsalek die Namen von 25 Personen an einen Ex-Kollegen beim Verfassungsschutz weitergeleitet zu haben. Dieser sollte sie dann offenbar über die Datenbanken der Behörde ausforschen. Es soll um Geschäftspartner von Wirecard gegangen sein, um mögliche Kontakte zu Geheimdiensten. Aber ging es auch um die Ausspähung von Politikern?

"Es geht für mich schon um die Frage, ob Marsaleks Agentenfreunde einen ehemaligen Geheimdienstkoordinator auf mich als Abgeordneten des deutschen Bundestages angesetzt haben", sagt De Masi der SZ. Schmidbauer räumt gegenüber der Süddeutschen Zeitung ein, dass O. ihm am 8. Januar den Wikipedia-Eintrag von De Masi geschickt habe, zusammen mit Aussagen des Linken-Politikers. W. habe sich "aufgeregt über die Aktivitäten" des Abgeordneten, das sei alles gewesen. Gemeint ist damit wohl ein Tweet, den De Masi am Abend des 6. Januar abgesetzt hatte. Darin hatte er Martin W. mit vollem Namen genannt und gefragt, wer "Hinweise zum Aufenthaltsort" des Ex-BVT-Manns geben könne und ihn als "mutmaßlichen Fluchthelfer von Jan Marsalek" bezeichnet. Die Frage, ob er Informationen über De Masi hätte liefern sollen, nennt Schmidbauer gegenüber der SZ "eine Zumutung" - und verneint.

Die Vorwürfe sollen jetzt selbst Thema im U-Ausschuss werden

De Masi hat sich nun in einem Schreiben an den österreichischen Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) gewandt - und um Aufklärung gebeten. Er habe Kenntnis, "wonach ehemalige Mitarbeiter von österreichischen Nachrichtendiensten mutmaßlich im Auftrag von Jan Marsalek Erkundigungen über mich und womöglich auch weitere deutsche Politiker eingeholt haben", schreibt der Linken-Abgeordnete. Es gebe Anhaltspunkte dafür, "dass auch der Versuch unternommen wurde, aus deutschen Sicherheitskreisen Erkenntnisse zu gewinnen". De Masi äußert die Bitte: Der Innenminister möge "die Sicherheitsbehörden anweisen, mir umfassenden Einblick in alle betreffenden Sachverhalte zu gewähren und die deutsche Öffentlichkeit über das Ausmaß der Bespitzelungen... zu informieren". Darüber hinaus will er wissen, ob es einen "Austausch" mit Mitgliedern der Bundesregierung oder "deutscher Sicherheitsbehörden über die Rolle des BVT in der Causa Wirecard und Jan Marsalek gab". Auf SZ-Anfrage heißt es aus dem Ministerium, dass man alles tun werden, "um für eine schonungslose Aufklärung zu sorgen."

Sollte sich tatsächlich herausstellen, dass ein BVT-Beamter einen deutschen Politiker ausgekundschaftet oder ein Ex-Geheimdienst-Koordinator dafür seine Quellen angezapft hat, hätte der Fall das Zeug zur Staatsaffäre. Und würde die deutsch-österreichischen Beziehungen schwer belasten. De Masis Kollegen aus dem Untersuchungsausschuss jedenfalls, Florian Toncar (FDP) und Danyal Bayaz (Grüne), halten den Vorfall schon jetzt für "ein starkes Stück, das lückenlos aufgeklärt werden müsse". Sie wollen das Thema in den Untersuchungsausschuss bringen. Einen möglichen Zeugen haben sie schon im Visier: Ex Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer.

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