Bilanz-Skandal:Etappensieg für Wirecard-Anleger

Wirecard Zentrale, Die Zentrale des Wirecard Konzerns am 25.2.2021 in Aschheim, bei München. Mittlerweile wurden die Log

Die Zentrale des Wirecard-Konzerns in Aschheim bei München. Mittlerweile wurden die Logos des insolventen Unternehmens abmontiert.

(Foto: Alexander Pohl/imago image)

Das Oberlandesgericht München gibt einen "vorläufigen Hinweis", der es in sich hat: Die Justiz soll viel genauer als bisher prüfen, ob die Bilanzkontrolleure von EY schadenersatzpflichtig sind.

Von Klaus Ott

Beim Wirtschaftsprüfkonzern EY ging am Donnerstag ein Justizdokument ein, das für wenig Freude sorgte. Es handelte sich um einen vorläufigen, 17 Seiten langen Hinweisbeschluss des Oberlandesgerichts (OLG) München im Fall Wirecard. Dieser gibt jenen Anlegern Auftrieb, die bei Wirecard viel Geld verloren haben und die nun Schadenersatz von den Bilanzkontrolleuren verlangen. Der Vorwurf der Aktionäre, die EY verklagen: Deren Bilanzprüfer, die fast ein Jahrzehnt lang die Zahlen von Wirecard für in Ordnung befunden hatten, hätten nicht genau genug hingeschaut. EY weist das zurück.

Bislang hat sich der deutsche Ableger des weltweit agierenden Prüfkonzern EY erfolgreich gegen Hunderte Schadenersatzklagen gewehrt. Auch beim Münchner Landgericht. Jetzt aber rügt der achte Zivilsenat des OLG München, dass sich das Landgericht in erster Instanz in mehreren Fällen zu oberflächlich mit dem Wirecard-Skandal befasst habe. Das Landgericht hätte viel genauer untersuchen müssen, ob EY letzten Endes vorsätzlich sittenwidrig gehandelt haben könnte.

Das sagt noch nichts darüber aus, wie die Sache ausgeht. Aber ein zumindest kleiner Paukenschlag ist das schon. Damit steigt der Druck auf den Prüfkonzern EY, für den es neben bereits verlorenem Ansehen auch um viel Geld geht. Aktionäre und Banken haben bei dem Skandalkonzern Wirecard insgesamt mehr als 20 Milliarden Euro verloren; zahlreiche Anleger klagen auf Schadenersatz.

In dem beim OLG anhängigen Fall geht es um vier Aktionäre, die von einer Münchner Kanzlei vertreten werden. Die Kanzlei und auch EY haben bis Ende Februar Zeit, zum Hinweisbeschluss des Oberlandesgerichts Stellung zu nehmen. Am 31. März will das OLG dann verhandeln; entschieden wird also frühestens im Frühjahr 2022.

Bliebe das OLG bei seiner vorläufigen Linie, dann müsste sich das Landgericht noch einmal neu mit der Sache befassen. Und voraussichtlich mit einem Gutachter klären, welche Wirkung auf die Börse es hatte, als EY die Bilanzen von Wirecard testiert, sprich anerkannt hatte. War das ausschlagend für Aktienkäufe?

Falls Sachverständige und Justiz das bejahen würde, ginge es in die nächste Runde. Mit den nächsten Fragen: Waren die Bilanzen von Wirecard seit 2015 falsch? Das glaubt zumindest die Staatsanwaltschaft München I, die wegen Bilanzfälschung und anderer mutmaßlicher Delikte gegen frühere Wirecard-Verantwortliche ermittelt. Sollten die Bilanzen falsch gewesen sein, wäre zu klären, ob EY das Zahlenwerk des Skandalkonzerns unzureichend geprüft hätte. Und falls ja, ob das Schlamperei oder eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung von Aktionären gewesen wäre.

Viel hätte, viel wäre: Anleger, die das durchfechten wollen, brauchen einen langen Atem. Der Prüfkonzern EY denkt gar nicht daran, an irgendeiner Stelle nachzugeben. "Unsere Prüfungsteams haben ihre Prüfungshandlungen nach bestem Wissen und Gewissen durchgeführt", erklärte EY zu dem OLG-Beschluss. Darin werde auch, so EY, auf die "hohen Hürden" für den Nachweis vorsätzlich falscher Bilanz-Testate verwiesen.

Nach Angaben der Deutschen Presseagentur (dpa) rüffelt das OLG, dass es dem Landgericht München wohl an "eigener Sachkunde" fehle, um die in einem Gutachten der Prüfungsgesellschaft KPMG erhobenen Vorwürfe gegen EY zu beurteilen. Dafür wäre laut OLG ein Sachverständigen-Gutachten angebracht gewesen.

Darüber hinaus hält das OLG dem Landgericht vor, einen Bericht des Wirecard-Untersuchungsausschusses des Bundestags ignoriert zu haben. Das sei "gehörswidrig" zum Nachteil der klagenden Anleger geschehen. Das Landgericht hatte Klagen gegen EY ohne weitere Beweisaufnahme abgewiesen. Das OLG empfahl dem Landgericht, ein Musterverfahren zu eröffnen. Als Option erwägt das OLG demnach aber auch, das Verfahren an das Landgericht zurückzuverweisen, um die bislang fehlende umfangreiche Beweisaufnahme nachzuholen.

Das Landgericht sah bislang keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen den Bilanz-Testaten von EY und den Verlusten der Anleger, beziehungsweise keine Pflichtverletzung der Prüfer. Das OLG hat jedoch große Bedenken gegen diese Sichtweise. Nach Einschätzung OLG hätte eine frühere Verweigerung des Bilanz-Testats durch EY auch einen früheren Insolvenzantrag von Wirecard zur Folge gehabt. Ausgehend davon spräche dann "wohl die allgemeine Lebenserfahrung dafür", dass die Anleger die Aktienkäufe, um die es vor Gericht geht, nicht getätigt hätten.

EY muss auch mit einer Klage von Wirecard-Insolvenzverwalter Michael Jaffé rechnen. Der hatte jüngst ebenfalls den Druck auf den Prüfkonzern erhöht. EY habe "jede Mitwirkung bei der Aufklärung" des Wirecard-Desasters verweigert, rügte Jaffé in einem beim Amtsgericht München eingereichten Sachstandsbericht. Der Insolvenzverwalter verklagt EY beim Landgericht Stuttgart auf Herausgabe der Prüfakten, um untersuchen zu können, ob der Prüfkonzern die Bilanzen von Wirecard ausreichend untersucht hat. Oder ob EY versagt hat.

Einer raschen Schadenersatzklage von Jaffé ist EY nur dadurch entgangen, dass sich der Prüfkonzern bereits zwei Mal bereit erklärt hat, keine Verjährung geltend zu machen. Sonst hätte der Insolvenzverwalter bei Gericht bereits Geld von EY fordern müssen, damit keine Ansprüche erlöschen. Für Jaffé ist die Ausgangslage besser als für die Aktionäre.

Der Insolvenzverwalter könnte aus dem Prüfvertrag zwischen Wirecard und EY eine mangelhafte Vertragserfüllung von EY geltend machen. Die Aktionäre hingegen müssten weit mehr nachweisen, um Geld von dem Prüfkonzern zu bekommen. Sie müssten belegen, dass EY vorsätzlich falsche Bilanzen anerkannt beziehungsweise in Kauf genommen habe. Zumindest aber dürfen die vielen Anleger, die EY verklagen, nach vielen Niederlagen nun auf eine Wende hoffen.

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