Süddeutsche Zeitung

Wirecard-Skandal:Anleger scheitern vor Gericht gegen Wirecard-Prüfer EY

Um einen Teil ihres Geldes zurückzubekommen, verklagen geschädigte Anleger EY. Erste Urteile geben ihnen wenig Anlass zur Hoffnung.

Von Jan Willmroth, Frankfurt

Der Schaden ist gewaltig, aber die Chancen auf Ersatz stehen denkbar schlecht. In zwei Wochen jährt sich zum ersten Mal der Tag, an dem der Wirecard-Schwindel aufflog und der Aktienkurs abstürzte, diesmal unumkehrbar. Manager des Zahlungsanbieters sollen Geld erfunden, Banken getäuscht und in die eigene Tasche gewirtschaftet haben. Und sie sollen ungezählte gutgläubige Anleger hinters Licht geführt haben, große Fondsgesellschaften genauso wie private Sparer mit wenigen tausend Euro Vermögen.

Am 18. Juni des vergangenen Jahres verweigerten die Wirtschaftsprüfer von EY ihre Unterschrift unter dem Jahresabschluss des Konzerns, eine Woche später war Wirecard insolvent - und mittlerweile steht fest, dass bei dem Konzern selbst kaum noch etwas zu holen ist. Allein beim Insolvenzverwalter haben mehr als 40 000 Aktionäre Ansprüche angemeldet, weil sie mit der Aktie Geld verloren haben. Ein Schaden im Milliardenbereich ist alles, was vom dem ehemaligen Weltkonzern übrig bleibt. Und wieder richten sich alle Augen auf EY: Müssen die Wirtschaftsprüfer womöglich für die Schäden der Anleger haften?

EY ist die erste Adresse, die Anlegeranwälte nun auf der Suche nach Schadenersatz ansteuern - und viele machen bei früheren Aktionären kräftig Werbung dafür. Hunderte Klagen wurden bereits im Namen von Wirecard-Aktionären eingereicht, wobei das nur der Anfang sein dürfte: Mögliche Ansprüche verjähren erst Ende 2023. Doch schon jetzt ist die Rede von einer Klagewelle gegen die Wirtschaftsprüfer, die sich aus der Annahme speist, die EY-Prüfer hätten den Betrug erkennen müssen: das mutmaßlich erfundene Geld, die nicht existenten Kunden, die vom Insolvenzverwalter inzwischen dokumentierten Kreislaufbuchungen, um die Bilanz aufzublähen.

Kläger müssen EY erst einmal Fehler nachweisen

So offensichtlich das alles im Nachhinein klingt, so hoch sind die Hürden bei Gericht. In sechs Fällen liegt mittlerweile ein Urteil vor; das Landgericht München I hat dabei unisono zugunsten von EY entschieden. Anfang dieser Woche entschied das Gericht außerdem, dass ein Antrag auf ein Kapitalanlage-Musterverfahren gegen EY nicht zulässig sei - ein weiterer Rückschlag für Anleger und Anwälte, die auf eine Musterklage gehofft hatten.

Beispielhaft war schon im Frühjahr ein Aktionär, der für insgesamt gut 10 700 Euro Wirecard-Aktien gekauft hatte, an der 27. Zivilkammer des Landgerichts gescheitert. Die entschied am 15. März, dass der Vertrag von Wirecard mit dem Wirtschaftsprüfer keine Schutzwirkung zugunsten Dritter entfalte. Sprich: Vertragspartner waren hier die AG und EY, und nur zwischen denen bestehen unmittelbar Ansprüche.

Weil das laut Gesetz grundsätzlich so ist, müssten die Kläger beweisen, dass die Prüfer ihre Pflichten verletzt haben und zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt haben, wie es in der Sprache der Juristen heißt. Erst dann hätten sie womöglich eine Chance, Ansprüche geltend zu machen. Im konkreten Fall bedeutet das: Sie müssen belegen, dass die Prüfer die mutmaßlich falschen Jahresabschlüsse von Wirecard testierten, obwohl sie geahnt haben müssen, dass das Zahlenwerk falsch ist. Ohne diese Testate hätten die geschädigten Anleger wiederum keine Aktien gekauft.

Der Kläger am Landgericht München bezog sich vor allem auf die nicht ausreichenden Nachweise für das von Wirecard angeblich auf Treuhandkonten in Asien gebunkerte Geld. Der Konzern hatte stets erklärt, Einnahmen aus dem an Drittfirmen ausgelagerten Geschäft auf Konten bei Banken in Asien zu verbuchen. Zum Jahresende 2019 sollen bei zwei Banken auf den Philippinen 1,9 Milliarden Euro gelegen haben. Mit gefälschten Nachweisen über dieses Geld flog vor einem Jahr alles auf - die Milliarden waren erfunden. Die Bankbelege holte EY stets von den jeweiligen Treuhändern ein, nicht aber von den Banken selbst. Damit hätten die Prüfer ihre Berufspflichten verletzt, argumentierte der Kläger unter anderem.

EY-Anwälte geben sich gelassen

Das reichte dem Gericht nicht: Der Kläger hätte nicht ausreichend nachweisen können, dass die Prüfer zumindest bedingt vorsätzlich falsch testiert hätten, heißt es in der Urteilsbegründung.

Eine Haftung zugunsten von Anlegern ist damit im konkreten Fall vom Tisch - nach Überzeugung der für EY tätigen Kanzlei Wirsing Hass Zoller aber auch generell. Dort heißt es, man habe selbst seit einem Jahr nachgeforscht, ob sich die Prüfer etwas haben zuschulden kommen lassen, das bei Gericht einen Vorsatz begründen würde. Aber man habe eben nichts gefunden. Zu konkreten Inhalten einzelner Verfahren wollte EY-Anwalt Michael Zoller nicht Stellung nehmen. Die in öffentlichen Erklärungen von EY und in den Verfahren vorgetragene Linie lautet: Man habe es bei Wirecard mit einem "umfassenden, konspirativen Betrug" zu tun, der "auch mit umfangreich erweiterten Prüfungshandlungen" nicht habe aufgedeckt werden können.

In den Schriftsätzen der Anwälte erstreckt sich diese Argumentation dann über viele Dutzend Seiten. Und Zoller wird sie noch häufig reproduzieren: Allein am Landgericht Stuttgart sind bislang 280 Klagen eingegangen, wobei etwa die Hälfte davon nach München verwiesen wurde, wo bereits eine Vielzahl weiterer Klagen wartet. Welches Gericht zuständig ist - Stuttgart am Stammsitz von EY, oder München wegen der für Wirecard zuständigen Abteilung - ist noch nicht abschließend geklärt. Am Ende wird sich wohl ohnehin in Karlsruhe entscheiden, ob Anleger genug gegen die Wirtschaftsprüfer in der Hand haben. "Der Fall Wirecard ist so speziell, dass es nicht bei Urteilen von Landgerichten bleiben wird", sagt Franz Braun von der Münchner Kanzlei CLLB, die zahlreiche Anleger vertritt. "Die Frage, ob Anleger einen Anspruch gegen den Wirtschaftsprüfer haben, muss hier höchstrichterlich geklärt werden." Ganz so ausweglos wie es zunächst scheint, das zeigt die deutsche Rechtsgeschichte, ist die Sache nämlich nicht.

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