Wirecard:Warum der Bund den Bilanzprüfern kündigt

Wirecard-Zentrale in Aschheim

Wirecard-Büros in Aschheim bei München: Sogar die staatseigene KfW gab dem Konzern Kredit.

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Die Bundesregierung zieht im Milliarden-Bilanzskandal um Wirecard erste Konsequenzen.

Von Meike Schreiber, Frankfurt

Lange haben in Deutschland alle zuständigen Instanzen weggeschaut, nun zieht die Bundesregierung im Milliarden-Bilanzskandal um den Dax-Konzern Wirecard erste Konsequenzen. Das Bundesjustiz- und das Bundesfinanzministerium werden den Vertrag mit der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) kündigen. Darauf hätten sich beide Ministerien verständigt, bestätigte ein Sprecher des Justizressorts am Sonntag einen Bericht der Bild am Sonntag. Der privatrechtlich organisierte Verein DPR kontrolliert im Staatsauftrag die Bilanzen und hat im Fall von Wirecard keine gute Figur abgegeben.

Der Dax-Konzern aus Aschheim hatte vergangene Woche Insolvenz angemeldet, nachdem in der Bilanz ein Loch von 1,9 Milliarden Euro aufgetaucht war. Zu den Gläubigern gehört mit 100 Millionen Euro sogar eine Tochter der staatlichen KfW-Bank. Bei der DPR war zunächst keine Stellungnahme zu erhalten. Die Bundesanstalt für Finanzaufsicht (Bafin) hatte nach eigener Darstellung der DPR im Februar 2019 den Hinweis gegeben, dass es Ungereimtheiten in der Halbjahresbilanz 2018 von Wirecard gebe. Mehrere Journalisten, allen voran jene der Financial Times, hatten zuvor in zahlreichen Berichten darauf hingewiesen. Ein Bericht der DPR liegt jedoch immer noch nicht vor.

"Wir haben unmittelbar reagiert und Mitte Februar 2019 bei der DPR eine Bilanzprüfung veranlasst", sagte eine Sprecherin der Behörde. Die Bafin sei für die Bilanzprüfung nicht zuständig, sondern auf erster Stufe allein die DPR. Dort habe die Prüfung so lange gedauert. Tatsächlich hat die auch als "Bilanzpolizei" bezeichnete Prüfstelle nur wenig Personal. Dass sie in den Bilanzen von Wirecard Ungereimtheiten fand, ist daher unwahrscheinlich: In der Regel prüfen in solchen Fällen ein bis zwei Experten die Buchhaltung. Dokumente nach Asien zurückzuverfolgen - dazu haben sie weder Mittel noch Befugnisse. Diesen Mittwoch muss sich Bafin-Chef Felix Hufeld nun den Fragen des Finanzausschusses des Bundestags stellen, auch die EU-Kommission schaut sich die Sache an.

"Die Bafin und die DPR spielten blinde Kuh, während Wirecard vermutlich ein kriminelles Schneeballsystem schuf", sagte Finanzpolitiker Fabio De Masi (Die Linke). Die DPR sei eine Alibi-Veranstaltung. Doch auch die Bafin habe trotz zahlreicher Hinweise "gepennt" und könne die Verantwortung nicht abschieben. Danyal Bayaz von den Grünen sagte, die Aufseher benötigten dringend Fachleute, die über ausreichend Kompetenzen verfügten. Zu den Geschädigten des zusammengebrochenen Zahlungsdienstleisters zählen nicht nur 15 Banken, die Wirecard insgesamt rund 1,75 Milliarden Euro geliehen haben. Auch die Förderbank KfW hatte Wirecard-Chef Markus Braun vertraut. Deren privatwirtschaftlich organisierte Tochter Ipex-Bank hatte Wirecard im September 2018 eine 100 Millionen Euro schwere Kreditlinie eingeräumt und diese noch im September 2019 verlängert. Ein KfW-Sprecher bestätigte einen entsprechenden Bericht der Börsen-Zeitung. Demnach wurde die Linie in vollem Umfang gezogen. Auch seien keine Absicherungsgeschäfte getätigt worden, weswegen nun der Totalverlust droht. Dieser geht nun letztlich zulasten des Steuerzahlers, da die KfW mitsamt ihrer Tochter eine staatseigene Bank ist. Eigentlich ist es Aufgabe der KfW, Geschäfte zu fördern, die Geschäftsbanken nicht finanzieren wollen oder können. Ihre Tochter Ipex finanziert die deutsche Exportwirtschaft, wobei es in der Regel um Vorzeigeprojekte wie Kraftwerke oder Flughäfen geht.

Die Kreditlinie an Wirecard stand offenbar in Bezug zu den "weltweiten Geschäften" des Unternehmens. In dieser Woche dürfte auch klar werden, wie es mit der Bank von Wirecard weitergeht, die zum Konzern gehört, aber noch nicht Insolvenz angemeldet hat. Nach SZ-Informationen wird die Bafin wahrscheinlich in den nächsten Tagen ein sogenanntes "Moratorium" aussprechen, womit die Bank, zu der auch die Konto-App Boon gehört, keine Ein- und Auszahlungen mehr vornehmen kann. Danach wird dann wie üblich die Einlagensicherung der Privatbanken die Kontrolle über das Institut übernehmen. Nach SZ-Informationen werden die Privatbanken die Bank dann aber wahrscheinlich nicht auffangen, sondern in die Insolvenz schicken. Die Kunden der Wirecard Bank werden indes von der Sicherungseinrichtung entschädigt. Laut Börsen-Zeitung fielen etwa eine Woche vor Insolvenzantrag der Mutter rund 590 Millionen Euro Einlagen unter die freiwillige Einlagensicherung und 78 Millionen unter die gesetzliche Einlagensicherung. Wie viel davon abgeflossen ist, ist nicht öffentlich bekannt. Weder der Bankenverband noch die Bafin wollten sich dazu äußern.

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