Wirecard:Aschheim gegen London

Wirecard: Hier sitzt eine der wichtigsten Partnerfirmen von Wirecard: die Business Central Towers in Dubai.

Hier sitzt eine der wichtigsten Partnerfirmen von Wirecard: die Business Central Towers in Dubai.

(Foto: mauritius images)

Wirecard wirft der "Financial Times" vor, sich mit Spekulanten verbündet zu haben - Hilfe kommt von der deutschen Börsenaufsicht.

Von Christoph Giesen, Klaus Ott, Nicolas Richter, Jan Willmroth und Nils Wischmeyer

Am 30. Januar dieses Jahres sorgte die Financial Times (FT) für Aufsehen: Ihre Reporter Dan McCrum und Stefania Palma berichteten, dass der deutsche Konzern Wirecard ein schweres Problem in Asien habe. In der Niederlassung in Singapur habe ein hochrangiger Manager Umsatzzahlen geschönt, es stünden diverse Straftaten im Raum. Wirecard ist ein Tech-Unternehmen, das sich auf bargeldlose Bezahlsysteme spezialisiert hat. Weil Wirecard für die Zukunft steht und weil Umsätze und Gewinne jedes Jahr wachsen, gilt die Firma als Liebling vieler Aktionäre.

Der FT-Bericht zog diese Erfolgsgeschichte allerdings in Zweifel, er warf die Frage auf, ob Wirecard mehr Schein sei als Sein. Was der Konzern aus Aschheim bestreitet. Als der FT-Artikel am Nachmittag des 30. Januars erschien, stürzte der Kurs der Wirecard-Aktie ab und sank zwei Wochen lang weiter. Von 167 Euro zeitweise sogar unter die magische Schwelle von 100 Euro. Der deutsche Tech-Konzern verklagte die Londoner Zeitung später, im März 2019, auf Schadenersatz.

Es gibt viele Vermutungen, aber keine wirklichen Beweise

Noch härter griff die deutsche Börsenaufsicht durch, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) in Bonn. Sie verhängte am 18. Februar ein Leerverkaufsverbot für Wirecard-Aktien. Damit durfte niemand mehr an der Börse auf sinkende Wirecard-Kurse wetten. Am 9. April 2019 erstattete die Bafin sogar Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft München I, wegen des Verdachts der Marktmanipulation. Die Anzeige richtete sich gegen mehrere Börsenhändler. Und gegen Dan McCrum und Stefania Palma, die Reporter der Financial Times. Verfolgen deutsche Behörden nun Journalisten, bloß weil diese über mögliche Missstände in deutschen Unternehmen berichtet haben?

Die Strafanzeige der Bafin, deren Inhalt öffentlich bislang unbekannt ist, liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Das 34-seitige Dokument gewährt einen seltenen Einblick in Denken und Handeln der sehr verschwiegenen Börsenaufseher. Und es führt zu der Frage, ob deutsche und europäische Vorschriften zum Schutze des Aktienhandels überhaupt anwendbar sind auf die Arbeit von Journalisten. Und ob bei der Bafin nicht ein elementares Missverständnis vorliegt über Arbeit und Funktion der Presse. In der Anzeige gegen die beiden FT-Reporter heißt es etwa, die beiden hätten ihre Berichte auf der Internetseite der Financial Times (ft.com) veröffentlicht und somit einen "Medienzugang zu der Abgabe der Stellungnahme" ausgenutzt. Stellungnahme? Medienzugang ausgenutzt? Das sind Formeln aus den europäischen Regeln gegen Marktmissbrauch an der Börse, die aber mit der Arbeit der Presse wenig zu tun haben. Journalisten veröffentlichen ihre Ergebnisse natürlich in den eigenen Medien. Und Berichte sind keine Stellungnahmen, wie das die Strafanzeige suggeriert.

Die 34 Seiten enthalten einerseits eine detaillierte Beschreibung dubioser Vorgänge an der Börse: Mehrere Händler haben kurz vor Erscheinen des FT-Artikels am 30. Januar 2019 auf sinkende Kurse gewettet und dadurch Hunderttausende Euro verdient. Die Bafin vermutet deswegen, dass es eine Absprache zwischen Börsenhändlern und den beteiligten Journalisten gegeben haben könnte.

Andererseits offenbart die Strafanzeige, dass die Indizien gegen McCrum und Palma dünn sind. An manchen Stellen wirken die Mutmaßungen der Bafin geradezu lebensfremd, zeigen jedenfalls nur eine geringe Kenntnis darüber, wie Medien arbeiten. Kenner der Bafin sagen, diese habe keineswegs einen Angriff auf die Pressefreiheit beabsichtigt. Faktisch aber beschuldigt der Staat in Gestalt der Bafin Journalisten, über die bislang nur feststeht, dass sie zwar zugespitzt, in der Sache aber weitgehend akkurat über den Fall Wirecard berichtet haben. Legte man den Maßstab der Bafin in dieser Sache auf andere Fälle an, dann dürfte die Börsenaufsicht immer wieder Journalisten anzeigen.

Wirecard und die Financial Times liegen nicht erst seit Januar im Streit. Seit Jahren geht besonders der Reporter McCrum der Frage nach, ob Wirecard Probleme mit seiner Buchführung hat. McCrums Berichte wecken Zweifel an der Substanz des Aschheimer Dax-Konzerns, und der Journalist kann seine Zweifel durchaus begründen: Sein Artikel vom 30. Januar etwa stützt sich auf den vorläufigen Bericht einer Singapurer Kanzlei, die Wirecard selbst mit der Aufklärung dubioser Vorgänge im Asiengeschäft beauftragt hatte. Aus der Sicht Wirecards hingegen ist die Berichterstattung McCrums tendenziös und irreführend. Der Konzern verweist darauf, dass der Bericht der Singapurer Kanzlei nicht abschließend gewesen sei und dass interne Unterlagen Wirecards in der FT verkürzt wiedergegeben worden seien. Wirecard hat deswegen vor dem Landgericht München eine Zivilklage auf Schadenersatz gegen die FT und McCrum erhoben. In dieser Klage heißt es, die FT habe sich mit Spekulanten verbündet. Die FT streitet alle Vorwürfe ab.

Die Strafanzeige der Bafin enthält Vermutungen in dieser Richtung, aber eben nur Vermutungen. Die Börsenaufseher haben eine Reihe von Spekulationsgeschäften mit der Wirecard-Aktie aufgelistet; auffällig sind diese vor allem am 30. Januar, dem Tag, an dem der erste von mehreren Enthüllungsartikeln in der FT erschien. So baute ein Händler zum Beispiel am 30. Januar um 12.55 Uhr Shortpositionen in Wirecard-Aktien auf, er setzte also auf einen fallenden Kurs. Gut zwei Stunden später, nachdem der - für Wirecard sehr negative - Artikel in der FT erschienen und der Aktienkurs gefallen war, schloss der Händler seine Position wieder und strich einen Gewinn von gut 366 000 Euro ein. Ein anderer Händler machte auf ähnliche Weise gut 271 000 Euro Gewinn. Ein dritter Händler, der seine Positionen erst Mitte Februar wieder schloss, verdiente an seinen Aktiengeschäften gut 165 000 Pfund.

Aus Sicht der Bafin weckt dies den Verdacht, dass mehrere Händler vorab über die bevorstehende Berichterstattung der FT informiert waren. Die Bafin erklärt dazu auf SZ-Anfrage, das Zusammenspiel von bestimmten Abläufen an der Börse und von negativen Presseberichten sei "außergewöhnlich" gewesen.

Die Strafanzeige enthält aber keinerlei Hinweis darauf, dass der FT-Reporter McCrum vor Erscheinen des Beitrags Informationen an Spekulanten durchgestochen hätte. Es gibt noch nicht einmal eine Hypothese, wie und über wen Erkenntnisse der FT vorab an Geschäftemacher lanciert worden sein könnten. Klar ist indes, dass McCrum am frühen Morgen des 30. Januar 2019 Wirecard auf die bevorstehende Berichterstattung hinwies und um eine Stellungnahme bat. Wirecard schaltete daraufhin eine Londoner Anwaltskanzlei ein, während bei der FT die Vorbereitungen für eine Veröffentlichung liefen. Am Vormittag wussten also auch etliche Personen außerhalb der Financial Times von dem bevorstehenden Artikel. Ein Leck könnte es folglich an mehreren Stellen gegeben haben.

Mangels besserer Informationen stützt die Bafin ihre Strafanzeige denn auch auf eher seltsame Argumente. So macht sie McCrum einen Vorwurf daraus, dass er seine Berichte über mehrere Tage getreckt habe, nämlich den 30. Januar, den 1. und den 7. Februar. Dies sei ein Anhaltspunkt dafür, dass McCrum über einen längeren Zeitraum eine möglichst große Wirkung auf den Aktienkurs von Wirecard habe entfalten wollen. Und dass er damit die Chancen der Spekulanten auf profitable Geschäfte habe erhöhen wollen. Für diese These gibt es keinen Beweis. Es ist Spekulation und verkennt, wie Zeitungen auf der ganzen Welt arbeiten - so ist es durchaus üblich, bei großen Enthüllungen über Tage oder gar Wochen hintereinander zu berichten.

Die Auseinandersetzung zwischen Wirecard und der Financial Times ist so verworren, dass sie selbst die im Wirtschaftsstrafrecht sehr erfahrene Staatsanwaltschaft München an deren Grenzen bringt. "Ich habe meist ein Grundgefühl für einen Fall, aber das fehlt mir hier völlig", sagt Oberstaatsanwältin Hildegard Bäumler-Hösl. "Es ist schwer zu sagen, wohin es geht." Die Bafin scheint sich hingegen sehr früh darauf festgelegt zu haben, dass das Übel im Fall Wirecard von der Presse ausgeht.

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