Süddeutsche Zeitung

Wirbel um Winterkorn:Amtliches Desaster

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Von Hans Leyendecker und Klaus Ott, München

Die Meldung der Staatsanwaltschaft Braunschweig von Donnerstag ist siebzehn Zeilen lang. Es handelt sich um das Eingeständnis eines amtlichen Desasters. Überschrift: "Staatsanwaltschaft Braunschweig bedauert Irritationen im Zusammenhang mit der VW-Affäre." Im Text heißt es, ein "formelles Ermittlungsverfahren" gegen den früheren VW-Chef Martin Winterkorn werde "gegenwärtig nicht geführt". Sofern dieser Eindruck entstanden sei, bedauere die Behörde das ebenso wie die "Irritationen, welche die Pressemitteilungen in diesem Zusammenhang hervorgerufen haben".

Die Staatsanwaltschaft hatte am Montag in einer Presseerklärung bekannt gegeben, dass sie "aufgrund von Strafanzeigen ein Ermittlungsverfahren" gegen Winterkorn eingeleitet habe. Der "Schwerpunkt der Ermittlungen" liege auf dem "Vorwurf des Betruges durch den Verkauf von Kraftfahrzeugen mit manipulierten Abgaswerten". Doch diese Meldung der Staatsanwaltschaft, die von vielen Medien aufgegriffen wurde, darunter auch die Süddeutsche Zeitung, war eine Ente.

Justizministerium wusste schnell Bescheid

Richtig ist, dass gegen Winterkorn, bislang zumindest, kein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist. Es gibt zwar in Braunschweig in der Abgas-Affäre bei VW ein Verfahren, aber das läuft gegen Unbekannt. Bei Winterkorn wird bislang nur geprüft, ob sich ein Anfangsverdacht gegen ihn ergeben könnte.

Dass die Braunschweiger Behörde Montagmittag eine falsche Pressemitteilung über Winterkorn verschickt hatte, drang schnell bis ins niedersächsische Justizministerium durch. Das räumte das Justizressort am Donnerstag auf Anfrage ein: Aufgrund eines Gesprächs des Abteilungsleiters der Strafrechtsabteilung im Ministerium mit dem Leiter der Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig sei am Montagnachmittag bekannt geworden, dass die Presseerklärung der Staatsanwaltschaft "unzutreffend formuliert war".

Der Vorgang wirft viele Fragen auf: Warum wurde überhaupt eine Pressemeldung verfasst, die nicht den Tatsachen entsprach? Warum wurde der Fehler, nachdem sogleich zahlreiche Medien über die angeblichen Ermittlungen gegen Winterkorn berichteten, nicht sofort korrigiert? Und: Hat sich die Staatsanwaltschaft bei dem vor einer Woche wegen der Abgas-Affäre zurückgetretenen Winterkorn für den Fehler entschuldigt? Die Staatsanwaltschaft antwortet nicht darauf, sondern verweist stattdessen auf ihre Pressemitteilung vom Donnerstag.

Darin ist von einem "Missverständnis" die Rede. Die "Quelle", sprich der Grund dafür, sei die Vorgabe der Aktenordnung gewesen, wonach "bei Eingang einer Anzeige gegen eine bestimmte Person ein gegen diese Person gerichteter Vorgang anzulegen" sei. Das sei bei Winterkorn geschehen. Die Aktenordnung unterscheide nicht zwischen einem "so eingetragenen Ermittlungsverfahren, einem sogenannten Vorermittlungsverfahren, und dem nach Bejahung eines Anfangsverdachts eingeleiteten formellen Ermittlungsverfahren gegen eine bestimmte Person".

Die Aktenordnung soll also an der falschen Mitteilung über Winterkorn schuld gewesen sein. Das erklärt aber nicht, warum der Fehler, als er Montagnachmittag erkannt und auch dem Justizministerium bekannt wurde, nicht sofort bereinigt wurde. Mit dem Versand einer neuen, korrekten Pressemitteilung. Das erfolgte erst am Donnerstag, nachdem einige Medien über das Malheur berichtet hatten. Und warum hat das Ministerium nicht eine umgehende Korrektur veranlasst? Antwort des Justizressorts: Die Pressearbeit sei Sache der Staatsanwaltschaft, die unterliege der Dienstaufsicht der Generalstaatsanwaltschaft. Bleibt die Frage nach einer Entschuldigung bei Winterkorn. Das sei durch die neue Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Braunschweig vom Donnerstag erfolgt, erklärt das Ministerium.

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SZ vom 02.10.2015
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