Geschäfte mit Russland:Wintershall Dea am Wendepunkt

Geschäfte mit Russland: In Kassel demonstrierten am Donnerstag Klimaaktivisten. Sie fordern einen sofortigen Stopp der Geschäfte mit Russland.

In Kassel demonstrierten am Donnerstag Klimaaktivisten. Sie fordern einen sofortigen Stopp der Geschäfte mit Russland.

(Foto: Nicole Schippers/dpa)

Im ersten Quartal macht der Kasseler Gas- und Ölförderkonzern eine Milliarde Euro Verlust. An bestehenden Projekten mit Russland hält das Unternehmen fest, neue soll es aber nicht geben.

Von Elisabeth Dostert

Der Krieg in der Ukraine trifft Wintershall Dea hart. Für das erste Quartal 2022 weist der Gas- und Ölförder-Konzern eine Milliarde Euro Verlust aus. "Der Krieg ist ein fundamentaler Wendepunkt für die Geopolitik und für Wintershall", sagte Vorstandschef Mario Mehren in einer Videoschalte: Wintershall Dea arbeite seit mehr als drei Jahrzehnten in Russland. Mit dem Krieg in der Ukraine habe Russland eine rote Linie überschritten. Ein "Business as usual" könne und werde es nicht geben, sagt Mehren. Er verstehe Forderungen nach einem sofortigen Importstopp. Die Gasimporte aus Russland könnten ersetzt werden, aber nicht so schnell.

Es ist ein Gespräch unter besonderen Bedingungen. In Russland stehe der Gebrauch des Wortes Krieg unter Strafe, aber man werde die Dinge beim Namen nennen, sagt der Pressesprecher gleich zu Beginn der Videoschalte am Donnerstag. Ihm zufolge nehmen auch einige Journalisten aus Russland teil. Zu ihrem Schutz würden die Namen in der Fragerunde nach der Präsentation nicht genannt.

Enge Verbindungen nach Russland

Investitionen in neue Projekte in Russland und mit russischen Firmen außerhalb des Landes werde es nicht geben, das hatte Wintershall Dea schon kurz nach Kriegsbeginn mitgeteilt, Mehren wiederholt es am Donnerstag. Der Konzern wolle sein Portfolio in anderen Ländern stärken, zum Beispiel Norwegen. Deutschland werde auf Energieimporte angewiesen bleiben, selbst im Zeitalter der Erneuerbaren. An bestehenden Projekten in Russland halte Wintershall Dea fest. "Bei einem Rückzug würden Vermögenswerte in Milliardenhöhe an den russischen Staat fallen", erläutert Mehren. Aber es fließe kein frisches Geld mehr nach Russland. Mehren rechnet nicht mit Enteignungen. Russland werde sich an Verträge und Investitionsschutzabkommen mit Deutschland und anderen Staaten halten, ist der Vorstandschef überzeugt, "so wie wir auch."

Kaum ein deutscher Konzern ist so lange und eng mit Russland verbunden wie das Unternehmen aus Kassel. 2021 steuerte Russland rund ein Fünftel zum Ergebnis vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen und Explorationskosten des Konzerns von 3,8 Milliarden Euro bei. In Gemeinschaftsunternehmen mit dem russischen Konzern Gazprom fördert Wintershall Dea Erdgas in Sibirien. Der Konzern importiert nicht selbst Erdgas aus Russland. Aber über die Tausende Kilometer langen Fernleitungen der Wiga in Deutschland fließt auch russisches Erdgas. An der Transportfirma halten Wintershall Dea und Gazprom Germania je die Hälfte. Die Gazprom-Tochter wird mittlerweile von der Bundesnetzagentur als Treuhänder verwaltet.

An der Nord Stream AG, dem Betreiber der ersten Pipeline durch die Ostsee, ist Wintershall Dea mit 15,5 Prozent beteiligt, Gazprom International Projects hält rund 50 Prozent. Während des zehnjährigen Betriebs sind laut Geschäftsbericht mehr als 440 Milliarden Kubikmeter Erdgas über die Pipeline geflossen. Und Gas fließt immer noch. Die Leitung sei voll ausgelastet, sagt eine mit dem Markt vertraute Person. Bei Nord Stream 2 sieht sich Wintershall Dea nur als Finanzinvestor. In seinem am 24. Februar, da begann Putins Krieg gegen die Ukraine, veröffentlichten Geschäftsbericht 2021 schätzte Wintershall Dea das Risiko, dass Nord Stream 2 nicht in Betrieb geht, noch als unwahrscheinlich ein.

Die Wende, die Wintershall Dea gerade erlebt, könnte kaum dramatischer sein. Momentan sieht es nicht so aus, als würde durch die Röhren auf dem Grund der Ostsee jemals Erdgas von Russland nach Deutschland fließen. Die gut eine Milliarde Euro Kredit, die Winterhall Dea der Nord Stream 2 AG geliehen hat, wurden abgeschrieben. Sie sind der gewichtigste Grund für den Nettoverlust im ersten Quartal. Auch die in der Bilanz angesetzten Werte für anderen Anlagen in Russland korrigierte Wintershall Dea. Insgesamt summieren sich die Wertberichtigungen auf 1,5 Milliarden Euro.

Was aus dem geplanten Börsengang von Wintershall Dea wird, ist ungewiss. "Technisch sind wir bereit für einen Börsengang", sagt Mehren: "Aber wir leben in sehr unsicheren Zeiten." Für Details verweist er auf die Gesellschafter. Der Chemiekonzern BASF hält knapp 73 Prozent am Grundkapital, das Investitionsvehikel Letter One den Rest. Wintershall Dea AG "ist nicht sanktioniert", so ein Pressesprecher. Wohl aber die Letter-One-Aktionäre Michail Fridman und Pjotr Awen. Aus dem Verwaltungsrat von Letter One wurden sie entfernt, ihre Anteile eingefroren.

Was die persönlichen Sanktionen gegen die Letter-One-Miteigentümer für Wintershall Dea bedeuten, weiß das Unternehmen selbst nicht so recht. Solange nicht zweifelsfrei geklärt sei, dass das Unternehmen selbst nicht als sanktionierte Einrichtung zu betrachten sei, fließe keine Dividende an Letter One, sagt ein Sprecher von Wintershall Dea. Vorstandschef Mehren hat schon recht. Es sind wirklich sehr unsichere Zeiten.

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