Süddeutsche Zeitung

Erneuerbare Energie:Unternehmen könnten Windparks retten

  • Ende 2020 läuft nach 20 Jahren für Hunderte Windparks die Förderung aus.
  • Direkte Verträge zwischen Unternehmen und Windparks könnten vielen das Überleben sichern.
  • Einer neuen Umfrage zufolge sehen 86 Prozent der befragten Firmen darin ein wichtiges oder sehr wichtiges Modell, um erneuerbare Energien zu finanzieren.
  • Daimler macht den Anfang. Der Autokonzern will von 2022 an seine Werke weitgehend mit Ökostrom versorgen.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Der Bürgerwindpark in Bassum hat eine Zukunft: Er arbeitet demnächst für Daimler. Ende 2020 wäre die Förderung für den Windpark bei Bremen ausgelaufen, ebenso für fünf andere Parks nahe Hannover. Doch jetzt helfen sie dabei, das Image des Autobauers zu polieren. Denn von 2022 an will Daimler seine Werke weitgehend mit Ökostrom versorgen. Und schließt dafür Direkt-Verträge über Windstrom wie dem aus Bassum.

Das System ist einfach: Ein Industriebetrieb sichert sich über einen Dritten die gesamte Stromproduktion eines Windparks. Reicht der Strom aus dem Windpark - etwa wegen einer Flaute - nicht aus, kauft der Dienstleister andernorts Strom zu. Erzeugt der Windpark Überschüsse, werden sie anderweitig verkauft. Unterm Strich bleibt so eine Vollversorgung mit Ökostrom. International sind solche Verträge, so genannte "Power purchase agreements" (PPA) längst üblich, vor allem in den USA. In Deutschland dagegen gibt es erst wenige dieser Verträge. "Der Markt war lange nicht so weit", sagt Sascha Schröder, der sich für die norwegische Statkraft um solches Geschäft in Deutschland kümmert, auch um jenes rund um den Bassumer Strom für Daimler. "Die meisten Betreiber", so Schröder, " hatten eben die Sicherheit des EEG".

Das ändert sich gerade, und nicht von ungefähr. Denn das EEG, das Erneuerbare-Energien-Gesetz, garantierte eine Förderung für Windparks und Solaranlagen für genau 20 Jahre - im Jahr 2000 trat es in Kraft. Damit fallen vom 31. Dezember 2020 an Hunderte Windparks aus der Förderung, nach Zahlen der Fachagentur Windenergie an Land allein im ersten Jahr mindestens im Umfang von mindestens 3,7 Gigawatt. Bis 2025 dürften Windräder mit mehr als 15 Gigawatt Gesamtleistung die Ökostrom-Förderung verlieren. Das ist mehr als ein Viertel der gesamten installierten Wind-Leistung an Land.

Direkte Verträge zwischen Unternehmen und den Windparks könnten vielen das Überleben sichern, denn die meisten Windräder sind auch nach 20 Jahren Betriebszeit durchaus noch brauchbar. Und nicht jeder Standort eignet sich dafür, ein älteres Windrad durch ein neues, größeres zu ersetzen. Allein Statkraft ist derzeit in PPA-Gesprächen zu rund 1,2 Gigawatt solcher Windparks, auch Unternehmen wie Vattenfall sind dran. "Wenn wir den Weiterbetrieb nicht hinkriegen, dann reden wir nicht mehr über Zubau beim Ökostrom, sondern netto über Rückbau", sagt Bassam Darwisch, der das Geschäft für Vattenfall managt. "Das darf nicht passieren."

"Der Ausbau der erneuerbaren Energien braucht dringend neue Impulse."

Das Interesse an solchen Verträgen ist groß. Das belegt auch eine Umfrage der Deutschen Energie-Agentur (Dena), die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Danach sehen 86 Prozent der befragten Firmen in den PPAs ein wichtiges oder sehr wichtiges Modell, um erneuerbare Energien zu finanzieren. Einerseits gehe es darum, verlässliche Energiepreise auszuhandeln, andererseits, um gezielt grüne Energien zu beziehen. Auch Daimler geht es vor allem um seine grünen Ziele.

Experten sehen in solchen Verträgen eine neue Chance, die Energiewende anzutreiben. "Der Ausbau der erneuerbaren Energien braucht dringend neue Impulse", sagt Dena-Chef Andreas Kuhlmann. Zuletzt war der Neubau von Windrädern auf ein neues Tief abgerutscht. Und die Ausschreibungen, bei denen sich Windprojekte um Förderung bewerben, sind regelmäßig unterzeichnet. Deutschland drohe seine Ziele für den Ökostrom-Ausbau zu verfehlen - ein Anteil von 65 Prozent am Strommix bis 2030. "Wir reden täglich über die Klimaziele, aber wir laufen Gefahr, die konkreten Veränderungen zu verschlafen", warnt Kuhlmann.

Tatsächlich hinkt Deutschland weit hinterher. Große Geschäfte werden anderswo gemacht - in den Niederlanden, in Großbritannien, in Dänemark. Oder in Polen: dort versorgt der Dresdner Windpark-Entwickler VSB seit fünf Monaten ein Daimler-Motorenwerk. "Den Windpark hatten wir 2013 in Betrieb genommen", sagt Thomas Winkler, der sich bei VSB um derlei Transaktionen kümmert. "Dann kam Mercedes." 22 Windräder drehen sich nun für die Motorenfabrik, sie liefern mehr als genug Strom dafür. "In Polen hat das Projekt sehr viel Interesse geweckt", sagt Winkler. Weitere Vorhaben dort sind in Vorbereitung. Viele scheuten anfangs die komplexen Verhandlungen, die solchen Verträgen vorausgingen, sagt Winkler. Aber je mehr solche PPAs geschlossen würden, desto einfacher werde die Abwicklung. "Das wird kommen, auch in Deutschland", sagt er.

Das spiegelt auch die Dena-Umfrage. Danach können sich nahezu drei Viertel aller Befragten auch vorstellen, neue Projekte per PPA zu realisieren - also Wind- oder Solarparks auf Basis fester Vereinbarungen mit den Stromabnehmern zu errichten. "Bei Solar sehen wir das jetzt schon kommen", sagt Statkraft-Manager Schröder. Investoren schließen hier einen Stromabnahme-Vertrag über zehn oder 15 Jahre, Projektfirmen errichten im Gegenzug einen Solarpark. "In solchen Gesprächen befinden wir uns", sagt Schröder. "Das Bewusstsein für grünen Strom ist gestiegen."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4577738
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 28.08.2019/vwu
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.